26 Z Michaeli-Stimmung
Natur, dein mütterliches Sein,
Ich trage es in meinem Willenswesen;
Und meines Willens Feuermacht,
Sie stählet meines Geistes Triebe,
Dass sie gebären Selbstgefühl,
Zu tragen mich in mir.
Michaeli
Das Mantra 26 Z trägt die Überschrift “Michaeli-Stimmung”. Die vier Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst und Winter konzentrieren ihren seelisch-geistige Aspekt in den vier Festen: Ostern, Johanni, Michaeli und Weihnachten. Obwohl zunächst nichts im Wortlaut der Mantren auf die Feste hinzuweisen scheint, sind sie durch solch eine Überschrift den Mantren zugeordnet und dadurch im Seelenkalender verankert. Michaeli wird immer am 29. September gefeiert. Es ist das Fest des Herbstes und liegt im Jahreskreis Ostern gegenüber. Bei genauerer Betrachtung des Seelenkalenders stimmt das jedoch nicht — von der durch die Beweglichkeit des Osterfestes bewirkten Verschiebung einmal abgesehen. Das Seelenkalender-Jahr beginnt mit dem Ostermantra 1 A. Das Michaeli-Mantra 26 Z schließt den ersten Durchgang durch das Alphabet und ist damit das letzte im Sommer-Halbjahr. Erst mit der folgenden Woche, dem Mantra 27 a, beginnt das Winter-Halbjahr und das zweite Alphabet. Erst mit dem Mantra 27 a ist die Gegenüberstellung zum Oster-Mantra 1 A erreicht.
Mit dem Michaeli-Mantra 26 Z stehen wir in der letzten Woche des Sommer-Halbjahres. Wir sind an der Grenze angekommen. Wie ein Wächter steht das Mantra — und hinter diesem der Erzengel Michael — vor dem Tor zum Winter-Halbjahr. Dieses Tor ist das Tor zur eigenen Innenwelt. Rudolf Steiner schreibt: “Das Gegründetsein in sich selber und das Leben in der eigenen Gedanken- und Willenswelt kann er empfinden als Winterdasein.” (Vorwort zur ersten Ausgabe 1912/13 des Seelenkalenders) Wir verlassen das Sommerhalbjahr und damit die Zeit der Hingabe an die Sinne und ihre Wahrnehmungen, den Bereich, der “der licht- und wärme-durchwobenen Sommernatur” unseres Wesens entspricht (s.o.).
Mit dem Michaeli-Fest ist das Bild des Drachenkampfes verbunden. In älteren Michaeli-Liedern wird Michael vielfach um Hilfe gebeten im Kampf gegen die Feinde. Was verbirgt sich hinter dem Drachen und welche Feinde müssen wir an dieser Stelle bekämpfen? Zwei Prüfungen warten an dieser Schwelle auf uns:
Die erste Prüfung betrifft die “Feinde”: Für diesen Gang in die eigene Unterwelt brauchen wir Mut! Ich erinnere mich noch gut daran, welche Angst mich befiel, als ich in meine Seele schauen wollte – bis mir klar wurde, dass das, was ich an Bildern gezeigt bekommen würde immer meine Bilder sind. Was ich gezeigt bekomme, bin ja immer nur Ich. Etwas Fremdes kann nicht aus der Seele auftauchen — nur Unbekanntes, Ungesehenes. All diese Bilder gehören zu mir, ungeachtet ob ich es anschaue oder nicht! Die Seele ist ein Gefäß, kein Blumentopf. Sie hat kein Loch unten. Mir wurde klar, dass keine fremde Macht aus meiner Seele auftauchen kann wie ein Loch-Ness Ungeheuer. Und das, was ich selber bin, ist nicht fremd, auch wenn ich es noch nicht kennen gelernt habe. Ich finde immer nur mich – und vor mir selber brauche ich mich nicht zu fürchten!
Diese Erkenntnis bestätigen auch die Mantren im Seelenkalender. Das Michaeli-Mantra 26 Z und das Mantra des Jahreswechsels 39 n sprechen vom Selbstgefühl (siehe unten)! Das Michaeli-Mantra steht an der Schwelle, bevor das Winter-Halbjahr beginnt. Das Mantra 39 n steht am Scheitelpunkt des Winter-Halbjahres. Es vollendet das erste Viertel und steht damit am tiefsten Punkt des Jahreskreises (der Jahreskreis zeigt sich im inneren Bild so, dass das Sommer-Halbjahr oben, das Winter-Halbjahr unten erscheint).
