Die spiegelnden Mantren 15 O und 38 m

15 O

Ich füh­le wie verzaubert

Im Wel­tenschein des Geistes Weben,

Es hat in Sin­nes­dumpfheit

Gehüllt mein Eigenwesen,

Zu schenken mir die Kraft,

Die ohn­mächtig sich selb­st zu geben

Mein Ich in seinen Schranken ist.

38 m Weihe-Nacht-Stimmung

Ich füh­le wie entzaubert

Das Geisteskind im See­len­schoß;

Es hat in Herzen­shel­ligkeit

Gezeugt das heilige Weltenwort

Der Hoff­nung Himmelsfrucht,

Die jubel­nd wächst in Weltenfernen

Aus meines Wesens Gottesgrund.

Musik zum Mantra 15 O — fieberhaft — komponiert von Herbert Lippmann

Was ist Zaubern?

Gle­ich in der ersten Zeile bei­der Mantren geht es um Zauber — um Ver- und Entza­uberung. Doch was ist unter Zauber zu ver­ste­hen, wenn über das All­t­agsver­ständ­nis, das im Zauber einen Trick sieht, der Ver­stand und Wahrnehmung nar­rt, hin­aus­ge­blickt wird?

In den Anfän­gen der Men­schheit­sen­twick­lung, in der allerersten Zeit der alten Atlantis, kon­nten die Men­schen durch Sprache zaubern, sagt Rudolf Stein­er. Die Men­schen dieser Zeit­epoche wer­den in theosophis­chen Schriften Rmoa­hals genan­nt. (Darüber hin­aus­ge­hende Herkun­ft und Bedeu­tung dieses Namens sind mir unbekannt.)

“Das Gedächt­nis dieser … [Men­schen] war vorzüglich auf leb­hafte Sin­ne­sein­drücke gerichtet. Far­ben, die das Auge gese­hen hat­te, Töne, die das Ohr gehört hat­te, wirk­ten lange in der Seele nach. Das drück­te sich darin aus, daß die Rmoa­hals Gefüh­le entwick­el­ten, die ihre lemurischen Vor­fahren noch nicht kan­nten. Die Anhänglichkeit zum Beispiel an das, was in der Ver­gan­gen­heit erlebt wor­den ist, gehört zu diesen Gefühlen.

An der Entwick­elung des Gedächt­niss­es hing nun auch diejenige der Sprache. Solange der Men­sch das Ver­gan­gene nicht bewahrte, kon­nte auch eine Mit­teilung des Erlebten durch die Sprache nicht stat­tfind­en. Und weil in der let­zten lemurischen Zeit die ersten Ansätze zu einem Gedächt­nisse stat­tfan­den, so kon­nte damals auch die Fähigkeit ihren Anfang nehmen, das Gese­hene und Gehörte zu benen­nen. Nur Men­schen, die ein Erin­nerungsver­mö­gen haben, kön­nen mit einem Namen, der einem Dinge beigelegt ist, etwas anfan­gen. Die atlantis­che Zeit ist daher auch diejenige, in welch­er die Sprache ihre Entwick­elung fand. Und mit der Sprache war ein Band her­vorge­bracht zwis­chen der men­schlichen Seele und den Din­gen außer dem Men­schen. Dieser erzeugte das Laut­wort in seinem Innern; und dieses Laut­wort gehörte zu den Gegen­stän­den der Außen­welt. Und auch ein neues Band entste­ht zwis­chen Men­sch und Men­sch durch die Mit­teilung auf dem Wege der Sprache. Das alles war zwar bei den Rmoa­hals noch in ein­er jugendlichen Form; aber es unter­schied sie doch in tiefge­hen­der Art von ihren lemurischen Vorvätern.

