Die spiegelnden Zwischenspruch-Mantren 6 F und 47 v
6 F Es ist erstanden aus der Eigenheit Mein Selbst und findet sich Als Weltenoffenbarung In Zeit- und Raumeskräften; Die Welt, sie zeigt mir überall Als göttlich Urbild Des eignen Abbilds Wahrheit. |
47 v Es will erstehen aus dem Weltenschoße, Den Sinnenschein erquickend, Werdelust. …. ….. Sie finde meines Denkens Kraft Gerüstet durch die Gotteskräfte, Die kräftig mir im Innern leben.….. |
Musik zum Mantra 6 F — unerbittlich-streng — komponiert von Herbert Lippmann
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Musik zum Mantra 47 v — folkloristisch — komponiert von Herbert Lippmann
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Gedanken zu den zwischen Licht- und Krisensprüchen stehenden Zwischensprüchen
Wie die Abbildung zeigt, liegen die Spiegelsprüche 6 F und 47 v jeweils zwischen einem Licht- und einem Krisenspruch. Diese je viermal im Jahr vorhandenen Mantren sind durch das übergreifende Thema von Licht- bzw. Krise herausgestellt. Doch auch durch ihre Position im Jahreskreis haben sie eine herausgehobene Stellung. Die Krisensprüche 7 G und 46 u, (ebenso wie die Krisensprüche 20 T und 33 g) markieren die Mitte ihrer Vierteljahre mit je 13 Wochen. Sie stehen jeweils an siebter und damit an mittlerer Stelle. Die Lichtsprüche 5 E und 48 w (ebenso wie die Lichtsprüche 22 V und 31 e) markieren ebenso eine Mitte. Sie bilden die Mitte ihres Sechstels im Jahr. Aber — gibt es diese Sechsgliedrigkeit im Jahr überhaupt? — Und wie kommt sie zustande? Die Sechsgliederung entsteht durch die bewegliche Osterzeit. Das Maß dieser Zeit wird durch das, was ich Ur-Sechstel nenne gebildet: durch die neun Wochen von Ostern bis Fronleichnam, denn Fronleichnam ist das letzte Fest, das sich mit dem Osterdatum verschiebt. Die Lichtspruchwoche 5 E nimmt in diesen neun Wochen die Mittelstellung ein — vier gehen ihr seit Ostern voraus und vier folgen bis Fronleichnam.
Die Mantren 6 F und 47 v stehen zwischen diesen beiden jeweils die Mitte ihrer Gliederung bildenden Mantren. Sie können dadurch als Vermittler zwischen der Gliederung des Jahres in Sechstel und der in Viertel verstanden werden.
Doch was drückt sich in diesen beiden Gliederungen durch die Teiler 4 und 6 aus? Worauf verweisen sie? Zwischen was vermitteln die Mantren 6 F und 47 v? Die Viergliedrigkeit des Jahres zeigt sich in den vier Jahreszeiten. Sie ist in den gemäßigten Breiten offensichtlich. Dabei ist es unerheblich, ob die vier Krisensprüche im Jahr als Mitte ihres Viertels oder als dessen Grenze betrachtet werden.
Eine Sechstelung des Jahres ist dagegen unbekannt. Die Grundlage dieser Gliederung findet sich in der zu Ostern gehörenden Zeit. Die neun Wochen des Ur-Sechstels von Ostern bis Fronleichnam geben im ersten Schritt auch der vorösterlichen Zeit ihr Maß. Nicht nur sieben Wochen wie durch Aschermittwoch allgemein bekannt, sondern neun Wochen umfasst desahlb nach meiner Meinung die vom Osterdatum bestimmte Zeit. Zur Osterscholle, wie ich die vor- und nachösterliche Zeit nenne, gehören also insgesamt 18 Wochen — zweimal neun. Sie werden vom Osterdatum und nicht vom Kalenderdatum beherrscht und bilden den auf der Abbildung zu sehenden Mond im Jahr. Diese 18 Wochen des Mondbereichs entsprechen in etwa einem Drittel des Jahres.