Das Überwinden der Angst auf dem Weg in die Dunkelheit des Winter-Halbjahres ist ein Aspekt des Kampfes, der nach alten Traditionen mit dem Erzengel Michael verbunden ist. In einem Lied heißt es: „Oh unbesiegter Gottesheld, Sankt Michael, hilf uns hie kämpfen, die Feinde dämpfen …“ Die Ängste, wie sie oben erwähnt sind, die „Angst-Feinde“ erweisen sich als Einbildung und lösen sich auf, wenn der Weg in die Seele mutig begonnen und dort das Selbstgefühl entdeckt wird.
Das Symbol des Makrokosmos im Jahreskreis
Das Symbol des Makrokosmos zeigt Drache und Schlange, die sich in den Schwanz beißen, den ewigen Kreislauf symbolisierend. Im Jahreskreis eingefügt steht der Drache für das Sommer-Halbjahr. Er verkörpert die Wahrnehmungswelt, die zu Materie verhärtete Welt. Das Winter-Halbjahr ist als Schlange dargestellt, und weist auf die Verführung der Seele durch das Denken. Die Berechtigung des Drachen endet mit der Michaeli-Woche. Er muss überwunden werden. Das ist der zweite Aspekt des Kampfes. Die Wahrnehmung mit den inbegriffenen Ideen fliegt den Menschen an wie ein feuriger Drache. Was mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Händen ertastet wurde, vermittelt der Seele Gewissheit und subjektiv unumstößliche Wahrheit. Der Schuppenpanzer des Drachen bringt die Härte der materialistischen Überzeugungsmacht zum Ausdruck. Wenn die äußere Sinneswahrnehmung als einzige Realität genommen, der Drache nicht überwunden wird, ist der Weg in die Seele in die feinstoffliche, die geistige Welt verschlossen. Zum Ende der Woche 26 Z muss dieser Übergang geleistet werden. Das ausschließlich an die äußere Wahrnehmung Gebundene, nur von der Materie ausgehende, materialistische Denken muss enden, wenn der Raum der Seele betreten werden soll. Sie ist eine flutende Bilderwelt, keine Ding-Welt.
Die Natur, die materielle Welt ist die Mutter. Sie schenkt uns die Bilder für unsere Seelenwelt; Bilder um die Seele zu verstehen. Doch es besteht die Gefahr, dass der Geist ausschließlich an die Materie gebunden gedacht wird. Ein Beispiel soll diese Gefahr verdeutlichen: Die Neutrinos, geladene Teilchen, die bildlich gesprochen, durch die Sonnenwinde auf die Erde kommen, werden von vielen Menschen für die Veränderungen verantwortlich gemacht, die als Anstieg der Energiefrequenz beschrieben werde . Nicht der Geist, sondern geladene Teilchen wirken. Der Geist kann bei dieser Denkweise nicht aus sich heraus wirken. Er braucht Teilchen, elektrische Wellen, Magnetkräfte. Auch wenn hier von Energie oder Feinstofflichem gesprochen wird, bleibt das Denken an die Materie gebunden. Da wirkt der Drache noch immer.
Wie ein Gegenmittel gegen diese Drachen-Macht wirkt das sinnlichkeitsfreie Denken, von dem Rudolf Steiner immer wieder spricht. Es muss errungen werden, um in der geistigen Welt wahrnehmungsfähig zu werden.
Michael und der Drache
Rudolf Steiner sagt über den Moment, wenn die Erde die Ekliptik schneidet: „… die Sonne läßt Folgen ihrer Wirkung zurück im Raume, den sie zu durchmessen hat, so daß in die Spuren, in die gebliebenen Spuren der Sonne, die Erde eintritt und sie kreuzt, sie wirklich kreuzt. Denn der Raum hat lebendigen Inhalt, hat geistigen Inhalt, und in das, was die Sonne bewirkt, tritt die Erde ein und kreuzt es, segelt durch. [etwas später] … wir sind an dem Orte, wo die Sonne gewesen ist! Und in der geistigen Atmosphäre drückt sich das aus, denn man begegnet dem Bilde, das die Sonne im Äther zurückgelassen hat. … man [findet] da im Äther Sonneninhalt …, der zurückgeblieben ist.“ (GA 171, S. 186ff)
Welches Bild könnte die Sonne dort zurückgelassen haben? Welches Bild erneuert sich zu den beiden Zeiten der Tag- und Nachtgleiche für die Menschheit Jahr für Jahr? Es könnte die Maria auf der Mondsichel im Strahlenkranz bzw. ihr Urbild, “das Weib, mit der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen und die Krone mit den zwölf Sternen auf ihrem Haupt” aus der Apokalypse des Johannes sein. Sie ist der Jahreslauf. Die Maria ist die Nachfolgerin der Isis, der verschleierten Göttin im Tempel zu Sais. Rudolf Steiner sagt ganz direkt über die Isis, dass sie die Zeit ist: „Denn es steht ja da, was die Isis ist: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft — die dahinfließende Zeit!“ (Lit.: GA 171, S. 166) Ihr Schleier ist die Heiligkeit des Lebensgeheimnisses, das nur der ergründen durfte, der es mit Ehrfurcht tat.
