Die spiegelnden Mantren 14 N und 39 n

SOMMER

14 N

An Sinnesoffen­barung hingegeben

Ver­lor ich Eigenwesens Trieb,

Gedankentraum, er schien

Betäubend mir das Selb­st zu rauben,

Doch weck­end nahet schon

Im Sin­nen­schein mir Wel­tendenken.

 

39 n

An Geistesoffen­barung hingegeben

Gewinne ich des Wel­tenwesens Licht.

Gedankenkraft, sie wächst

Sich klärend mir mich selb­st zu geben,

Und weck­end löst sich mir

Aus Denker­ma­cht das Selb­st­ge­fühl.

Musik zum Mantra 14 N — verzaubernd — komponiert von Herbert Lippmann

Musik zum Mantra 39 n — sich ablösend — komponiert von Herbert Lippmann

Der nördliche und der südliche Einweihungsweg

Schon 1903 schreibt Rudolf Stein­er, dass die Ein­wei­hung den Mys­ten stets mit ein­er Zwei­heit an Kräften in Kon­takt bringt. Hier nen­nt er sie die Vater- und Mut­ter­mächte des Daseins: “Diese [die Einzuwei­hen­den] aber empfind­en dann in der Mys­te­rien-Ein­wei­hung die unmit­tel­bare Berührung mit den geisti­gen Urgrün­den, mit den Vater- und Mut­ter­mächt­en des Daseins.” (GA 34, S. 47f, Ergänzung A.F.)

An ander­er Stelle unter­schei­det er zwis­chen ein­er nördlichen und ein­er südlichen Ein­wei­hung. Die südliche legt den Schw­er­punkt auf den Weg nach Innen in den Mikrokos­mos der eige­nen Seele, die nördliche auf den Weg nach Außen und durch die Sinneswahrnehmung in den Makrokos­mos. Auf bei­den Ein­wei­hungswe­gen begeg­net der Men­sch Gefahren. Die eine ist der Ver­lust des Ichs, die andere über­steigert­er Egoismus.

Das Mantra 14 N spricht davon, dass der Trieb ver­loren ist, ein Eigen­we­sen zu sein — also das zu sein, was das alltägliche Ich-Erleben genan­nt wer­den kann. Rudolf Stein­er beschreibt etwas sehr ähn­lich­es als Gefahr der nördlichen Ein­wei­hung: „Heute ist das nicht mehr der Fall, aber in älteren Zeit­en war es, namentlich in den nordis­chen und west­lichen Gegen­den Europas, auch in unser­er Gegend, der Entwick­elung der in diesen Gegen­den wohnen­den Men­schen dur­chaus angemessen, durch eine Art Ekstase in die Geheimnisse der großen Welt einge­führt zu wer­den. Aber damit waren sie auch aus­ge­set­zt dem, was man Ver­lust des Ich nen­nen kön­nte. Doch war dieser Zus­tand nicht so gefährlich für die dama­li­gen Men­schen, weil sie mit ein­er gewis­sen ursprünglichen ele­mentaren, gesun­den Kraft behaftet waren und noch nicht so geschwächt waren in bezug auf ihre ursprünglichen See­lenkräfte, wie es die gegen­wär­tige Men­schheit durch ihre hochgr­a­di­ge Intellek­tu­al­ität ist. So wie diese Men­schen waren, haben sie alle diese gesteigerten Gefüh­le, die Hoff­nun­gen des Früh­lings, das Auf­jauchzen des Som­mers, die Wehmut des Herb­stes, die Todess­chauer des Win­ters durch­machen kön­nen und haben den­noch bis zu einem gewis­sen Grade ihr Ich behal­ten. Es mußte aber Vor­sorge getrof­fen wer­den für diejeni­gen, welche Lehrer wer­den soll­ten für die heutige Men­schheit, daß die Ein­wei­hung, das Hine­in­führen in den Makrokos­mos in ein­er anderen Weise noch geschehen kon­nte. Worauf es ankommt, wer­den Sie begreifen kön­nen, wenn Sie sich vorstellen, daß ja die Haupt­sache bei diesem Hin­ausleben in den Makrokos­mos der Ver­lust des Ich ist. Das Ich wird immer schwäch­er und schwäch­er; der Men­sch kommt schließlich in einen Zus­tand, wo er sich sel­ber als men­schliche Wesen­heit verliert.

