21 U
Ich fühle fruchtend fremde Macht
Sich stärkend mir mich selbst verleihn,
Den Keim empfind ich reifend
Und Ahnung lichtvoll weben
Im Innern an der Selbstheit Macht.
Der Zwischenspruch, das Mantra zwischen Krisen- und Lichtspruch
Vier Mal im Jahr gibt es drei Wochen, die auf besondere Art zusammengehören: eine dunkel bedrohliche Krisenwoche, eine Woche dazwischen und eine Lichtspruch-Woche. Das Mantra 21 U gehört zu solch einer Trilogie, weil es zwischen dem Krisenspruch 20 T und dem Lichtspruch 22 V platziert ist. Diese dazwischen liegenden Mantren nenne ich Zwischensprüche. Interessanterweise beginnt diese Dreiheit zweimal mit der Krisenwoche, zweimal mit der Licht-Woche. Doch immer liegt eine Woche dazwischen, die ich als die Vermittlerin der Gegensätze ansehe. In dieser jeweils dazwischen liegenden Woche verbindet und überhöht sich die Dualität aus Licht und Dunkel, sie findet ihre Synthese und kann überwunden werden.
Der letzte Zwischenspruch war 6 F, die Himmelfahrts-Woche. Hier kamen wir vom Lichtspruch 5 E und die Krisenwoche 7 G lag noch vor uns. Die Bewegung führte vom Licht ins Dunkel, der Zwischenspruch war hier eine Art Vorbereitung für die Prüfung der Krise. Ihre Überwindung wurde im Pfingst-Mantra 8 H sichtbar.
Dieses Mal, beim Spruch 21 U, verläuft die Bewegung vom Dunkel ins Licht. Mit diesem Zwischenspruch 21 U wird die Not des Krisenmantras 20 T überwunden. Der Zeitenlauf geleitet uns ins Licht des Lichtspruchs 22 V geführt.
Erstaunlicher Weise ist diese Zeit wieder mit einem Himmelfahrts-Fest verbunden, mit Mariä Himmelfahrt.
Mariä Himmelfahrt
Immer am 15. August wird Mariä Himmelfahrt gefeiert. Damit ist der Glaube verbunden, dass die Himmelskönigin Maria nach ihrem Tod von Christus in den Himmel hinaufgetragen wurde. Dieses Fest liegt in aller Regel in den Wochen 19 S oder 20 T. Es ist ein Fest, das eng mit der Weihe von Heilkräutern verbunden ist. An diesem Tag beginnen die Frauendreißiger, die Zeit von 30 Tagen, in denen früher die Heilkräuter für den Winter gesammelt wurden. Hier sollen sie ihre größte Kraft bergen. Es erscheint mir deshalb als sinnvoll, die etwa vier Wochen umfassende Zeit als die besonders mit Mariä Himmelfahrt verbundene Zeit zu betrachten. Das sind dann die Wochen, die mit 19 S in die Krise von 20 T führen und weiter bis zum Licht der Woche 22 V.
“Auch wenn umgangssprachlich im Deutschen der Ausdruck „Mariä Himmelfahrt“ geläufig ist, ist das Festgeheimnis der Aufnahme Mariens in den Himmel von dem der Himmelfahrt Christi zu unterscheiden. In vielen Sprachen werden daher zwei verschiedene Bezeichnungen benutzt, etwa im Lateinischen: Ascensio Domini, „Auffahrt des Herrn“, und Assumptio Mariae, „Aufnahme Mariens“ [in den Himmel]” (Wikipedia.org, Mariä Himmelfahrt).
Christus steigt aus eigener Kraft in den Himmel auf, Maria wird nach ihrem Tod von Christus in den Himmel erhoben. So wie Maria im Bild der Isis, und in den Bildern vieler anderer aus vorchristlicher Zeit stammender Muttergöttinnen, die göttliche Kraft auf die Erde trug, so trägt Christus die weiblich-göttliche Kraft, Maria, wieder in den Himmel hinauf.
Dieses Bild der Erhebung bzw. der Aufnahme Mariä in den Himmel kann ich so verstehen, dass Christus die Seele, im Bilde der Maria, wieder mit ihrem himmlischen Urbild verbindet, sie wieder zur Höhe des Urbilds erhebt. Die Heilkraft der Kräuter drückt genau dies aus. Sie heilen, indem sie das kranke, zu einseitig gewordene Organ wieder mit dessen Urbild verbinden.