Die Imagination der Maria im Jahreslauf beruht auf der Struktur von drei Ebenen, die die zu Ostern gehörenden Wochen dem Jahr einprägen. Sie sind die Mondsichel. Darüber befindet sich das Kreiszentrum, die Sonne. Ganz oben ist der Sternbereich.
In der Kunst wird der Mond unter Maria immer wieder mit dem Drachen in Verbindung gebracht. Auf dem Bild befindet er sich an der Grenzfläche von Mond und Sonne.
Maria mit Drachen, auf dem Mond stehend, von einer Sonnenaura umglänzt, Künstler unbekannt, Ausschnitt
Der Drache steht mit dem Mond in Beziehung. Vor diesem Hintergrund wird die Darstellung des Drachen auf alten Michaeli-Bilder aufschlussreich. Seine Körperhaltung erinnert an eine Mondsichel.
Michael mit Drachen, dessen Körperform an den Mond, die Osterzeit im Jahr erinnert
Warum ist das so? Michael ist der Wegbereiter Christi im Denken. Er hilft, nicht nur die egoistische Tier-Natur in zu überwinden, sondern auch die falschen Vorstellungen über das Leben auf der Erde – und dadurch auch über das zentrale Thema des Osterfestes, über das Geheimnis von Tod und Auferstehung.
Michael ist die Kraft, die hilft, über dem Drachen zu stehen, über der durch die Sinne vermittelten materialistischen Weltanschauung, die so gerne die alleinige Wahrheit für sich beansprucht. Michael ist die Kraft, die der Ahnung den Raum hält, damit eine höhere, nicht logisch-gedanklich zu fassende Wahrheit in der Seele leben kann.
Ich glaube wirklich, dass es ein michaelisch-mutiger Gedanke ist, im Jahreslauf das Kleid hoher geistiger Mächte zu erleben, sie darin abgebildet zu finden – sowohl die Maria als auch Michael.
Göttin Natura
Bezogen auf die griechische Mythologie beschreibt Rudolf Steiner, wie die Natur noch im Mittelalter als eine Göttin wahrgenommen wurde, die ein halbes Jahr oberirdisch wirkt und ein halbes Jahr unterirdisch: “In dem Augenblicke, wo der Mensch das sieht, was er mit dem Teil seines Wesens erlebt, der schläft [mit dem in die Wahrnehmung hineinschlafenden Sommer-Menschen, A.F.], in dem Augenblicke steht er vor dem, was man ungefähr bis in das 15. Jahrhundert herein in Wirklichkeit die Natur genannt hat. Das hat man die Natur genannt, was da der Mensch erlebt. Die Griechen nannten dasselbe, was man im Mittelalter die Natur nannte, Proserpina, Persephone. Natürlich beschrieb man die Mysterien der Persephone anders in Griechenland, anders im Mittelalter. Aber Sie können sich überzeugen, daß das Mittelalter diese Dinge kannte, wenn Sie solche Beschreibungen der Natur und ihrer Geheimnisse lesen, wie Sie sie bei Bernardus Silvestris finden. Da beginnt, in dem Werke «De mundi universitate» von Bernardus Silvestris, die Schilderung der Erlebnisse, die der Mensch hat, wenn er für den Teil erwacht, der den Kosmos mitmacht, der sonst verschlafen wird. …
Man unterschied auf der einen Seite die Natur, das Miterleben des Menschen mit dem Kosmos, was das Mittelalter Natura nannte, was das Altertum Proserpina nannte. Man personifizierte, unterschied dieses wiederum von der Urania, welche ebenso die Himmelssphäre beherrscht, wie die Natur dasjenige beherrscht, was der Mensch miterlebt vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Und ein tiefes Geheimnis glaubten diese mittelalterlichen Menschen zu sehen, wenn sie sprachen von der Vermählung der Natur im Menschen mit dem Nus, mit dem Verstande, mit dem Intellekt im Menschen. Und in richtiger und unrichtiger Weise wurde von diesen Menschen versucht, zu erleben im Menschen die Vermählung der Natur mit dem Nus, mit dem Verstande oder Intellekt, als mystische Hochzeit, der gegenüberstand die alchimistische Hochzeit, …” (Lit.: GA 180, S. 105ff)
Rudolf Steiner lässt Alanus ab Insulis zu seinen Schülern sprechen: “Die Natur — ein Wesen, das wir nicht mehr fassen können, das sich uns entzieht, wenn wir ihm nahen wollen. Die Menschheit hat Kräfte entwickelt, die sie zu anderen Dingen hinführen, die aber nicht mehr fähig sind, so die Natur zu erfassen, wie die Natur in alten Zeiten von den Erkennenden erfaßt worden ist. Denn die Natur war ein mächtig großes Geistwesen, das überall gewirkt hat, da, wo die Steine im Gebirge sich gebildet haben, da, wo die Pflanzen aus dem Erdboden herausgewachsen sind, da, wo die Sterne am Himmel funkelten. Überall webte ein unermeßlich großes Wesen, das sich in der Gestalt eines wunderbaren Weibes darstellt. Das sahen die Alten mit ihrem Schauen. Wir können uns nach den Angaben, welche die Alten gemacht haben, noch Vorstellungen davon bilden, was die Natur war, dieses überall Weben, Wirken, das in allem Umgebenden, in aller Wärme, in allen Lichterscheinungen, in allen Farbenerscheinungen, in allen Lebenserscheinungen lebt und webt. Aber es entschlüpft uns, wenn wir ihm nahen wollen. Denn lebend-webend ist die Göttin Natura in allem. Eine Göttin, ein göttlich-geistiges Wesen, von dem man wußte, man kann es in seiner Wesenheit nur erkennen, wenn man es anschauen [sic! Hervorhebung A.F.] kann.