Was mußte geschehen, damit der Men­sch sich nicht ver­lor? Es mußte ihm ger­ade die Kraft zuge­führt wer­den, die man als die Kraft des Ich beze­ich­net. Die Kraft, die schwäch­er wurde in sein­er eige­nen Seele, die Kraft des Ich, die mußte von außen zuge­führt wer­den. Und das geschah dadurch, daß diese nordis­chen Mys­te­rien immer so ver­liefen, daß der­jenige, der eingewei­ht wer­den sollte, die Unter­stützung genoß von Gehil­fen, die den ein­wei­hen­den geisti­gen Führer unter­stützten. Ein geistiger Führer mußte da sein, aber es mußten auch Gehil­fen da sein, die diesen geisti­gen Führer unter­stützten. Und diese Gehil­fen kamen auf fol­gende Weise zus­tande. Es wur­den Men­schen beson­ders erzo­gen, beson­ders vor­bere­it­et in der Art, daß der eine Men­sch zum Beispiel diejeni­gen inneren Erleb­nisse und Empfind­un­gen beson­ders stark durch­machte, die man durch­macht, wenn man sich hin­gibt alle dem, was man nen­nen kann die auf­s­prießende Natur des Früh­lings. Es ist früher gesagt wor­den, daß der Einzuwei­hende das nicht in genü­gend starkem Maße sel­ber tun kann. Deshalb wur­den Men­schen beson­ders erzo­gen, welche alle ihre See­lenkräfte so in den Dienst dieser nordis­chen Mys­te­rien stellen mußten, daß sie auf alles übrige verzichteten, also auf das, was Herb­st, Som­mer und Win­ter erleben lassen. Sie soll­ten alle ihre See­lenkräfte dazu ver­wen­den, um die Eige­nart der auf­s­prießen­den Früh­lingsnatur gefühlsmäßig zu erleben. Andere wur­den wiederum dazu ver­an­laßt, zu erleben das volle Leben des Som­mers, andere wur­den ver­an­laßt, zu erleben das volle Leben des Herb­stes, andere das­jenige des Win­ters. Es wurde also auf ver­schiedene Men­schen das verteilt, was ein Men­sch im Laufe des Jahres erleben kann. Dadurch hat­te man Men­schen, die ihr Ich in der ver­schieden­sten Weise gestählt, gestärkt hat­ten. Sie hat­ten dadurch, daß sie dieses Ich ver­stärkt ein­seit­ig hat­ten, Über­fluß an Ich-Kraft. Und nun wur­den sie nach gewis­sen Regeln mit dem­jeni­gen, der eingewei­ht wer­den sollte, so in Verbindung gebracht, daß sie ihre über­schüs­sige Ich-Kraft ihm hingaben, daß diese auf ihn zus­trömte. So daß der Einzuwei­hende, der den Jahres­lauf durch­machen sollte, das Jahr so durch­lebte, daß er zu gewis­sen höheren Erken­nt­nis­sen des Makrokos­mos hin­aufge­führt wurde, während seinem Ich die Ich-Kräfte des Ein­wei­hung­s­priesters und sein­er Gehil­fen zus­trömten. Es ergoß sich in die Seele des Einzuwei­hen­den das, was die anderen ihm geben konnten.

Wenn man einen solchen Vor­gang ver­ste­hen will, dann muß man sich allerd­ings einen Begriff davon machen kön­nen, mit welch­er Hingabe und Aufopfer­ung in jenen alten Zeit­en in den Mys­te­rien gear­beit­et wor­den war. Von jen­er Hingabe, von jen­er Aufopfer­ung ist in der heuti­gen exo­ter­ischen Welt nicht viel zu find­en. Früher haben sich Men­schen willig dazu hergegeben, ein­seit­ig ihr Ich zu ver­stärken, damit sie die Kraft dieses Ich abgeben kon­nten an den einen, der eingewei­ht wer­den sollte und von ihm dann erfahren kon­nten, was er erlebt hat­te, indem er hin­auf­stieg in eine Ekstase, die aber jet­zt keine Ekstase mehr war, weil ihm fremde Ich-Kräfte zugeströmt sind, son­dern es war ein bewußtes Hin­auf­steigen in den Makrokos­mos. Es waren zwölf Men­schen, drei Frühlings‑, drei Sommer‑, drei Herbst‑, drei Win­ter­men­schen notwendig, welche ver­schieden aus­ge­bildete Ich-Kräfte dem Einzuwei­hen­den zusandten, der sich so in die höheren Wel­ten hin­au­flebte und der dann aus den Erfahrun­gen her­aus, die er da machte, mit­teilen kon­nte, wie es in den höheren Wel­ten aussieht.“ (Lit.: GA 119, S. 153ff, Her­vorhe­bun­gen A.F.)

Diese Ein­wei­hung wurde im Hochsom­mer gesucht. Rudolf Stein­er sagt: “Und eben­so wußte man in jen­er Zeit, daß der … Zus­tand in der Hochsom­mer­szeit vorhan­den ist, in der Joh­an­nizeit, Ende Juni. Da hat die Erde am meis­ten aus­geat­met. Da hat die Erde an den außerirdis­chen Kos­mos ihre Seele hingegeben. Von der Wei­h­nacht­szeit bis zur Joh­an­nizeit nimmt man immer wahr das Hin­ausat­men des Seel­is­chen in den weit­en Wel­tenraum. Die Seele der Erde strebt den Ster­nen zu. Die Seele der Erde will das Leben der Sterne ken­nen­ler­nen. Und die Seele der Erde ist in ihrer Art am meis­ten ver­bun­den durch das Licht der Som­mer­son­ne mit den Stern­be­we­gun­gen der Joh­an­nizeit. Das hat man in gewis­sen Gegen­den in alten Zeit­en, Tausende von Jahren vor dem Mys­teri­um von Gol­gatha wahrgenom­men. Das kon­nte man erken­nen. Und aus diesem Erken­nen ging die Pflege der Som­mermys­te­rien hervor.

In den Som­mermys­te­rien, in den Johan­nes­mys­te­rien, die ins­beson­dere im Nor­den gepflegt wor­den sind, in den Hochsom­mermys­te­rien sucht­en die Schüler der Eingewei­ht­en unter dem Rate der Eingewei­ht­en, ihrer Ini­ti­ierten, der Erdenseele in die Ster­nen­weit­en zu fol­gen, um von den Ster­nen zu lesen, welche geisti­gen Geschehnisse, welche geisti­gen Tat­sachen mit der Erde ver­bun­den sind.” (GA 226, S. 102f)