Nun hat­ten die Kräfte in den See­len dieser ersten Atlantier noch etwas Naturkräftiges. Diese Men­schen waren gewis­ser­maßen noch ver­wandter den sie umgeben­den Natur­we­sen als ihre Nach­fol­ger. Ihre See­lenkräfte waren noch mehr Naturkräfte als die der gegen­wär­ti­gen Men­schen. So war auch das Laut­wort, das sie her­vor­bracht­en, etwas Naturge­waltiges. Sie benan­nten nicht bloß die Dinge, son­dern in ihren Worten lag eine Macht über die Dinge und auch über ihre Mit­men­schen. Das Wort der Rmoa­hals hat­te nicht bloß Bedeu­tung, son­dern auch Kraft. Wenn man von ein­er Zauber­ma­cht der Worte spricht, so deutet man etwas an, was für diese Men­schen weit wirk­lich­er war als für die Gegen­wart. Wenn der Rmoa­hals­men­sch ein Wort aussprach, so entwick­elte dieses Wort eine ähn­liche Macht wie der Gegen­stand selb­st, den es beze­ich­nete. Darauf beruht es, daß Worte in dieser Zeit heilkräftig waren, daß sie das Wach­s­tum der Pflanzen fördern, die Wut der Tiere zäh­men kon­nten, und was ähn­liche Wirkun­gen mehr sind. All das nahm an Kraft bei den späteren Unter­rassen der Atlantier immer mehr und mehr ab. Man kön­nte sagen, die natur­wüch­sige Kraft­fülle ver­lor sich allmäh­lich. Die Rmoa­hals­men­schen emp­fan­den diese Kraft­fülle dur­chaus als eine Gabe der mächti­gen Natur; und dieses ihr Ver­hält­nis zur Natur trug einen religiösen Charak­ter. Ins­beson­dere die Sprache hat­te für sie etwas Heiliges. Und der Mißbrauch gewiss­er Laute, denen eine bedeu­tende Kraft innewohnte, ist etwas Unmöglich­es gewe­sen. Jed­er Men­sch fühlte, daß solch­er Mißbrauch ihm einen gewalti­gen Schaden brin­gen müßte. Der Zauber der­ar­tiger Worte hätte in sein Gegen­teil umgeschla­gen; was, in richtiger Art gebraucht, Segen ges­tiftet hätte, wäre, frev­el­haft angewen­det, dem Urhe­ber zum Verder­ben gewor­den. In ein­er gewis­sen Unschuld des Gefüh­les schrieben die Rmoa­hals weniger sich selb­st, als vielmehr der in ihnen wirk­enden göt­tlichen Natur ihre Macht zu.” (Lit.: GA 011, S. 33ff, Her­vorhe­bun­gen A.F.)

Auch heute ist es möglich, laut Rudolf Stein­er, diese Voll­macht über Natur­vorgänge zu erlan­gen. Dafür muss zum Wort die Vorstel­lung, die Imag­i­na­tion hinzutreten — sicher­lich mit der Gefühlsin­ten­sität, wie sie von den frühen Atlantiern oben beschrieben ist. „Die Anhänger der Magie hat­ten die Ansicht, daß durch eine Aus­bil­dung der Ein­bil­dungskraft (Imag­i­na­tion) eine wesentliche Erweiterung des men­schlichen Wirkungskreis­es stat­tfind­en könne. Der­jenige Men­sch, der es ver­mag, seine Imag­i­na­tion bis zu einem gewis­sen Grade von Vol­lkom­men­heit zu brin­gen, dringt in ungeah­nte Geheimnisse, und er kann durch seinen Willen das zus­tande brin­gen, was den meis­ten Men­schen nur als Wirkung der Natur oder eines überirdis­chen Wesens denkbar erscheint.“ (Lit.: GA 1d, S. 163 Anm. 5)

Seit der Men­sch diese Zauber­ma­cht bewusst nutzen kann, unter­schei­det sein Motiv darüber, ob sie gut oder schlecht ist. Rudolf Stein­er sagt: „Die Magie, die Göt­ter wen­den sie an, aber der Unter­schied zwis­chen weißer und schwarz­er Magie beste­ht lediglich darin, daß man in der weißen Magie ein­greift in moralis­ch­er Art, in selb­st­los­er Art, bei der schwarzen Magie auf unmoralis­che, auf selb­stis­che Art. Einen andern Unter­schied gibt es nicht.“ (Lit.: GA 317, S. 40)