“ (Lit.:GA 243, S. 80ff)
Das Mütterliche — die drei Mütter des Ichs
Rudolf Steiner erkannte und beschrieb, dass unser geistiger Anteil, unser zu entwickelndes Ich eigentlich von drei Müttern stammt: “In der leiblichen Mutter sehen wir sozusagen die letzte physische Gestalt einer geistigen Mutter, die hinter ihr ist, und wir sehen diese geistige Mutter nicht befruchtet in derselben Weise, wie das heute geschieht, sondern aus dem Weltenall selber heraus, so wie wir auch unsere Seele in der höheren Erkenntnis befruchtet haben aus dem Weltenall heraus. Wir sehen zu immer geistigeren Gestaltungen der Befruchtung und Fortpflanzung zurück.
Daher spricht man, wenn man in wahrhaft geisteswissenschaftlichem Sinne spricht, nicht bloß von einer Mutter, sondern von den Müttern, und stellt sich vor, dass das, was als sinnliche Mutter heute vor uns steht, die letzte Ausgestaltung ist für die geistig-seelische Gestalt aus dem geistigen Reiche. In der Tat gibt es Abbildungen der Isis, welche uns nicht eine Mutter, sondern Mütter darstellen, drei Mütter. Vorn haben wir eine Gestalt, die Isis mit dem Horuskinde an der Brust, wie auch die ältesten Madonnengestalten dargestellt sind; aber hinter dieser Gestalt haben wir in gewissen ägyptischen Darstellungen eine andere Gestalt, eine Isis, die auf dem Haupte die bekannten beiden Kuhhörner hat und Geierflügel trägt, das Henkelkreuz dem Kinde reichend. Da sehen wir, was vorn physisch menschlich ist, hier schon mehr vergeistigt. Hinter dieser sehen wir noch eine dritte, die den Löwenkopf trägt, darstellend eine dritte Stufe der menschlichen Seele. So erscheinen uns diese drei Isisbilder hintereinander. Unsere menschliche Seele trägt in der Tat drei Naturen in sich, eine willensartige Natur — ihre in den tiefsten Gründen befindliche Wesenheit — eine gefühlsmäßige Natur und eine weisheitsartige Natur. Das sind die drei Seelenmütter sie treten uns in den drei Gestalten der ägyptischen Isis entgegen.
Dass hinter der zunächst sinnlichen Mutter die übersinnliche, die geistige Mutter, die Isis aus der geistigen Vorzeit, sich befindet, und dass das zum Beispiel bei den Gestalten die Geierflügel, die Kuhhörner und die Weltkugel in ihrer Mitte am Kopfe der Isis angebracht sind, das ist ein tiefsinniges Symbolum. …
Die Weltkugel ist der Ausdruck für das Schaffen in der Welt. … So steht hinter der sinnlichen Isis deren Repräsentantin, die übersinnliche Isis, die nicht befruchtet wird von ihresgleichen, sondern von dem Göttlich-Männlichen, das die Welt durchlebt und durchwebt. Es wird der Befruchtungsprozess noch dargestellt als etwas, was nahesteht dem Erkenntnisprozess. …
Da sehen wir, wie im Grunde genommen, wenn unser Blick aufschaut zur Madonna und wenn dieser Blick durchdrungen ist von dem Gefühl des Herzens, die Seele noch etwas mitgeteilt erhält von dem großen Weltenrätsel. Da sehen wir, wie in einer solchen Hingabe unsere Seele als das Ewig-Weibliche in uns sich suchend sehnt nach dem göttlichen Vatergeiste, der aus dem Weltenall herausgeboren ist, und den wir als Sonne gebären in der eigenen Seele. … Und wiederum enthält die Madonna dasjenige, was aus der menschlichen Seele herausgeboren werden kann: den wahren, höheren Menschen, das, was in jedem Menschen schlummert, das menschlich Allerbeste und das, was als Geist die Welt durchflutet und durchwebt. ” (Vortrag in Berlin, 29.4.1909, Isis und Madonna, S. 18ff)
“Es ist ja oftmals darauf hingewiesen worden, wie heute der Mensch den Weg der Eingeweihten antreten kann, wie Denken, Fühlen und Wollen geschult werden, um den <Gang zu den Müttern> antreten zu können. Diesen Gang zu den Müttern haben die Schüler aller Mysterien anzutreten gehabt.