Bei der südlichen Ein­wei­hung, auf dem Weg nach Innen ging es um die Geburt des höheren Selb­st. Rudolf Stein­er ver­gle­icht dieses innere Erleb­nis mit dem Wei­h­nacht­sereig­nis: “Die Augen des Geistes wer­den dem Eingewei­ht­en geöffnet. Es tut sich ihm in Licht und Farbe eine Welt des Geistes auf, eine ganz neue, viel größere Welt als die physis­che, mit allen ihren Wesen und Bewohn­ern. Alle Dinge scheinen ihm belebt. In diesem Augen­blick erleben die Eingewei­ht­en die Geburt ihres höheren Selb­st. Das nan­nte man das innere Chris­tus-Fest. Was diese Auser­wählten erleben kon­nten und was die Eingewei­ht­en auch heute noch erleben kön­nen, war für die andern, in den kleinen Mys­te­rien, ein Ide­al, das sie alle zu erre­ichen hof­fen durften, der eine bald, der andere später. Wer weiß, daß jed­er viele Leben durchzu­machen hat, der kann gewiß sein, daß auch in ihm seine Erweck­ung, jene Ein­wei­hung ein­mal Wirk­lichkeit wer­den wird; daß die Erweck­ung des Chris­tus in ihm erre­icht wer­den wird, die Wei­h­nacht, da das Licht in seinem Inneren leucht­en wird. Dann wird sich jen­er Spruch aus dem Johannes-Evan­geli­um umkehren: Und das Licht wird in der Fin­ster­n­is begrif­f­en wer­den.” (GA 97, S. 79, Her­vorhe­bun­gen A.F.)

Das Zusammenwirken von Denken und Wille

Die Mantren 14 N und 39 n sind sowohl Spiegel- als auch Gegen­sprüche zueinan­der. Zum einen entsprechen sie sich in ihrer Gram­matik und regen dadurch das Denken an, zum anderen tra­gen sie densel­ben Buch­staben, das “N” in der Über­schrift und liegen sich im Jahreskreis gegenüber, worin ich Wil­len­squal­ität aus­ge­drückt sehe. Rudolf Stein­er beschreibt, dass Denken und Wille auf bedeut­same Art zusammenwirken:

“Der Men­sch ste­ht da in der Welt auf der einen Seite als ein Betra­ch­t­en­der, auf der anderen Seite als ein Han­del­nder, zwis­chen drin­nen ste­ht er mit seinem Fühlen. Er ist auf der einen Seite mit seinem Fühlen hingegeben an das­jenige, was sich sein­er Betra­ch­tung ergibt, auf der anderen Seite ist er mit seinem Fühlen wiederum beteiligt an seinem Han­deln. … Nur dadurch, daß wir betra­ch­t­ende Wesen sind, wer­den wir im voll­sten Sinne des Wortes eigentlich Men­sch. … Zu denken, daß wir die Welt nicht betra­cht­en kön­nen, würde bedeuten, daß wir unser ganzes Men­sch­sein von uns abtun müssen. Als han­del­nde Men­schen ste­hen wir drin­nen im sozialen Leben. Und im Grunde genom­men hat alles das, was wir zwis­chen Geburt und Tod voll­brin­gen, eine gewisse soziale Bedeutung.

Nun wis­sen Sie, daß, insofern wir betra­ch­t­ende Wesen sind, in uns der Gedanke lebt, insofern wir han­del­nde Wesen sind, also auch insofern wir soziale Wesen sind, in uns der Wille lebt. … In allem Wil­len­sar­ti­gen lebt das Gedanke­nar­tige, in allem Gedanklichen lebt das Wil­len­sar­tige. Und es ist dur­chaus notwendig, daß man ger­ade über die hier in Frage kom­menden Dinge sich klar werde, wenn man jene Brücke, von der ich hier jet­zt schon so oft gesprochen habe, im Ern­ste bauen will, die Brücke zwis­chen der moralisch-geisti­gen Wel­tord­nung und der physisch-natür­lichen Ord­nung.

… Die Art und Weise, wie wir die Gedanken verknüpfen und voneinan­der lösen, die Art und Weise, wie wir inner­lich die Gedanken ver­ar­beit­en, wie wir urteilen, wie wir Schlüsse ziehen, wie wir uns über­haupt im Gedanken­leben ori­en­tieren, das ist unser, ist uns eigen. Der Wille in unserem Gedanken­leben ist unser eigener.

Wenn wir auf dieses Gedanken­leben hin­blick­en, so müssen wir uns ger­ade bei ein­er sorgfälti­gen Selb­st­prü­fung sagen …: Die Gedanken kom­men uns von außen ihrem Inhalte nach, die Bear­beitung der Gedanken, die geht von uns aus. … Es ist für die Erfül­lung dessen, was Selb­sterken­nt­nis von uns Men­schen will, im hohen Grade bedeut­sam, wenn wir auseinan­der­hal­ten, wie auf der einen Seite uns von der Umwelt der Gedanken­in­halt kommt, wie auf der anderen Seite aus unserem Inneren in die Gedanken­welt ein­strahlt die Kraft des Wil­lens, die von innen kommt.

Wie wird man eigentlich inner­lich immer geistiger und geistiger? … Geistiger wird man durch die innere wil­lens­gemäße Arbeit inner­halb der Gedanken. … Und je stärk­er, je inten­siv­er dieses innere Wil­lensstrahlen wird in dem Ele­mente, wo eben die Gedanken sind, desto geistiger wer­den wir. Wenn wir Gedanken von der äußeren physisch-sinnlichen Welt aufnehmen…, dann wer­den wir dadurch … unfrei, denn wir wer­den hingegeben an die Zusam­men­hänge der äußeren Welt; … erst in der inneren Ver­ar­beitung wer­den wir frei.