Im zweiten Schritt lässt sich diese Gliederung auf das ganze Jahr übertragen. Gemäß obiger Abbildung mit dem Osterfest unten liegen über dem Mond zwei weitere Sechstel, eines rechts, eines links. Sie bilden den Sonnenbereich des Jahres und enthalten den Kreismittelpunkt. Darüber liegen wiederum zwei zusammenhängende Sechstel, der Sternbereich, der ebenso wie der Mondbereich Licht- Zwischen- und Krisensprüche enthält. Diese Darstellung der Sechstel bildet die Grundlage, dass die Maria auf der Mondsichel, das Weib der Apokalypse des Johannes im Jahreskreis erscheint. Ihr Strahlengewandt ist der Sonnenbereich, ihre Krone von zwölf Sternen entspricht dem Sternbereich und der Mond bzw. Drache unter ihren Füßen wird in der Osterscholle sichtbar.
Dieses Weib erschauten die Menschen der alten Atlantis in der Sonne, wie Rudolf Steiner sagt: “In der Mitte der atlantischen Zeit empfand man so etwas wie das Sonnendasein natürlich ganz anders als heute. … Man sah wirklich das mit der Sonne bekleidete Weib, den Drachen unter ihren Füßen, ein Knäblein gebärend. Diejenigen, die so etwas sahen und verstanden, sagten sich: Das ist für den Himmel die Geburt des Christus, das ist für uns die Geburt unseres Ich — auch wenn dieses Ich erst viel später in das Innere des Menschen einzog.“ (Lit.: GA 346, S. 172ff)
Und dann gibt es noch einen Hinweis von Rudolf Steiner, dass die Sechs zur Sonne — und damit auch zu dem von der Sonne hervorgebrachten Jahreslauf gehört. Rudolf Steiner spricht von sechs Elohim, die auf der Sonnenwohnen. “Auf dieser Sonne konnten sich entwickeln sieben Hauptlichtgeister, die zu gleicher Zeit die gebenden Geister der Liebe waren. Nur sechs von ihnen nahmen auf der Sonne Wohnung; und das, was uns im Lichte der Sonne physisch zuströmt, enthält in sich die geistigen Liebeskräfte dieser sechs Lichtgeister oder der sechs Elohim, wie wir sie in der Bibel finden. Einer spaltete sich ab und ging einen anderen Weg zum Heile des Menschen, er wählte sich nicht die Sonne, sondern den Mond zu seinem Aufenthalte. Und dieser eine der Lichtgeister, der freiwillig auf das Sonnendasein verzichtete und sich den Mond wählte, ist kein anderer als derjenige, den das Alte Testament «Jahve » oder «Jehova » nennt. Dieser eine, der sich den Mond zum Aufenthalt wählte, ist derjenige, der vom Monde aus die reife Weisheit auf die Erde strömte und dadurch die Liebe vorbereitete.“ (Lit.: GA 103, S. 53f)
“Was ist daher diese Wesenheit, die uns im Beginne unserer Zeitrechnung als der Christus Jesus entgegentrat? Sie ist nichts anderes als die Verkörperung des Logos, der sechs anderen Elohim, denen vorbereitend der eine, der Jahve-Gott vorangegangen ist. Und diese eine Gestalt des Jesus von Nazareth, in welcher der Christus oder der Logos inkarniert war, bringt daher das, was früher immer nur von der Sonne auf die Erde herniederströmte, was nur im Sonnenlichte enthalten ist, sie bringt es in das Menschenleben, in die Menschheitsgeschichte selbst hinein: «Der Logos ward Fleisch». Das ist das, worauf das Johannes-Evangelium den größten Wert legt.“ (Lit.: GA 103, S. 54ff)
Könnte es also sein, dass die Vierteilung des Jahres zu Jahve/Jehova gehört, zumal auch der Mond als sein Wohnplatz einen viergegliederten Zyklus aufweist? Könnte es also sein, dass die zwischen Licht- und Krisenspruch liegenden Mantren 6 F und 47 v, die ich Zwischensprüche nenne, die Aufgabe haben, zwischen beiden zu vermitteln? Könnte es sein, dass sie die Macht der Sonne, die im Hexagonalen und im Lichtspruch erscheint, mit der Macht des Mondes, die in der Tetragonalität und im Krisenspruch erscheint harmonisieren — in Balance bringen?
Um das innere Stehen, um das labile Gleichgewicht des Bewusstseins scheint es mir im spiegelnden Mantrenpaar 6 F und 47 v zu gehen.
Über die Spiegelsprüche 6 F und 47 v
Nach der ersten ganz offensichtlich spiegelnden Zeile verlieren sich die Entsprechungen. Nur einige lockere Anklänge finden sich noch. Die Fäden zwischen beiden Mantren sind verhältnismäßig freilassen gewoben. Beide Mantren sind aus der Perspektive eines bewussten Ich-Sprechers geschrieben. Sie thematisieren deshalb Seelenaspekte, die vom Menschen bewusst gehandhabt werden müssen.