Den Ausgangspukt bildete überall eine Erkenntnis, die wir andeuten konnten in dem Vortrag über Isis und Madonna. Da ist darauf hingewiesen worden, dass der Mensch geistigen Ursprung hat, dass er früher in geistigen Welten wohnte, dass des Menschen Geist und Seele herausgeboren sind aus den geistigen Urwelten. Hingewiesen wurde darauf, dass der Mensch jetzt noch bei einem tieferen Blick in die Seele fühlt, dass er, wenn er sich erhebt über die physische Beobachtung, etwas hat, was ein letzter Rest seines einstigen Wesens in der geistigen Welt ist. Heute ist dieser letzte Rest, des Menschen Seele, eingeschlossen in den physischen Leib, der eine Verdichtung der geistigen Urwesenheit ist. Das, was der Mensch da eingeschlossen weiß als seinen Seelengeist, von dem sagt er sich: Das zeigt mir, wie ich einstmals im ganzen war, zeigt, wie ich herausgeboren bin aus dem Weltenschoße, aus dem ganzen Universum. Heute zeigt sich das Universum dem äußeren Verstand in alledem, was sich vor den Sinnen ausbreitet; aber hinter alledem, was die Sinne sehen, was der Verstand begreifen kann, ist das geistige Universum. Das ist der Urvater, die Urmutter, aus denen heraus die Seele geboren ist, die heute noch die Form bewahrt hat, die damals auch der Leib hatte.” (Vortrag in Berlin, 6.5.1909, Die europäischen Mysterien und ihre Eingeweihten, S. 38)
Selbstgefühl
Zweimal kommt im Seelenkalender das Wort Selbstgefühl vor. Beide Male stehen die Mantren an einer Schwelle: Das Mantra 26 Z steht vor dem Übergang in das neue Alphabet des Winter-Halbjahres und das Mantra 39 n nenne ich einen Schwellenspruch, weil Spiegel- und Gegenspruch im selben Mantra (14 N) vereint sind. Es ist das Mantra des Kalender-Jahreswechsels. Im Mantra 26 Z heißt es, dass die durch Willen gestählten Geistestriebe Selbstgefühl gebären, zu tragen mich in mir. Im Schwellenspruch 39 n löst sich mir aus Denkermacht das Selbstgefühl. Wille und Denken sind an der Entstehung meines Selbstgefühls beteiligt. Das Selbstgefühl (26 Z) wird mit Hilfe des Willens geboren, damit ich mich in mir tragen kann. Vielleicht ist damit eher an eine Zeugung mit nachfolgender Schwangerschaft zu denken. Die Macht des Denkens führt im Fortgang dazu, dass sich das Selbstgefühl (39 n) löst. Es tritt als selbständige Kraft in die Welt hinaus.
Das Selbst wird in zwölf Mantren aus ganz unterschiedlichen Perspektiven thematisiert. Besonders bedeutsam scheinen mir für die Erhellung der oben erwähnten zwei Mantren des Selbstgefühls zwei weitere zu sein. Gemeinsam stehen diese vier wie ein Kreuz im Jahreskreis. Dem Selbstgefühl, das sich aus Denkermacht löst (39 n), steht der Schwellenspruch des Sommer-Halbjahrs 14 N, gegenüber. Hier droht der Gedankentraum mir das Selbst im betäubten Zustand zu rauben. Das Weltendenken naht weckend als Gegenmittel. Die Bedeutung des Denkens für das Selbst ist in den beiden letztgenannten Mantren zentral. Dies ist die senkrechte Achse des Kreuzes.