Nun gibt es eine Möglichkeit, ganz frei zu wer­den, frei zu wer­den in seinem inneren Leben, wenn man den Gedanken­in­halt, insofern er von außen kommt, möglichst auss­chließt, immer mehr und mehr auss­chließt, und das Wil­lense­le­ment, das im Urteilen, im Schlüsseziehen unsere Gedanken durch­strahlt, in beson­dere Regsamkeit ver­set­zt. Dadurch aber wird unser Denken … das reine Denken. Wir denken, aber im Denken lebt nur Wille. … Das­jenige, was da in uns lebt, lebt in der Sphäre des Denkens. Aber wenn es reines Denken gewor­den ist, ist es eigentlich eben­sogut als rein­er Wille anzus­prechen. So daß wir auf­steigen dazu, uns vom Denken zum Willen zu erheben, wenn wir inner­lich frei wer­den, daß wir gewis­ser­maßen unser Denken so reif machen, daß es ganz und gar durch­strahlt wird vom Willen … Auf diese Weise heben wir uns her­aus aus der physisch-sinnlichen Notwendigkeit, durch­strahlen uns mit dem, was uns eigen ist und bere­it­en uns vor für die moralis­che Intu­ition. Und auf solchen moralis­chen Intu­itio­nen beruht doch alles das, was den Men­schen von der geisti­gen Welt aus zunächst erfüllen kann. Es lebt also auf das­jenige, was Frei­heit ist, dann, wenn wir ger­ade in unserem Denken immer mächtiger und mächtiger wer­den lassen den Willen.

Betra­cht­en wir den Men­schen von dem anderen Pol aus, von dem Wil­len­spol. Der Wille, wann tritt er durch unser Han­deln uns beson­ders klar vor das See­le­nauge? … Je mehr wir aus unserem Organ­is­chen her­aus­ge­hen und überge­hen zur Tätigkeit, die vom Organ­is­chen gewis­ser­maßen los­gelöst ist, desto mehr tra­gen wir in unser Han­deln die Gedanken hinein. Das Niesen steckt noch ganz im Organ­is­chen drin­nen, das Sprechen steckt zum großen Teil im Organ­is­chen drin­nen, das Gehen schon sehr wenig, das­jenige, was wir mit den Hän­den vol­lziehen, auch sehr wenig. Und so geht es allmäh­lich über in immer mehr und mehr vom Organ­is­chen in uns los­gelöste Hand­lun­gen. Diese Hand­lun­gen, die ver­fol­gen wir mit unseren Gedanken, wenn wir auch nicht wis­sen, wie der Wille in diese Hand­lun­gen hinein­schießt. … Wir tra­gen in unser Han­deln die Gedanken hinein, und je mehr sich unser Han­deln aus­bildet, desto mehr tra­gen wir die Gedanken in unser Han­deln hinein.

Sie sehen, wir wer­den immer inner­lich­er und inner­lich­er, indem wir unsere Eigenkraft als Wille in das Denken hinein­schick­en, das Denken gewis­ser­maßen ganz vom Willen durch­strahlen lassen. Wir brin­gen den Willen in das Denken hinein und gelan­gen dadurch zur Frei­heit. Wir gelan­gen dazu, indem wir immer mehr und mehr unser Han­deln aus­bilden, in dieses Han­deln die Gedanken hineinzu­tra­gen. Wir durch­strahlen unser Han­deln, das ja aus unserem Willen her­vorge­ht, mit unseren Gedanken. Auf der einen Seite, nach innen, leben wir ein Gedanken­leben; das durch­strahlen wir mit dem Willen und find­en so die Frei­heit. Auf der anderen Seite, nach außen, fließen unsere Hand­lun­gen von uns aus dem Willen her­aus; wir durch­set­zen sie mit unseren Gedanken.

Aber wodurch wer­den denn unsere Hand­lun­gen immer aus­ge­bilde­ter? … Wir kom­men zu einem immer vol­lkommeneren Han­deln eigentlich dadurch, daß wir diejenige Kraft in uns aus­bilden, die man nicht anders nen­nen kann als Hingabe an die Außen­welt. Je mehr unsere Hingabe an die Außen­welt wächst, desto mehr regt uns diese Außen­welt an zum Han­deln. … Was ist Hingabe an die Außen­welt? Hingabe an die Außen­welt, die uns durch­dringt, die unser Han­deln mit den Gedanken durch­dringt, ist nichts anderes als Liebe.

Ger­adeso wie wir zur Frei­heit kom­men durch die Durch­strahlung des Gedanken­lebens mit dem Willen, so kom­men wir zur Liebe durch die Durch­set­zung des Wil­lenslebens mit Gedanken. Wir entwick­eln in unserem Han­deln Liebe dadurch, daß wir die Gedanken hine­in­strahlen lassen in das Wil­lens­gemäße; wir entwick­eln in unserem Denken Frei­heit dadurch, daß wir das Wil­lens­gemäße hine­in­strahlen lassen in die Gedanken. Und da wir als Men­sch eine Ganzheit, eine Total­ität sind, so wird, wenn wir dazu kom­men, in dem Gedanken­leben die Frei­heit und in dem Wil­lensleben die Liebe zu find­en, in unserem Han­deln die Frei­heit, in unserem Denken die Liebe mitwirken. Sie durch­strahlen einan­der, und wir vol­lziehen ein Han­deln, ein gedanken­volles Han­deln in Liebe, ein wil­lens­durch­set­ztes Denken, aus dem wiederum das Hand­lungs­gemäße in Frei­heit entspringt.

Sie sehen, wie im Men­schen die zwei größten Ide­ale zusam­menwach­sen, Frei­heit und Liebe. Und Frei­heit und Liebe sind auch das­jenige, was eben der Men­sch, indem er daste­ht in der Welt, in sich so ver­wirk­lichen kann, daß gewis­ser­maßen das eine mit dem anderen sich ger­ade durch den Men­schen für die Welt verbindet. .…

Alte Tra­di­tio­nen sprechen ger­ade hier bei dem, was Gedanken­leben ist, was in seinem Bild­da­sein angewiesen ist, vom Willen durch­strahlt zu wer­den, um zur Real­ität zu wer­den — alte Vorstel­lun­gen sprechen hier von Schein (siehe Zeichnung).