Über die Spiegelsprüche 15 O und 38 m — das Weihe-Nachts-Mantra

Die Mantren 15 O und 38 m sind bei­de aus der Per­spek­tive eines wachen Ich-Sprech­ers geschrieben. Und dieser Ich-Sprech­er erlebt etwas, das seinem Ver­stand als Ver- und Entza­uberung erscheint. Was ist damit gemeint? Die Fähigkeit zu zaubern, sofern sie ein tat­säch­lich­es Ein­greifen in die Naturkräfte darstellt, erfordert vom Men­schen die Entwick­lung hoher Bewusst­sein­skräfte, die heute noch bei weni­gen Men­schen vorhan­den sind. Rudolf Stein­er sagt über Magie: „Ger­ade weil der physis­che Leib das unter­ste Glied ist, braucht es die höch­ste Kraftanstren­gung des Men­schen, um diesen Kör­p­er in die eigene Gewalt zu bekom­men. Mit der Umar­beitung dieses physis­chen Leibes geht Hand in Hand die Erlan­gung der Gewalt über Kräfte, die den ganzen Kos­mos durch­fluten. Und die Herrschaft über diese kos­mis­chen Kräfte ist das, was man als Magie beze­ich­net.“ (Lit.: GA 100, S. 43)

Und an ander­er Stelle verdeut­licht Rudolf Stein­er, wie dieses magis­che Wirken, dieses Zaubern möglich ist: “Der­jenige Men­sch, der es ver­mag, seine Imag­i­na­tion bis zu einem gewis­sen Grade von Vol­lkom­men­heit zu brin­gen, dringt in ungeah­nte Geheimnisse, und er kann durch seinen Willen das zus­tande brin­gen, was den meis­ten Men­schen nur als Wirkung der Natur oder eines überirdis­chen Wesens denkbar erscheint.“ (Lit.: GA 1d, S. 163 Anm. 5)

In den Mantren 15 O und 38 m geht es also um Verän­derung der Physis und des Leibes als Teil der Welt, die der Ich-Sprech­er zwar nicht bewirkt, wohl aber füh­lend wahrn­immt — an der er bewusst teil­nimmt. Das Mantra 38 m ist laut Über­schrift das Mantra der Wei­he-Nacht und damit der Geburt Jesu. Auch hierin liegt ein Hin­weis auf die Leib-Wer­dung, die jedoch im Mantra nicht the­ma­tisiert wird — wohl aber im Mantra 15 O.

Bei­de Mantren unter­schei­den sich in der ersten Zeile nur durch eine Silbe: im Mantra 15 O heißt es “ver-zaubert” im Mantra 38 m “ent-zaubert”. Der Ich-Sprech­er und damit ich als Leser füh­le diese Ver- und Entza­uberung. Ich füh­le einen Vor­gang, der sich mit Zauberei ver­gle­ichen lässt, doch eigentlich keine ist. Es ist ein Vor­gang, der vol­l­zo­gen und rück­gängig gemacht wer­den kann. Damit erin­nert das Geschehen an eine ein- und auswick­el­nde Spi­rale. Im Mantra 15 O geht es um den ein­wick­el­nden Prozess, im Mantra 38 m um den auswick­el­nden Prozess.

Im Mantra 15 O richtet sich das Fühlen des Ich-Sprech­ers schein­bar nach außen, er fühlt das Weben des Geistes im Wel­tenschein. Doch Schein ist laut Rudolf Stein­er der alte Fach­be­griff für die Vorstel­lun­gen, die sich der Men­sch über die Welt macht. In der Vorstel­lung wird die Welt zu Schein. “Was aber geht denn eigentlich vor, indem der Men­sch sein Gedanken­leben entwick­elt? Eine Real­ität wird zum Schein. … Wir tra­gen in unserem Haupte zwis­chen Geburt und Tod das­jenige, was aus ein­er Vorzeit, wo es Real­ität war, here­in­ragt als Schein …” (GA 202 Zwölfter Vor­trag) Der Wel­tenschein ist dem­nach die Gesamtheit der Vorstel­lun­gen über die Welt. In der eige­nen Vorstel­lungswelt — im Wel­tenschein — erscheint das Weben des Geistes als ein verza­ubertes Geschehen. Hier fühlt der Ich-Sprech­er das Weben des Geistes verza­ubert. Es han­delt sich also um ein Fühlen im Vorstellungs-Gedanken-Menschen.