Das Mantra 6 F beginnt: “Es ist erstanden” und beschreibt damit einen eingetretenen Zustand. Dieses große “Ist” setzt sich durch das ganze Mantra fort. Das Mantra 47 v beginnt: “Es will erstehen” und beschreibt damit etwas Zukünftiges, sich prozesshaft Vorbereitendes. Und auch diese Zukunftsorientierung ist im ganzen Mantra zu erkennen.
Was meint das in beiden Mantren verwendete recht ungewöhnliche Verb “erstehen”? Stehen, aufstehen, entstehen, überstehen oder auferstehen sind Verben, die ein eindeutiges inneres Bild des Vorgangs erzeugen. Aber erstehen? Die Vorsilbe “er” findet sich in Worten, die einen neuen Zustand, ein Ankommen ans Ziel kommen beschreiben: er-kennen, er-raten, er-reichen, er-blicken, er-spüren oder er-tasten. “Erstehen” erzeugt in mir ein Bild des Stehens, das gleichzeitig fortgesetztes Erreichen der Aufrichte, ein Strecken beinhaltet. Im Wort “auferstehen” ist “erstehen” enthalten, jedoch ohne die Vorsilbe “auf”, ohne die auffliegende Bewegung.
Im Mantra 6 F ist das Selbst aus der Eigenheit erstanden. Der Prozess ist vollendet. Im Mantra 47 v liegt er noch in der Zukunft, die Werdelust will erst noch aus dem Weltenschoß erstehen. Aus der Eigenheit (6 F) zu erstehen klingt nach Weitung und Befreiung. Aus dem Weltenschoß zu erstehen erzeugt in mir ein Hervorgehen aus einem Umkreishaften. Was ist also das aus der Eigenheit erstandene Selbst und was ist die aus dem Weltenschoß erstehen wollende Werdelust?
Das Selbst (6 F) definiert Rudolf Steiner einmal als die Abspiegelung des rein geistigen Ichs am physischen Leib. Wenn das Selbst also aus der Eigenheit, aus der Begrenzung auf den eigenen Körper, erstanden ist, benötigt das Ich eine neue Möglichkeit der Abbildung. Und so findet sich das Selbst anschließend neu. Das Selbst findet sich als Weltenoffenbarung in den Kräften von Zeit und Raum. Zeit und Raum geben dem Ich nun die Grundlage, als körperloses Selbst in Erscheinung zu treten. Der Seelenkalender ist genau das: ein zeitlicher Begleiter durch das Jahr, der den Seelenraum beschreibt, in dem sich der Leser erkennen kann, wie es der Ich-Sprecher im Mantra über das eigene Selbst sagt.
Die Werdelust (47 v) könnte die aus dem zyklischen Charakter der Zeit, aus dem Weltenschoß entstehende lineare Zeit sein, die Veränderung will, statt die Wiederholung des ewig Gleichen. Dieses Erstehen-wollen der Werdelust geht einher mit Erquickung des Sinnenscheins — mit Erneuerung, Erfrischung Verjüngung des sichtbar Erscheinenden in der Welt. Diese irdische Welt ist von der geistigen Perspektive aus betrachtet Maya, Trug und Schein, der vom Menschen durchschaut werden sollte. Auch hier folgt nun ein Finden. Doch nicht die Werdelust muss sich neu finden, sondern die Denkkraft des im Mantra auftretenden Ich-Sprechers. Seine Denkkraft muss gerüstet sein, damit das Eintreffen der Werdelust diese Denkkraft nicht unvorbereitet vorfindet und sie mit einer Überfülle an neuen Sinnesreizen überrennt.
Im Mantra 6 F folgt nach dem Finden des Selbst als Weltenoffenbarung in Zeit- und Raumeskräften ein genauerer Blick auf diese neue Abspiegelung des Selbst. Dem Ich wird dadurch die Wahrheit dieses Bildes erkennbar. Die Welt zeigt dem Ich-Sprecher überall das göttliche Urbild. Nach diesem Urbild, so erkennt der Ich-Sprecher, ist der Mensch als Abbild geschaffen. Das eigene Abbild, das das Ich in Zeit und Raum erschaut, ist wahr. Die Welt zeigt es. Und die Welt erscheint ebenso transparent, und zwar durch das Erstehen des Selbst aus der Eigenheit. Die Welt wird für den Ich-Sprecher in ihrer Göttlichkeit, als göttliches Urbild erlebbar. Für den Ich-Sprecher ist eingetreten, was Erleuchtung genannt wird.