Sehen wir uns den anderen Pol des Men­schen an, wo die Gedanken nach dem Wil­lens­mäßi­gen hin­strahlen, wo in Liebe die Dinge voll­bracht wer­den: da prallt gewis­ser­maßen unser Bewußt­sein an der Real­ität ab. Sie kön­nen nicht hinein­schauen in jenes Reich der Fin­ster­n­is — für das Bewußt­sein das Reich der Fin­ster­n­is -, wo der Wille sich ent­fal­tet… Sie bewe­gen Ihren Arm; aber was da Kom­pliziertes vorge­ht, das bleibt dem gewöhn­lichen Bewußt­sein ger­adeso unbe­wußt wie die Dinge des tiefen Schlafes, der traum­los ist. … Das Reale aber ist es, in dem wir leben, und das nicht ins gewöhn­liche Bewußt­sein her­auf­s­trahlt. Alte Tra­di­tio­nen sprachen hier von Gewalt, weil das­jenige, in dem wir als Real­ität leben, zwar von dem Gedanken durch­set­zt wird, aber der Gedanke doch in ein­er gewis­sen Weise in dem Leben zwis­chen Geburt und Tod davon abgeprallt ist (siehe Zeichnung).

Zwis­chen bei­den drin­nen liegt der Aus­gle­ich, liegt das­jenige, was den Willen, der gewis­ser­maßen nach dem Haupte strahlt, die Gedanken, die sozusagen mit dem Herzen, in unserem Han­deln in Liebe erfühlt wer­den, was diese bei­den miteinan­der verbindet: das gefühlsmäßige Leben, das sowohl nach dem Wil­lens­mäßi­gen hinzie­len kann, wie nach dem Gedanken hinzie­len kann. Wir leben in einem Ele­mente im gewöhn­lichen Bewußt­sein, wodurch wir auf der einen Seite das­jenige erfassen, was in unserem zur Frei­heit hin­neigen­den, wil­lens­durch­set­zten Denken zum Aus­druck kommt, auf der anderen Seite, wo wir ver­suchen, immer gedanken­voller das­jenige zu haben, was in unser Han­deln überge­ht. Und was die Verbindungs­brücke zwis­chen bei­den bildet, das nan­nte man von alten Zeit­en her die Weisheit (siehe Zeichnung).

… Was aber geht denn eigentlich vor, indem der Men­sch sein Gedanken­leben entwick­elt? Eine Real­ität wird zum Schein. … Wir tra­gen in unserem Haupte zwis­chen Geburt und Tod das­jenige, was aus ein­er Vorzeit, wo es Real­ität war, here­in­ragt als Schein, und wir durch­strahlen von unserem übri­gen Organ­is­mus den Schein mit dem realen Ele­mente, das aus unserem Stof­fwech­sel kommt, mit dem realen Ele­mente des Wil­lens. Da haben wir eine Keim­bil­dung, die zunächst in unserem Men­schen­tum abläuft, die aber eine kos­mis­che Bedeu­tung hat. … Das ist das­jenige, wodurch die in den Schein erster­bende Ver­gan­gen­heit wiederum angeregt wird durch das, was im Willen erstrahlt, zur Real­ität der Zukunft.

Ver­ste­hen wir recht: Was geschieht, wenn der Men­sch sich zum reinen, das heißt, wil­lens­durch­strahlten Denken erhebt? In ihm entwick­elt sich auf Grund­lage dessen, was der Schein aufgelöst hat ‑der Ver­gan­gen­heit —, durch die Befruch­tung mit dem Willen, der aus sein­er Ich­heit auf­steigt, eine neue Real­ität in die Zukun­ft hin. Er ist der Träger des Keimes in die Zukun­ft. Der Mut­ter­bo­den gewis­ser­maßen sind die realen Gedanken der Ver­gan­gen­heit, und in diesen Mut­ter­bo­den wird versenkt das­jenige, was aus dem Indi­vidu­ellen kommt, und der Keim wird in die Zukun­ft geschickt zum zukün­fti­gen Leben.

Und auf der anderen Seite entwick­elt der Men­sch, indem er seine Hand­lun­gen, sein Wil­lens­gemäßes mit Gedanken durch­set­zt, das­jenige, was er in Liebe voll­bringt. Es löst sich von ihm los. Unsere Hand­lun­gen bleiben nicht bei uns. Sie wer­den Welt­geschehen; wenn sie von Liebe durch­set­zt sind, dann geht die Liebe mit ihnen. … Indem wir aus dem Schein durch die Befruch­tung des Wil­lens das­jenige entwick­eln, was aus unserem Inneren her­vorge­ht, trifft das, was da gewis­ser­maßen aus unserem Kopfe fort­strömt in die Welt, auf unsere gedank­endurch­set­zten Hand­lun­gen auf. Ger­adeso wie wenn eine Pflanze sich entwick­elt, in ihrer Blüte der Keim ist, den außen das Licht der Sonne tre­f­fen muß, den außen die Luft tre­f­fen muß und so weit­er, dem etwas ent­ge­genkom­men muß aus dem Kos­mos, damit er wach­sen kann, so muß das­jenige, was durch die Frei­heit entwick­elt wird, durch die ent­ge­genk­om­mende, in den Hand­lun­gen lebende Liebe ein Wach­s­tum­se­le­ment find­en (siehe Zeichnung).

So ste­ht der Men­sch tat­säch­lich drin­nen in dem Wel­tenwer­den, und was inner­halb sein­er Haut geschieht, und was aus sein­er Haut aus­fließt als Hand­lun­gen, das hat nicht bloß eine Bedeu­tung an ihm, das ist Welt­geschehen. Er ist hineingestellt in das kos­mis­che, in das Welt­geschehen. Indem das­jenige, was in der Vorzeit real war, zum Schein im Men­schen wird, löst sich fortwährend Real­ität auf, und indem dieser Schein wiederum befruchtet wird durch den Willen, entste­ht neue Real­ität.” (GA 202, Zwölfter Vor­trag, Her­vorhe­bun­gen A.F.)