Da stellt sich die Frage, wessen Geist der Ich-Sprech­er fühlt, den eige­nen, denk­end und vorstel­lend täti­gen oder den in der Welt erschaf­fend wirk­enden Geist. Im oben erwäh­n­ten Vor­trag führt Rudolf Stein­er aus, dass die aus der Außen­welt in die Seele aufgenomme­nen Vorstel­lun­gen als etwas Fremdes darin leben, solange der Men­sch nicht aktiv, wil­lentlich über sie nach­denkt. Erst der im Denken wirk­ende Wille ver­lei­ht den Vorstel­lun­gen die Sub­stanz der Real­ität. Das ist hier wohl nicht der Fall. Der Ver­stand find­et keine Möglichkeit, seine Logik anzuwen­den und nen­nt das Geschehen deshalb Zauber.

Ich ver­ste­he das Weben des Geistes in der Welt als etwas Reales — das Erschaf­fen alles Seien­den in der Welt. Doch im Wel­tenschein — in der Vorstel­lungswelt des Men­schen nimmt dieses Weben verza­ubern­den Charak­ter an. Der Ver­stand des Men­schen ist über­fordert. Dann laut­en die ersten bei­den Zeilen etwa so: Ich füh­le in meinen unre­flek­tiert aufgenomme­nen Vorstel­lun­gen über die Welt das Weben des Geistes. Ich erspüre Zusam­men­hänge, Ver­we­bun­gen, die ich nicht erk­lären, nicht erken­nen kann, denn das Weben des Geistes ist wie verzaubert.

Im Wei­h­nachts­man­tra 38 m richtet sich das Fühlen des Ich-Sprech­ers nach innen, in die Seele. Er fühlt das Geis­te­skind im See­len­schoß. Der Schoß der Seele, ihr Keim- und Her­vor­bringungs­bere­ich liegt in der Tiefe. Ihr schöpferisch­er Kreativbere­ich ist der Wil­lens­bere­ich der Seele.

Nicht exakt spiegel­nd, aber sich entsprechend heißt es “im Wel­tenschein” bzw. “im See­len­schoß”, wodurch zwei Orte angegeben wer­den.  Auch das, was an diesen Orten gefühlt wird, entspricht sich, ohne direkt zu spiegeln: das Weben des Geistes und das Geis­te­skind. Abstrahiert kön­nte man beim Weben des Geistes von geistigem Umkreis-Schaf­fen sprechen, beim Geis­te­skind von wesen­haftem Mittelpunkt.

Das Geistkind fühlt der Ich-Sprech­er entza­ubert im See­len­schoß. Der Astralleib hat laut Rudolf Stein­er die Fähigkeit, Bewusst­sein her­vorzubrin­gen — ähn­lich wie die Tiere Bewusst­sein haben. Zu Selb­st­be­wusst­sein wird das Bewusst­sein jedoch erst durch Ich-Kraft. Das Bewusst­sein von sich sel­ber, das Ich­be­wusst­sein ist das Geistkind, denn alles Bewusst­sein ist Geist. Es ist Kind, denn es wurde geboren aus der Seele. Und indem sich der Men­sch im Ich­be­wusst­sein seinem alltäglichen Selb­st gegenüber­stellen kann, ste­ht er als Geist der her­vor­brin­gen­den Seele gegenüber. Im Selb­st­be­wusst­sein ist das Geis­te­skind verza­ubert, denn das alltägliche Selb­st­be­wusst­sein erscheint als Ego. Entza­ubert kann das Geistkind erscheinen, wenn sein Ursprung, seine Zeu­gung vom Ich-Sprech­er, also vom Men­schen geschaut wer­den kann. Genau davon sprechen die weit­eren Zeilen im Mantra 38 m.