Im Mantra 46 v teilt der Ich-Sprecher mit, was nötig ist, damit seine Denkkraft dem Ansturm der Werdelust standhalten kann. Eine Dreiheit an Kraft-Worten folgt nun: Denkens Kraft, Gotteskräfte und kräftig.
Zunächst zum ersten dieser Kraft-Worte: Nicht seine Denkfähigkeit, sondern die Kraft seines Denkens muss gerüstet, vorbereitet sein. Was ist die Kraft des Denkens? Ich denke hier an Konzentrationskraft, Vorstellungskraft, die Kraft Zweifel zu ertragen, Fragen zu formulieren. Und ganz konkret denke ich daran, dass jeder Inhalt stets vor einem Hintergrund betrachtet wird, der oft unbewusst bleibt, die Schlussfolgerungen aber maßgeblich beeinflusst. Je nach “framing”, je nach erschaffenem Rahmen und zugrunde gelegter Annahmen, ergeben sich andere Denkergebnisse. Bewusst genutzt bietet diese Technik die Möglichkeit, den einen Inhalt durch den anderen besser zu verstehen. Wenn ich alte Kunstwerke wie die Pyramide in den Seelenkalender-Jahreskreis stelle und die Ecken der Pyramide so ausrichte, dass sie auf den Krisensprüchen stehen, so wende ich die Technik des Framings an. Doch nicht immer ist die Übereinstimmung beider Bilder von vornherein sichtbar. Dann müssen beide im Bewusstsein gehalten werden. Die Kraft, die dieses im Bewusstsein-halten benötigt, ist für mich die Kraft des Denkens.
Nun zum zweiten der Kraft-Worte: Gotteskräfte sind notwendig, um die Kraft des Denkens vorzubereiten, zu rüsten für den Ansturm der Werdelust. Was sind also die Gotteskräfte, die das Denken unangreifbar machen, ohne die es der Werdelust unmöglich gewachsen ist? Sogar eine Mehrzahl an göttlichen Kräften sind nötig, mindestens zwei. Vielleicht liegt die Antwort im spiegelnden Mantra 6 F. Vielleicht sind die geistigen Urbild-Kräfte von Zeit und Raum die Gotteskräfte, die das Denken unangreifbar machen für die Werdelust, die stetig neuen Sinnenschein hervorbringt.
Das dritte Kraft-Wort ist die Beschreibung, wie die Gotteskräfte im Innern leben sollen. die Gotteskräfte sollen im Innern nicht nur anwesend, also bewusst sein, sie sollen dort auch kräftig leben. Sie sollen im Denken Anwendung finden.
Das Mantra 6 F schildert in einem großen Jetzt, das durch die Erwähnung des erschauten göttlichen Urbilds auch die ferne Vergangenheit einschließt, das Heraustreten aus der Zeit, den Zustand der Erleuchtung. Die Zeit scheint hier stillzustehen in dem Augenblick der vollkommenen Überschau und Klarsicht. Doch die Zeit bleibt niemals stehen. Diesem Vorwärtsschreiten der Zeit muss begegnet werden können. Es reicht nicht aus, die Zeit einmal angehalten und die Klarsicht einmal gewonnen zu haben. Diesem Vorwärtsschreiten der Zeit wendet sich das Mantra 47 v zu. Es geht von der stetig erstehenden, erstehen wollenden Zeit aus und schildert, was notwendig ist, damit der Erleuchtungszustand auch zukünftig, unter veränderten zeitlichen Bedingungen, möglich ist.
Beide Mantren beschreiben die Wahrnehmung eines Ichs, das sich im Raum und in der Zeit wach erhalten kann. Im Mantra 6 F erschaut der Ich-Sprecher sein Selbst, indem er sich nicht nach innen, sondern der Welt zuwendet. Er erkennt ihre Göttlichkeit sowie die Wahrheit des eigenen Abbild-Seins. Im Mantra 47 v blickt der Ich-Sprecher nach innen, nachdem ihm die stetig sich entrollende Zeit mit ihrer Vielzahl an neu hervorgebrachten Sinneseindrücken bewusst geworden ist. Der Ich-Sprecher erkennt, dass er sich von der Zeit, der Werdelust nicht wegreißen und von den Sinneseindrücken nicht blenden lassen darf.