Über die Spiegelsprüche 14 N und 39 n

Die Mantren 14 N und 39 n spiegeln nicht nur, wie die anderen Mantren-Paare, sie tra­gen auch als einziges Spiegel­spruch-Paar den gle­ichen Buch­staben – das “N” — in der Über­schrift. Dadurch heben sie sich von den anderen Mantren-Paaren ab. Auf­grund dieser Beson­der­heit beze­ichne ich bei­de Mantren zusam­men als die Schwelle. Bei­de gren­zen an Scheit­elpunk­te des See­lenkalen­der-Jahreskreis­es. Das Mantra 14 N ist das erste nach dem oberen Scheit­elpunkt, also das erste auf dem absteigen­den Kreis­bo­gen. Das Mantra 39 n ist das let­zte Mantra dieses Kreis­bo­gens. Es ste­ht vor dem unteren Scheit­elpunkt des Jahreskreis­es. Danach begin­nt der auf­steigende Kreis­bo­gen. Das Mantra 39 n gehört zur Woche des Jahreswech­sels und fol­gt auf das Weihnachtsmantra.

Bei­de Mantren nehmen die Per­spek­tive eines wachen Ich-Sprech­ers ein und behan­deln deshalb Prozessen, die im Bewusst­sein stattfinden.

In bei­den Mantren ist der Ich-Sprech­er an etwas hingegeben. Im Mantra 14 N an die Sinnesoffen­barung, im Mantra 39 n an die Geistesoffen­barung. Sowohl Sinne als auch Geist ver­mit­teln Offen­barung. Sie ver­mit­teln das in ihnen ver­bor­gene, das sich öffnet, sich zeigt und im Licht erscheint. In bei­den Mantren ist der Ich-Sprech­er der Offen­barung hingegeben. Er gibt sich ganz diesem Erleben hin, ord­net sich als Emp­fan­gen­der unter. Im Mantra 14 N führte die Hingabe dazu, dass der Ich-Sprech­er etwas in der Ver­gan­gen­heit ver­lor, im Mantra 39 n gewin­nt er etwas in der Gegen­wart. Im Mantra 14 N ver­lor er Eigenwesens Trieb, im Mantra 39 n gewin­nt er des Wel­tenwesens Licht. In einem Fall ver­lor er etwas dem einzel­nen Men­schen zuge­höriges, im anderen Fall gewin­nt er etwas all­ge­meines, Weltumfassendes.

Das Mantra 14 N ähnelt damit den Krisen­sprüchen, denn es wird eine Gefahr geschildert und anschließend die Lösung. Während der Ich-Sprech­er an die Sin­nesof­fen­barung hingegeben war, ver­lor er den Trieb, ein Eigen­we­sen zu sein. Er ver­lor den im Äther­leib vorhan­de­nen Trieb, also das Bestreben, — auf­grund der als per­sön­lichen Besitz erlebten Leben­skraft — sich als ein abge­gren­ztes, der Welt gegenüber­ste­hen­des, eigen­ständi­ges Wesen zu erleben. Damit klingt die Gefahr des Ich-Ver­lustes an, wie sie Rudolf Stein­er für die nördliche Ein­wei­hung schildert. Durch extatis­che Hingabe an die Wahrnehmung — die Sin­nesof­fen­barung — dro­ht der Bezug zum eige­nen Inneren ver­loren zu gehen.

Das Mantra 39 n ähnelt den Licht­sprüchen, denn der Ich-Sprech­er gewin­nt Licht. Er gewin­nt das Licht des Wel­tenwe­sens. Ich ver­ste­he den Chris­tus als das Wel­tenwe­sen, denn mit sein­er Grable­gung und Aufer­ste­hung ist er der Geist der Erde und des Kos­mos, also der Welt geworden.

Dann fol­gt im Mantra 14 N “Gedanken­traum”, im Mantra 39 n “Gedankenkraft”. Der Gedanken­traum ist das traumhaft unbe­wusste Vorstel­lungs­bild im Denken. Die Gedankenkraft ist das vom Willen bewusst geführte Denken. Der Gedanken­traum (14 N) schien zu betäuben und das Selb­st zu rauben. Eine Betäubung raubt dem Men­schen seine Fähigkeit, bewusst wahrzunehmen, sich der Welt als Ich gegenüber zu stellen. Dadurch ver­liert er den Leib als Spiegelungsap­pa­rat für sein Ich, das laut Rudolf Stein­er als Selb­st erlebt wird.

Ein zweistu­figer Ver­lust wird im Mantra 14 N geschildert: der Trieb ging ver­loren, das Selb­st schien betäubt und ger­aubt. Der Trieb entstammt dem Äther­leib. Durch die Hingabe an die Sin­nesof­fen­barung ging der Trieb, ein Eigen­we­sen zu sein, ver­loren. Das gehört zum Wahrnehmungsvor­gang, denn der Men­sch geht wahrnehmend aus sich her­aus und wird eins mit dem Wahrnehmungs­ge­gen­stand. Die daraufhin unbe­wusst, traumhaft gebilde­ten Vorstel­lungs­bilder scheinen das Selb­st zu rauben und gle­ichzeit­ig betäubend zu wirken. Rudolf Stein­er sagt: “Wessen Kräfte nicht gestählt sind, wenn er die «Schwelle» betritt, der empfind­et nicht die Wirk­lichkeit der ewigen, geisti­gen Gewal­ten, die ihm da ent­ge­gen­treten. Statt sich zu verbinden mit ein­er höheren Welt, fällt er in die niedere zurück.” (GA 34 S. 56) Und an ander­er Stelle: “Und daß sie [math­e­ma­tis­che Vorstel­lun­gen] uns für unser Bewußt­sein als real erscheinen, das rührt davon her, daß sie vom Willen durch­strahlt sind. Diese Durch­strahlung des Wil­lens macht sie real.” (GA 202, Zwölfter Vortrag)

Das Durch­strahlen mit dem Willen fehlt dem gedanklichen Vorstel­lungs­bild also. Deshalb ist es Traum, weil es nicht bewusst wil­lentlich erschaf­fen wurde. Und weil das Erleben der eige­nen Kraft im Erschaf­fen man­gel­haft ist, fehlt die Selb­st­wahrnehmung, weshalb das Selb­st ger­aubt scheint. Die Vorstel­lung wird dadurch zu ein­er von außen pas­siv aufgenomme­nen. So lange die Seele an dieser Vorstel­lung fes­thält, sie nicht hin­ter­fragt, bleibt ihre Eige­nak­tiv­ität gelähmt, betäubt.