Eines der vorchristlichen Bilder der Maria ist die Isis. Von ihr sagt Rudolf Steiner: „Denn es steht ja da, was die Isis ist: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft — die dahinfließende Zeit!“ (GA 171, S. 166, 8. Vortrag,1. Oktober 1916). Isis-Maria trägt das göttliche Urbild vom Himmel auf die Erde, anders gesagt, in die Individualisierung und Vereinzelung. Sie steht für den Zeitstrom, der uns vom Anfang zum Ende, von der Geburt zum Tod trägt. Als Kinder dieses Zeitstroms sind wir, so wie alle Lebewesen, sterblich. Doch Rudolf Steiner beschreibt die Zeit als einen Doppelstrom. Der andere Zeitstrom wirkt aus der Zukunft in die Gegenwart hinein, vom Ω zum A. Er führt zum Urbild zurück, vom Tod zum Leben. Indem Maria nun in den Himmel erhoben und auch verortet, d.h. aufgenommen ist, vertritt sie seit dem auch diesen zweiten Zeitstrom, der vom Ziel aus wirkt. Er bewirkt, dass Entwicklung kein zufälliges Geschehen ist, sondern auf ein Ziel hinführt. Im Bild ausgedrückt führt sie zurück in den Himmel.
Was sagt mir das Mantra 21 U?
Vorbereitend möchte ich auf den Unterschied von Macht und Kraft hinweisen, denn allzu leicht werden beide verwechselt oder gleichgesetzt. Eine Macht gleicht einem König in seinem Reich. Macht ist die Möglichkeit, jederzeit Wirkung zu erzielen, Kraft auszuüben. Kraft ist dagegen die Intensität der jeweiligen Wirkung, sie kann schwanken und nach Bedarf dosiert werden.
Von zwei Mächten spricht das Mantra: von der fruchtenden, fremden Macht und von der Selbstheit Macht, die im Innern im Entstehen begriffen ist. Die fremde Macht kommt von außen, die Macht der Selbstheit wird von der Ahnung lichtvoll gewebt. Die fremde Macht verleiht mir mich selbst. Sie bewirkt die Reifung des Keims, der noch unfertigen Anlage. Der eine Macht-König ist fremd und nur durch seine Machtausübung erlebbar. Der andere Macht-König, die Macht der Selbstheit, ist noch in Entwicklung begriffen. In diesem Mantra haben wir es bildlich gesprochen mit einem alten und einem heranwachsenden, jungen König zu tun.
Ich fühle eine fremde Macht. Fremd ist eine Macht, die von außen kommt, die nicht-Ich ist. Diese fremde Macht ist dadurch möglicherweise sogar bedrohlich. Ihr Einwirken auf mich kann ich nicht kontrollieren. Es geschieht mir. Unser gewöhnliches Erleben ist das der Dualität. Die fremde Macht ist das Außen, die Welt, der andere Mensch. Durch meine Sinne erlebe und fühle ich dieses Außen. In der Summe ist diese Außenwelt mein Schicksal, das mich trifft. Es ist die fremde Macht.
Ich fühle wie sie fruchtet, mich befruchtet. Ich fühle, wie sie in mir beginnt zu wirken. Ein innerer Prozess beginnt, der über das Aufnehmen hinausgeht. Kann ich diesen Prozess in mir beobachten? Ich nehme die Welt durch meine Sinne in mich auf. Die Sinneseindrücke befruchten mein Bewusstsein. Ich beginne Zusammenhänge zu erkennen, Begriffe zu bilden. Die Krise des Mantras 20 T ist dadurch überwunden, das Andere, noch Fremde wirkt in mir. Dadurch baue ich nicht mehr nur auf eigenem Grunde, wie es im Mantra 20 T heißt. Die Welt wirkt als die fremde Macht über die Sinne in mich hinein, sie verändert mich.
Die fremde Macht stärkt sich. Sie verstärkt sich, indem ich sie fruchten fühle. Beide Verben stehen in der Verlaufsform. Es handelt sich um einen stetig sich vollziehenden Prozess, wie das Fließen eines Flusses. Jede einzelne Sinneswahrnehmung ist eine Singularität, ein Einzelnes, vereinzelt Dastehendes. Indem sie mein Denken befruchtet und ich den Begriff hinzufüge, hebe ich die vereinzelte Erscheinung ein Stück zum Urbild hinauf. Wenn ich zum Beispiel einen Baum wahrnehme und diesen als “Baum” bezeichne, stärke ich sozusagen das einzelne Exemplar durch seine Verbindung mit allen anderen Bäumen, die ich mit dem gleichen Begriff belege. Die flüchtige und singuläre Wahrnehmung erhält durch den Begriff Dauer.