Die waagerechte Achse bilden erste (1 A) und das letzte (26 Z) Mantra des Sommer-Halbjahrs. Der Osterspruch 1 A spricht von der Selbstheit Hülle: — Gedanken ziehen aus der Selbstheit Hülle in die Raumesfernen und binden dumpf des Menschen Wesen an des Geistes Sein. Die Hülle für die Selbstheit ist der Leib. Diese Hülle ist der Ort, von dem die Gedanken ausströmen. Die Gedanken haben Wirksamkeit, sie binden des Menschen Wesen an das Sein des Geistes. Die Gedanken haben Willensqualität, sie binden. Im Mantra 26 Z sind es die Willenstriebe, die das Selbstgefühl gebären, die das Selbstgefühl ins Leben bringen. Geboren wird immer ein Leib und am Ende des Lebens wird er zur Hülle. Die leibbildende und entleibende Wirksamkeit für das Selbst ist das Verbindende dieser beiden Mantren.
Wie kann ich das Mantra 26 Z verstehen?
Das Mantra 26 Z ist genau genommen eine wörtliche Rede. Zu Beginn wendet sich der Ich- Sprecher an die Natur, danach spricht er über sich selbst.
Zur Natur gewendet äußert er, dass er ihr mütterliches Sein in seinem Willenswesen trage. Indem er das Sein der Natur als mütterlich benennt, schwingt Dankbarkeit der Natur gegenüber mit. Zwischen dem Ich-Sprecher und der Natur findet eine Begegnung auf Augenhöhe statt. Und wir? Wir sprechen leichthin von der Mutter Erde. Erleben wir auch ihre Mütterlichkeit? Erleben wir ihre Gaben als Geschenke? Würden wir sie ansprechen und ihr sagen, dass wir ihre Essenz in uns tragen? Was ist denn das mütterliche Sein der Natur, das wir in uns tragen? Und was ist unser Willenswesen?
Natürlich haben wir einen physischen Leib, der, wie die Bibel sagt, aus Lehm gemacht wurde (AT, 1. Buch Mose). Die alten Weisheitsüberlieferungen der Maya Guatemalas erzählen etwas ähnliches. Sie glaubten, dass die ersten Menschen aus Maisteig geformt und dann belebt wurden. Unser belebter physischer Leib ist Natur. Er gehorcht den Naturgesetzen und kehrt im Tod in ihren Kreislauf zurück. Die Natur lebt uns den Kreislauf von Werden und Vergehen im Jahreslauf vor. Folglich waltet auch in unserem Körper ein ständiger Auf- und Abbau von Stoffen. Rudolf Steiner spricht hier vom Stoffwechsel-Gliedmaßen-System und erkennt in ihm die körperliche Grundlage des Willens. Im Willenswesen tragen wir Menschen also tatsächlich das mütterliche Sein der Natur in uns!
In den unterbewussten Tiefen unserer Seele, in ihrem Willensbereich, gibt es zwei gegensätzliche Bewegungen: den Durst nach Dasein und das Streben nach Bewusstsein. Der Durst nach Dasein wirkt inkarnierend, sich vereinend, das Streben nach Bewusstsein wirkt exkarnierend, sich distanzierend. Vielleicht ist es das, was gemeint ist, was wir von der Natur in unserem Willenswesen tragen. Diese beiden Bewegungen sind mütterlich, fürsorglich. Durch sie bleibt die Seele in ständiger Bewegung. Der Überlebenswille hütet das Leben, der Entwicklungswille lässt uns über die gegenwärtige Stufe hinausstreben.
Nun wird aus der Rede ein Selbstgespräch. Es schließt mit “Und” an, denn des Willens Feuermacht steht in direktem Zusammenhang mit dem Willenswesen. Feuer ist das Bild für alle Transformationsprozesse und dadurch auch für das, was wie ein innerer “Jahreskreislauf” im Willenswesen brennt. Die Feuermacht, der Transformationswille, stählt die Triebe meines Geistes. Die Triebe meines Geistes sind meine geistigen Richtungs- und Wachstumskräfte. Sie sind das, wo es mich hintreibt. Interessanterweise hat das Wort zwei Bedeutungen. Der einen Bedeutung begegnen wir in der tierischen, der anderen in der pflanzlichen Natur: bei Mensch und Tier besagt “Trieb” ein unkontrollierbares körperliches Verlangen des Lebendigen, wie es zum Beispiel das triebhafte Begehren der Fortpflanzung ist. Bei den Pflanzen zeigt sich “Trieb” körperlich sichtbar. Es bezeichnet einen jungen Spross, der in eine Richtung wächst.
Meines Geistes Triebe sind die Triebe, die mein Geist sprossen lässt. Sie wachsen aus meinem Geist heraus — und lassen ihn selber wachsen. Drei Seelenfähigkeiten entsprossen meinem Geist: Denken, Fühlen und Wollen. Alle drei Seelenfähigkeiten müssen geschult, gestählt werden. Sie müssen — bildlich gesprochen — gezügelt werden: vom unbewusst tierischen Trieb zum offenbaren selbstlosen Pflanzenspross werden.