Im Mantra 39 n wird die gegen­teilige Sit­u­a­tion im Denken geschildert. Hier wächst die Gedankenkraft, klärt sich und gibt dem Ich-Sprech­er sich selb­st. Das geschieht, weil das Licht des Wel­tenwe­sens durch die Hingabe an die Geis­te­sof­fen­barung gewon­nen wird. Dieser Ich-Sprech­er empfängt bere­its Offen­barun­gen aus dem Geist. Er ist einen Schritt weit­er, kön­nte man sagen. Lese ich das Mantra jedoch als Beschrei­bung des Weges nach innen, kön­nte es sich auch um die Offen­barun­gen des eige­nen Geistes han­deln — und diese liegen der Seele viel näher als die Geis­terken­nt­nis hin­ter der Sin­nesof­fen­barung. Den Geis­te­sof­fen­barun­gen gibt sich der Ich-Sprech­er hin und gewin­nt dadurch das Licht, das zum Wel­tenwe­sen gehört — das von ihm ausströmt.

Möglicher­weise han­delt es sich bei diesem Licht um das Licht aus Geis­testiefen (31 e und 5 E), das ich als das Licht des Bewusst­seins beschrieben habe. Es entste­ht durch latente Abster­be­prozesse des Kör­pers, durch die Ätheri­sa­tion des Blutes, wie Rudolf Stein­er es beschreibt. Dadurch ist es Licht, das von der Materie kommt, von der irdis­chen Welt — vom Wel­tenwe­sen. Ich denke hier an den Rosenkreuzer­spruch: «Ex deo nascimur — In Chris­to morimur — Per spir­i­tum sanc­tum reviviscimus» (Aus dem Gotte sind wir geboren — In dem Chris­tus ster­ben wir — Durch den Heili­gen Geist wer­den wir aufer­ste­hen). Indem das Leben stirbt, erste­ht es als Licht, als Bewusst­seinslicht. Wer also an Geis­te­sof­fen­barung, an die Offen­barung des Ewigen, Unwan­del­baren, des Nicht-Leben­den und sich nicht Entwick­el­nden — an den “Vater” hingegeben ist, der gewin­nt das Licht des Wel­tenwe­sens, des Chris­tus. Und fast selb­stre­dend wächst durch das zunehmende Bewusst­sein die Gedankenkraft. Je mehr Fra­gen schon durch­dacht wur­den, desto klar­er wird die Erken­nt­nis. Die Gedankenkraft klärt sich dadurch. Und je inten­siv­er das Denken betätigt wird, desto stärk­er erlebt sich der Men­sch als der­jenige, der denkt. Die Gedankenkraft gibt dem Men­schen sich selb­st. Aus Bewusst­sein wird Selb­st­be­wusst­sein. Aus der astralen Bewusst­sein­skraft wird das vom Ich durch­strahlte Selbstbewusstsein.

In bei­den Mantren wirkt jet­zt etwas weck­end. Im Mantra 14 N ist es das Wel­tendenken, im Mantra 39 n das Selb­st­ge­fühl. Im Mantra 14 N ste­ht dieses Weck­en im Gegen­satz zur vorher beschriebe­nen Gefahr des dro­hen­den Selb­stver­lusts — das Weck­ende wird mit “Doch” ein­geleit­et. Im Mantra 39 n ist das Weck­en ein näch­ster Schritt — das Weck­ende ist durch “Und” ver­bun­den mit dem vorher gesagten. Im Mantra 14 N naht das Weck­ende, im Mantra 39 n löst es sich. Es löst sich für den Ich-Sprech­er aus (sein­er) Denker­ma­cht. Das Selb­st­ge­fühl (39 n) löst sich aus der Denker­ma­cht her­aus, verselb­ständigt sich. Das Wel­tendenken (14 N) naht dage­gen im Sin­nen­schein. Es ist „eingek­lei­det“ einge­hüllt in Sinnenschein.

Rudolf Stein­er sagt, das „Schein“ der alte Begriff ist für das Vorstel­lungsleben, das vom Willen durch­strahlt wer­den muss, um zur Real­ität zu wer­den (siehe Zitat oben). Doch das Wel­tendenken, das im Sin­nen­schein wirkt, ihn durch­strahlt, ist keine men­schliche Wil­len­skraft. Es ist die Kraft, die die Welt aus­gedacht hat, die all die weisheitsvoll gefügten Geset­zmäßigkeit­en „erfun­den“, erschaf­fen hat. Im Wel­tendenken kann der Chris­tus als von Anbe­ginn wirk­ender Schöpfer­gott, als Logos erblickt wer­den. Und dadurch ist das Wel­tendenken ein han­del­ndes, vom Willen durch­drun­ge­nes, mit ihm Eins gewor­denes Denken. Wenn das Wel­tendenken den Sin­nen­schein durch­strahlt, wenn der Schöpfer­willen aus dem Sin­nen­schein auf den Ich-Sprech­er zukommt – ihm naht, wacht der Ich-Sprech­er aus dem Gedanken­traum auf, der sein Selb­st zu rauben schien. Dann wird auch sein Denken Real­ität und die bloße Vorstel­lung des Selb­st wird zum Schöp­fungsakt des eige­nen Selb­st. Nun erlebt sich der Ich-Sprech­er nicht mehr getrieben, ein Eigen­we­sen zu sein. Nun ist er ein aus Sin­nen­schein – also Vorstel­lung – und Wel­tendenken – der Kraft, die die Geschöpfe will – ein geistig erschaf­fenes Selbst.