Durch diesen Prozess, der sich verstärkenden, mich befruchtenden fremden Macht, werde ich mir selber verliehen. Auch ich hebe mich aus der Beschränkung der reinen Gegenwart, des reinen Jetzt heraus, indem ich durch den Begriff (im obigen Beispiel: “Baum”) diesen Eindruck des Momentes im inneren Bild halten kann, ohne jenes Bild äußerlich zu sehen.
Diese so gewonnene Dauer bewirkt auf der anderen Seite auch mein Ich-Bewusstsein. “Das Ich-Bewusstsein oder Selbstbewusstsein (eng. self-awareness), also das Wissen und die Erkenntnis des eigenen Ich, kann der Mensch nur auf der Erde entwickeln. Es ist der andere Pol des untrennbar mit ihm verbundenen, nach außen gerichteten Gegenstands-Bewusstseins.” (Anthrowiki.at, Ich-Bewusstsein). Ich bin es, die all diese Erfahrungen macht, keine andere Person. Die Gesamtheit der Erlebnisse meines Lebens fließt zusammen und gestaltet mich zu der Persönlichkeit, die ich bin. Durch meine Erinnerungsfähigkeit trage ich die vergangenen Erlebnisse mit mir. Sie wirken in mir und formen mein Ich-Bewusstsein. Mein Schicksal verleiht mich mir selbst.
Mein Schicksal strömt aus zwei Richtungen auf mich zu, wie oben erwähnt. Aus der Vergangenheit strömt alles, was ich schon kenne, an dessen Ursachen-Bildung ich beteiligt war. In der Gegenwart erlebe ich die Wirkung. Diese Schicksalsmacht ist mir nicht in gleichem Maße fremd, wie die des anderen Zeitstroms. Aus der Zukunft strömen die Wirkungen auf mich zu, deren “Ursachen” in der Zukunft liegen. Die Wirkungen sollen mich zu der Persönlichkeit machen, die ich noch nicht bin. Sie sind der Trainingsplan auf ein Ziel hin, das ich nicht mit dem Verstand überblicke. Diese Schicksalsmacht ist mir fremd und verleiht mich gleichzeitig mir selber ‑mit jeder gemeisterten Herausforderung ein Stück mehr.
Ich werde mir selber verliehen. Zu treuen Händen wird mir diese Entwicklungsmöglichkeit übergeben. Nutzen muss ich sie. Noch ist das, was ich einmal werden soll Keim. Diesen Keim empfinde ich ebenso im Prozess, wie die fremde, mich befruchtende Macht: der Keim meines zukünftigen Selbst, meine Selbstheit ist dabei zu reifen! Doch warum spricht das Mantra von der Selbstheit und nicht einfach vom Selbst? Die Endung “-heit” macht aus einem Adjektiv ein Substantiv: aus faul wird Faulheit. Doch hier wird sie dem Substantiv “Selbst” angefügt. Ebenso kann sie dem Substantiv “Gott” angefügt werden. Soll die Selbstheit dadurch mit der Gottheit ein Paar bilden?
Die fremde Macht bewirkt durch ihre befruchtende Einwirkung die Reifung meines noch keimhaften zukünftigen Selbst. Habe ich dies erkannt, erscheint das vorher als fremde Macht auf mich wirkende Schicksal ganz anders. Nun webt die Ahnung lichtvoll. Sie webt an der Macht meiner eigenen Selbstheit im Innern. Die Ahnung ist hier keine Tätigkeit, sondern eine eigene Kraft, die tätig ist. Sie webt in meinem Innern lichtvoll. Ich verstehe die Ahnung als Pendant zum Verstand. Der Verstand arbeitet mit dem auf der Vergangenheit aufbauenden Zeitstrom. Er kann die in der Vergangenheit liegenden Ursachen der gegenwärtig zu beobachtenden Wirkungen fassen und die Wirkungen variierend gestalten. Die Ahnung webt dagegen die Impulse des von der Zukunft her wirkenden Zeitstroms in die Gegenwart. Sie ist fähig, das Werdende, das Noch-nicht, das, was aus der Zukunft vom Ziel her seine Strahlen vorausschickt, in der Gegenwart zu verarbeiten, zu verweben. Die Ahnung webt lichtvoll. Sehe ich mich als das machtvolle, leuchtende Wesen, das ich einmal werden soll, so sind die Schicksalswirkungen, die dorthin führen nicht mehr fremd, sondern voller Licht. Nun wird ein Schicksalsschlag zur lichtvollen, weisen Führung.