In bei­den Mantren wird nach dem in der Gegen­wart stat­tfind­en­den Fühlen geschildert, was dem gegen­wär­ti­gen Moment voraus­ging, was im Vor­feld stat­tfand. Nach dem übere­in­stim­menden Beginn der drit­ten Zeile: “Es hat in” sind die fol­gen­den Worte Gegen­sät­zlich. “Sin­nes­dumpfheit” (15 O) ste­ht der “Herzen­shel­ligkeit” (38 m) gegenüber. Dumpfheit der Sinne, undeut­liche, dun­kle Wahrnehmung bildet mit der Helle im Herzen einen Gegen­satz, der der alltäglichen Wahrnehmung des Men­schen ent­ge­genge­set­zt ist. Gewöhn­lich wird die Sinneswelt als hell, die Innen­welt, das Herz als ver­bor­gen und dunkel erlebt. Der Ich-Sprech­er befind­et sich in bei­den Mantren also in einem her­aus­ge­hobe­nen Bewusstseinszustand.

In der vierten Zeile bilden die Ver­ben “gehüllt” (15 O) und “gezeugt” (38 m) ein spiegel­ndes Gegen­satz­paar. “Gehüllt” meint einge­hüllt und das Einge­hüllte dadurch ver­ber­gend. “Gezeugt” meint her­vorge­bracht, im weit­eren Sinne in Erschei­n­ung gebracht. Die Sin­nes­dumpfheit hüllt ein (15 O). Sie hüllt das Eigen­we­sen des Ich-Sprech­ers ein, nicht ihn sel­ber. Ich ver­ste­he unter dem Eigen­we­sen das alltägliche Ich-Gefühl, das Ego, das sich von der Welt getren­nt und ihr gegenüber­ste­hend erlebt. Dieses All­t­ags-Ich wurde von der Sin­nes­dumpfheit einge­hüllt. Die Sin­nes­dumpfheit bewirkt durch das Ein­hüllen Abgren­zung und erschafft mein­er Mei­n­ung nach das Gefühl, ein Eigen­we­sen zu sein. Und die Sin­nes­dumpfheit ist auch der Grund, dass das Weben des Geistes wie verza­ubert erscheint. — Und gle­ichzeit­ig ist das Weben des Geistes die Ursache für die Sinnesdumpfheit.

Wichtig ist es zu bemerken, dass es nicht der Ich-Sprech­er ist, der sich in Sin­nes­dumpfheit gehüllt erlebt. Der Ich-Sprech­er erken­nt sein Eigen­we­sen darin einge­hüllt. Er ist von diesem, seinem Eigen­we­sen zu unter­schei­den und nimmt eine beobach­t­ende Posi­tion ein. Der Ich-Sprech­er ist also von der Sin­nes­dumpfheit nicht gle­icher­maßen betrof­fen. Er ist durch die Dis­sozi­a­tion vom Ego darüber hinausgewachsen.

Anders als die Sin­nes­dumpfheit, die aktiv das Eigen­we­sen ein­hüllt (15 O), han­delt die Herzen­shel­ligkeit nicht selb­st. Die Herzen­shel­ligkeit ist die lichte Atmo­sphäre im Ort des Herzens. Es ist das Licht, dass durch die Ätheri­sa­tion des Blutes im Herzen entste­ht. Dieses aufkeimende Bewusst­seinslicht ist die umgebende Atmo­sphäre für die geschilderte Aktiv­ität, die Zeu­gung, die im Herzen geschieht (38 m).