Die Geistes Triebe werden von der Feuermacht meines Willens gestählt. Sie werden stark, biegsam und glänzend wie Stahl gemacht. In diesem Wort klingt leise der mit dem Schwert gegen alles Unwahre und Ungute kämpfende Erzengel Michael an, dessen Fest in dieser Woche liegt. Arbeitet des Willens Feuermacht an den drei Seelenfähigkeiten, stählt sie, so entwickelt sich jede einzelne zu ihrem vollkommensten Ausdruck. Bleibe ich im Bild, wird das Denken ein glänzender Spiegel der Wahrheit, das Fühlen so stark, dass es das Gleichgewicht zwischen Sympathie und Antipathie halten kann und der Wille so geschmeidig, dass er sich lebendig den Gegebenheiten anpassen kann.
Mit den Trieben des Geistes ist ein übergeordnetes Ziel verbunden. Sie sollen Selbstgefühl gebären, damit ich mich in mir tragen kann. Meine Triebe des Geistes sind nicht nur meine geistigen Intentionen, sondern auch die tatsächlichen Äußerungen meiner Seelenfähigkeiten, meine Taten im weiteren Sinne. Durch jede Tat gewinne ich Selbstwahrnehmung. Sie spiegelt mich. Durch die Reaktionen, die meine Taten auslösen, bildet sich ein gefühltes, wahres Bild meines gegenwärtigen Wesens. Dieses Selbstgefühl ist nicht die aus dem Verstand geborene Vorstellung. Hier täusche ich mich leicht über mich selber. Selbstgefühl ist die fühlend wahrgenommene Sicherheit, dass ich bin. Nichts überzeugt uns von der Wahrheit der Existenz tiefgreifender, unbezweifelbarer als das Fühlen. Der Stein, den ich fühle hat unbedingte Realität. Ich werde von meinen Geistestrieben in meine eigene Wahrnehmbarkeit geboren. Ohne Selbstgefühl wäre ich zwar da, würde aber nichts von meinem Dasein wissen, denn nur wenn ich mich fühlen kann, bin ich für mich existent.
Ich werde hier nicht als Körper geboren, sondern als der sich fühlende Geist. Mein Selbstgefühl wird geboren, damit ich mich in mir tragen kann. Ein Mensch, der ein anderes Wesen in sich trägt, ist eine Mutter. Indem ich die Mutter bin, rundet sich dieses Mantra und schließt an das mütterliche Sein der Natur des Anfangs an. Ich trage mich als geistiges Wesen in mir, das als Selbstgefühl in Erscheinung tritt. Die Unterscheidung von zwei Instanzen: “mich” in “mir”, macht deutlich, dass in mir nunmehr noch jemand anderes anwesend ist. Diese geistige Immanenz in mir wird gerne der stille Beobachter genannt, der Keim meines Geistselbst.
Die neunte Stufe im Sternbereich – die Stufe der Seraphim
„Die erste Ordnung hat die Aufgabe, uns zur Liebe Gottes einzuladen; sie [besteht] aus den [Engeln], die [Gott] am nächsten sind, und sie erglüht außerordentlich in der Liebe zu Gott. Daher wird diese Ordnung Seraphim genannt, das bedeutet brennend. Zu dieser Ordnung werden diejenigen Heiligen gehören, die, einzig der Kontemplation hingegeben, frei dazu sind, den einzigen Gott zu lieben. …
Arbeite also, o Mensch, damit du durch die Glut der Liebe der Ordnung der Seraphim zugerechnet wirst …“ (Alanus ab Insulis, Übersetzt und veröffentlicht von Wolf-Ulrich Klünker unter dem Titel, „Alanus ab Insulis“, 1993, S. 53f).
Seraph mit sechs Flügeln, mittelalterliches Manuskript
Die Seraphim „Entflammer, Erglüher,“, auch Geister der All-Liebe genannt, sind die höchste der geistigen Hierarchien. Sie sind erhabene geistige Wesenheiten, die den unmittelbaren Anblick der Gottheit haben und niemals aus sich selbst heraus handeln, sondern treue Vollstrecker des göttlichen Willens sind. Ihre hebräische Bezeichnung, „die Brennenden“, wird im Tanach (der jüdischen “Bibel”) üblicherweise auch für Schlangen ( hebr. שָׂרָ֔ף sarap) verwendet. Ein Seraph wird üblicherweise mit sechs Flügeln dargestellt, aus denen oft nur ein Gesicht oder sogar nur ein Auge herausschaut.