Der fremden Macht der ersten Zeile des Mantras steht nun die im Innern lichtvoll gewobene Macht meiner Selbstheit gegenüber. Wofür die Selbstheit die lichtvoll gewobene Macht nutzen wird, erfahren wir nicht. Es liegt jedoch nahe, diese Selbstheit nun als Schöpfer des eigenen Lebens, als machtvollen und aktiven Gestalter seiner selbst anzusprechen.
Die vierte Stufe im Sternbereich – die Stufe der Elohim
„Es gibt eine weitere Ordnung, der die Aufgabe bestimmt ist, die Dämonen in Schranken zu halten, damit diese uns nicht so sehr schaden können, wie sie wollen. Deshalb wird diese Ordnung als Gewalten (Potestates, Elohim) bezeichnet. Zu dieser Ordnung werden diejenigen gehören, die den Einflüsterungen des Teufels mannhaft zu widerstehen wissen. …
Arbeite also, o Mensch, damit du … als einer, der dem Dämon widersteht, in der Ordnung der Gewalten erstrahlst; … (Alanus ab Insulis, Übersetzt und veröffentlicht von Wolf-Ulrich Klünker unter dem Titel, „Alanus ab Insulis“, 1993, S. 53f)
Die Elohim, die laut Rudolf Steiner dem Menschen das Ich verliehen haben, stehen hier beim Zwischenspruchs 21 U, zwischen Krisen- und Lichtspruch. Sie stehen am Gleichgewichtspunkt beider Kräfte — oder zeitlich gesehen auf dem Weg vom Dunkel ins Licht. Genau das ist die Qualität, die Alanus dieser Hierarchie zuschreibt; dem Bösen zielvoll zu widerstehen. Das Ich ist immer ein Grenzgänger zwischen zwei Widersachermächten, zwischen den Extremen von zu fest und zu flüchtig, zu hart und zu weich, zu phantasievoll und zu pedantisch. Dem Bösen widersteht der Mensch, der das Gleichgewicht halten kann.
Was Alanus ab Insulis als Teufel bezeichnet, beschreibt Rudolf Steiner für jedes Wesensglied differenziert: „Man nennt die Wesenheiten, die den Astralleib durchsetzen und ihn unfrei machen, Dämonen. Fortwährend sind Sie in Ihrem Astralleib von solchen Dämonen durchdrungen, und die Wesenheiten, die Sie selbst durch Ihre wahren oder falschen Gedanken erzeugen, sind solche, die sich nach und nach zu Dämonen auswachsen. Es gibt gute Dämonen, die von guten Gedanken ausgehen. Schlimme Gedanken aber, vor allem unwahre, lügnerische, erzeugen dämonische Gestalten der furchtbarsten und gräßlichsten Art, die den Astralleib, wenn man sich so ausdrücken darf, durchspicken. Ebenso durchsetzen den Ätherleib Wesenheiten, von denen sich der Mensch frei machen muß, das sind die Spektren oder Gespenster, und endlich gibt es solche, die den physischen Leib durchsetzen, das sind die Phantome. Außer diesen dreien gibt es noch andere Wesenheiten, die das Ich hin- und hertreiben, das sind die Geister, wie das Ich ja auch selbst Geist ist. Tatsächlich ist der Mensch der Hervorrufer von solchen Wesenheiten, die dann, wenn er auf die Erde herunterkommt, das innere und äußere Schicksal bestimmen. Dieselben beleben den Lebensgang so, daß Sie alles spüren, was Ihr Astralleib an Dämonen, Ihr Ätherleib an Gespenstern und Ihr physischer Leib an Phantomen hervorgebracht hat. Alles das hat eine Verwandtschaft zu Ihnen, es strebt zu Ihnen hin, wenn Sie wiederverkörpert werden.“ (Lit.: GA 99, S. 70f)