Rudolf Stein­er sagt, dass der nordis­che Men­sch sein Ich von außen auf sich zukom­men sah – ganz so, wie dem Ich-Sprech­er das Wel­tendenken naht. Und in der entsprechen­den Ein­wei­hung dro­hte eine Gefahr, die der im Mantra 14 N beschriebe­nen ähnelt. Ich erkenne in diesem Mantra das nördliche Ein­wei­hungser­leben wieder. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob das Mantra 39 n den südlichen Ein­wei­hungsweg beschreibt.

Über den Willen sagt Rudolf Stein­er, dass in der eigentlichen, tief unbe­wussten Wil­lenssphäre eine Kraft lebt, die das Bewusst­sein abprallen lässt. Diese Kraft wurde „Gewalt“ genan­nt (siehe oben). Das Selb­st­ge­fühl (39 n) löst sich aus Denker­ma­cht. Das Wort „Macht“ ste­ht inhaltlich dem Wort „Gewalt“ nahe, wenn auch Gewalt auf mich einen noch machtvolleren Ein­druck macht. Dann kann ich lesen: aus der Denker­ma­cht – aus dem mit Wil­lens­macht, mit Gewalt durch­set­ztem Denken löst sich das Selb­st­ge­fühl. Der Prozess ist eben­so wie im Mantra 14 N ein Geschehen, dass im oberen Men­schen, im Denken stat­tfind­et. Von daher gese­hen beschreibt das Mantra 39 n keinen gegen­teili­gen Prozess zum Mantra 14 N, denn der müsste im Wil­lens­bere­ich stat­tfind­en. Und doch wirken Denken und Wille hier anders zusammen.

Das von außen kom­mende ist des „Wel­tenwe­sens Licht“, also der Schein des göt­tlichen Denkens, des Wel­tendenkens. Dieses Licht gewin­nt der Ich-Sprech­er. Es befruchtet den Willen, die Gedankenkraft, sodass aus der Denker­ma­cht, der Gewalt im Denken sich etwas Neues bildet, das Selb­st­ge­fühl. Dieses Selb­st­ge­fühl löst sich aus Denker­ma­cht wie das Kind, das geboren wird. Das Selb­st­ge­fühl wird dadurch zur drit­ten äußeren Instanz, die im Mantra auftritt. Die ersten bei­den waren die Geis­te­sof­fen­barung und das Licht des Wel­tenwe­sens. In der Geis­te­sof­fen­barung kann dem Rosenkreuzer­spruch fol­gend (wie oben dargestellt) der Vater­gott erlebt wer­den und im Licht des Wel­tenwe­sens der Chris­tus. Im sich lösenden Selb­st­ge­fühl kann der Heilige Geist ver­mutet wer­den, aus dessen Kraft, wie der Spruch sagt, wir wieder aufer­ste­hen — neu geboren werden.

Selb­st­ge­fühl (39 n) ist die im Fühlen entste­hende Sicher­heit, ein Selb­st zu sein. Selb­st­ge­fühl ist also kein Gedanke, kein Gedanken­traum, der das Selb­st dro­ht zu rauben (14 N), weil ein Gedanke eben nicht Real­ität, son­dern Schein ist. Und Selb­st­ge­fühl entstammt auch nicht dem Trieb, Eigen­we­sen zu sein (14 N), das heißt aus dem Willen. Selb­st­ge­fühl entstammt der mit­tleren der drei See­len­fähigkeit­en, dem Gefühl. Selb­st­ge­fühl löst sich als eigene Real­ität ab von der Gedanken­macht. Selb­st­ge­fühl bildet sich im Wel­tenlicht emp­fan­gen­den und von Wil­lens­macht durch­strahlten Denken – also durch einen geisti­gen Prozess. Und dieses Zusam­men­wirken der Polar­itäten erschafft die Real­ität des Selb­st­ge­fühls. Selb­st­ge­fühl ist die füh­lende Wahrnehmung des aus dem Geist, aus Denker­ma­cht sich lösenden Selb­st – und damit des eige­nen Geistselbst.

Das Selb­st­ge­fühl wirkt sel­ber weck­end. Es weckt auf wie die aufge­hende Sonne am Mor­gen. Ich denke, das Selb­st­ge­fühl ist das, was im Bild das Erleben der Sonne um Mit­ter­nacht für die Ein­wei­hungss­chüler war. Das Selb­st­ge­fühl als füh­lende Wahrnehmung des eige­nen Geist­selb­st war das Ziel der Ein­wei­hung in die eige­nen See­len­tiefen, das dem Wei­h­nacht­sereig­nis entsprechende See­len­er­leb­nis. Der südliche Ein­wei­hungsweg hat­te hier seinen Haupt­fokus, wie der nördliche das vor­rangige Ziel hat­te, in den Makrokos­mos zu führen – für das Wel­tendenken zu erwachen. Doch auf jedem der bei­den Ein­wei­hungswege galt es im zweit­en Schritt, auch den anderen Weg zu gehen. In der nördlichen Ein­wei­hung wurde der Weg in den Makrokos­mos gesucht, um von dort aus den Mikrokos­mos, das See­lenin­nere zu erken­nen. In der südlichen Ein­wei­hung wurde der Weg in die eigene Seele gesucht, um von hier aus durchzu­drin­gen in den geisti­gen Makrokos­mos, die große Welt.