Mit dem Wel­tenwort ist der Logos, die seit Anbe­ginn der Zeit wirk­ende, die Welt ins Dasein führende — sie aussprechende — Schöpfer­kraft des Sohnes-Gottes gemeint. Und dieser von Ewigkeit schaf­fende Schöpfer­gott wurde sel­ber zum Geschöpf, zu Jesus. Dieser Dop­pel­natur von Schöpfer und Geschöpf entsprechen zwei Lesarten des Mantras:

Die eine Lesart besagt, dass “Es” (Es hat in …) das Geistkind ist. Und das Geistkind hat das Wel­tenwort gezeugt, die Him­mels­frucht der Hoff­nung. Dann hat das Ich­be­wusst­sein, das Geistkind, die im Men­schen behei­matete Logoskraft, die Kraft logisch zu denken gezeugt. Und diese Denkkraft ist es, die Hoff­nung spendet, denn sie hebt den Men­schen über die Natur hin­aus und macht ihn sel­ber zum Schöpfer. Diese Denkkraft ist Frucht des Him­mels, sie stammt vom Him­mel. Weit­ergedacht bein­hal­tet sie die Hoff­nung, dass das Geistkind zum Geist­men­schen her­an­wächst — dass der Erden­men­sch wieder Geist wird.

Die andere Lesart besagt, dass das Wel­tenwort die männlich zeu­gende Kraft ist. Sie istes, die die Him­mels­frucht der Hoff­nung gezeugt hat. Und diese Him­mels­frucht der Hoff­nung ist ein ander­er Aus­druck für das Geistkind. Dann beschreibt die Him­mels­frucht der Hoff­nung das Geistkind als im Him­mel gereifte Frucht. Dann stammt das Geistkind aus dem Him­mel und ist sel­ber himm­lis­ch­er Natur. Es stammt nicht aus der Seele des Men­schen, wie in der obi­gen Lesart. Dann meint das Geistkind den Ich-Keim, der dem Men­schen durch den großen Schöp­fungs­plan zugedacht wurde. Leise klingt in der himm­lis­chen Frucht die Paradies­geschichte an, die mit dem Erden­ab­stieg des Men­schen auch seinen Auf­stieg vor­bere­it­ete. Bei­de Lesarten sind wahr — und von Rudolf Stein­er ver­mut­lich gewollt, denn das Geistkind lässt sich nur ver­ste­hen, wenn es zum einen aus dem See­len­schoß geboren, zum anderen als Him­mels­frucht gezeugt vorgestellt wird. In bei­den Lesarten geht es nicht um den irdis­chen Men­schen oder um eine irdis­che Geburt. Es geht um die Geburt des auch im Him­mel, im Geist Neuen. Es geht um den noch jun­gen, kind­haften Geist-Men­schen. Und gle­ichzeit­ig ist dieser Geist-Men­sch gereifte Frucht, denn er wurde durch lange Entwick­lun­gen im Men­schen und im Him­mel vorbereitet.

In der Hel­ligkeit des Herzens fand die Zeu­gung statt. Das Herz ist der Ort der Zeu­gung. Wenn das Wel­tenwort als die männliche Zeu­gungskraft ange­se­hen wird, fragt sich, welch­es die weib­liche Kraft ist. Hier find­en sich drei Sub­jek­te, die die Mut­ter­rolle innehaben kön­nen. Die Mut­ter kommt zum einen im See­len­schoß zum Aus­druck, zum zweit­en in der Hel­ligkeit des Herzens und zum drit­ten in der Hoff­nung. Kör­per­lich ist der Astralleib, der See­len­schoß Mut­ter. Seel­isch ist es die Hel­ligkeit, das Bewusst­sein im Herzen — das heißt im Fühlen. Geistig erscheint mir die Hoff­nung als Mut­ter, denn der Hoff­nung gehört die Him­mels­frucht zu, wie der Mut­ter das wer­dende Kind. Und wer ist es, der mit sein­er Hoff­nung diesen Mut­ter­leib schuf? Ist es der Ich-Sprech­er und damit die irdis­che Men­schheit — oder sind es himm­lis­che Wesen — oder bei­de Seit­en, deren Hof­fen sich durch die Him­mels­frucht erfüllte? Sowohl die Men­schheit auf der Erde durchzieht eine tiefe Hoff­nung auf den Wieder­auf­stieg zum Geist, als auch die geisti­gen Wesen hof­fen, den aus dem Him­mel zur Erde gestürzten Men­schen wieder in “seines Vaters Haus” aufnehmen zu können.