“Man würde die Seraphim charakterisiert haben als Wesenheiten, bei denen es nicht Subjekt und Objekt gibt, sondern bei denen Subjekt und Objekt zusammenfällt, die nicht sagen würden: Außer mir sind Gegenstände -, sondern: Die Welt ist, und ich bin die Welt, und die Welt ist Ich -; die eben nur von sich wissen, und zwar so, daß diese Wesenheiten, diese Seraphim, von sich wissen durch ein Erlebnis, von dem der Mensch einen schwachen Nachglanz hat, wenn er, nun, sagen wir, die Erfahrung macht, die ihn in eine glühende Begeisterung versetzt.” (Lit.: GA 233a, S. 13)
„Und die Seraphim kommen in dem, was als Blitz aus der Wolke zuckt, oder in dem, was als Feuer in den vulkanischen Wirkungen zutage tritt, wirklich so zum Vorschein, daß eben ihre Unwahrnehmbarkeit in diesen gigantischen Wirkungen der Natur wahrnehmbar wird.“ (Lit.:GA 180, S. 103f)
Ist es die feurige, die ganze Welt als ihr Ich wahrnehmende Natur der Seraphim, die durch dieses Michaeli-Mantra klingt? Ist die All-Liebe das mütterliche Sein der Natur — und wirkt ihre Kraft im Selbstgefühl, das die Geistestriebe gebären?
Seraph im Seelenkalender-Jahreskreis mit Sechsteln
Die sechs Flügel könnten auf die Sechstel im Jahr deuten, die durch die vor- und nach-österliche Zeit zusammen mit der Halbjahresschwelle dem Jahr eingeprägt werden. Eine Bestätigung könnte der oben erwähnte Bedeutungszusammenhang des Wortes “Seraph” mit dem hebräischen Wort für Schlange, “Sarap” sein. Die Zeit, ihr lineares, dahingleitendes, Licht- und wärmetragendes und Leben rhythmisierendes Wesen, wird weltweit besonders gerne durch die Schlange ausgedrückt.
Das Mantra 26 Z und die erste Hierarchie
Das Mantra 26 Z ist das letzte des Sommer-Halbjahres, seine Vollendung und Krönung. Mir scheint, dass das Wesen der Seraphim darin als Vereinigung der Wirksamkeit der Throne und Cherubim zum Ausdruck kommt. Die Seraphim selber werden am Schluss als Ermöglicher der Selbstgefühls-Geburt erahnbar.
In der ersten Hierarchie scheinen mir die drei Seelenfähigkeiten in ihrer göttlichen Vollkommenheit anschaubar. Die Seraphim sind die Geister der All-Liebe, des göttlichen Fühlens. Die Cherubim sind die Geister der Harmonie, und ich denke, damit auch des göttlich ausstrahlenden Bewusstseins und Denkens und damit der geistigen Raum- und Wahrnehmungs-Welt. Sie sind der höchste Ausdruck des Sommer-Halbjahres. Die Throne sind die Geister des göttlichen Willens, der stetig sich drehenden Zeit, und damit der in stetigem Wandel befindlichen seelischen Innenwelt. Sie sind der höchste Ausdruck des Winter-Halbjahres. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Seraphim der höchste Ausdruck des ganzen Jahreskreises.
In den ersten Zeilen des Mantras 26 Z klingt die Willenskraft der Throne an, wie sie auch durch das Mantra 24 X spricht. In den mittleren Zeilen klingt die Bewusstseinskraft der Cherubim an, wie sie auch durch das Mantra 25 Y aufscheint. Die letzten Zeilen öffnen die Sicht auf das Werk der Seraphim. Nur durch das Werk der höchsten Hierarchie kann ich als irdischer Mensch meinen geistigen Menschen in mir tragen.
26 Z
Natur, dein mütterliches Sein, Ich trage es in meinem Willenswesen; |
24 X
… Der Weltengeist, er strebet fort … Und schafft aus Seelenfinsternis des Selbstsinns Willensfrucht. |
Throne
Geister des Willens, dargestellt als drehende feurige Räder Ich sehe sie als Wesen des göttlichen Willes — und als Ausdruck der geistigen Zeit-Welt |
Und meines Willens Feuermacht Sie stählet meines Geistes Triebe, |
25 Y
Ich darf nun mir gehören Und leuchtend breiten Innenlicht In Raumes und in Zeitenfinsternis. … |
Cherubim
Geister der Harmonie Dargestellt als Tetramorph, Viergetier Ich sehe sie als Wesen des göttlichen Bewusstseins und göttlichen Denkens – und als Ausdruck der geistigen Raum-Welt |
Dass sie gebären Selbstgefühl,
Zu tragen mich in mir. |
Seraphim
Geister der All-Liebe Ich sehe sie als Wesen des göttlichen Fühlens – und als Ausdruck der Einheit von Zeit und Raum im Geist |