Nun fol­gt in bei­den Mantren eine nähere Beschrei­bung und Erk­lärung des vorher Beschriebe­nen. Dabei spiegelt das Adjek­tiv, “ohn­mächtig” (15 O) mit dem Adverb “jubel­nd” (38 m). Die Worte sind keine Gegen­sätze und doch drück­en sie bis in die gram­ma­tis­che Form der Worte einen Gegen­satz aus: macht­lose Pas­siv­ität (ohn­mächtig) und freudig-kraftvolle Aktiv­ität (jubel­nd).

Im Mantra 15 O wird der Grund genan­nt, warum das Eigen­we­sen durch das Weben des Geistes in Sin­nes­dumpfheit gehüllt wurde. Der Sinn davon ist, dass dem Ich-Sprech­er dadurch Kraft geschenkt wird. Diese Kraft kann sich sein Ich, dem der Ich-Sprech­er auch hier wieder beobach­t­end gegenüber­ste­ht, nicht sel­ber geben. Der Ich-Sprech­er erken­nt, dass dem Ich Schranken geset­zt sind. Das Ich ist beschränkt und zwar nicht durch die Sin­nes­dumpfheit — denn die bet­rifft das Eigen­we­sen. Es ist zu ver­muten, dass es der Entwick­lungs­be­darf des Ichs ist, der sich im Kraft­man­gel aus­drückt und sich als Beschränkung auswirkt. Dies impliziert, dass das Ich die nötige Kraft gewin­nt, indem es die Sin­nes­dumpfheit über­windet. Sie ist der Wider­stand, der das Ich erstarken lässt. Gelingt diese Über­win­dung, wird auch das Weben des Geistes in den eige­nen Gedanken und Vorstel­lun­gen nicht mehr wie verza­ubert erlebt wer­den, son­dern direkt und klar.

Im Mantra 38 m wird nun beschrieben, wie es mit der Him­mels­frucht der Hoff­nung weit­erge­ht. Und das erstaunt zunächst. Sie wächst jubel­nd in Wel­tenfer­nen, nicht auf der Erde, wo der sich entwick­el­nde Men­sch lebt. Sie wächst wie eine Pflanze aus dem Grund — dem Gottes­grund meines, des Ich-Sprech­ers Wesen. Die Him­mels­frucht der Hoff­nung wächst also kraft- und freude­voll, jubel­nd, aus dem Teil des Men­schen, der fern der Welt und göt­tlich ist. Die Him­mels­frucht der Hoff­nung wächst aus der Wesens-Grund­lage des Men­schen, die göt­tlich ist und das immer war. Es gibt einen Gottes­grund im Wesen des Men­schen, wo der Sün­den­fall, die Tren­nung vom Göt­tlichen nicht stattge­fun­den hat. Aus diesem göt­tlichen Ur-Grund wächst und reift die Him­mels­frucht. Sie reift also unab­hängig vom men­schlichen Ver­stand, denn der ist irdis­ch­er Natur. Doch das Bewusst­sein des Ich-Sprech­ers reicht bis in diese Wel­tenfer­nen. Er weiß um diesen Prozess, er beschreibt ihn.

Drei auf den Ich-Sprech­er zu beziehende geistige Entitäten wer­den im Mantra 38 m genan­nt: das Geistkind, die Him­mels­frucht der Hoff­nung und der Gottes­grund des im Mantra sprechen­den Ich-Wesens. Vielle­icht sind mit ihnen die drei vom Men­schen zu entwick­el­nden Geist­glieder gemeint. Das Geis­te­skind im See­len­schoß kön­nte das Geist­selb­st beze­ich­enen, das durch den umzuwan­del­nden Astralleib, den See­len­leib gebildet wird. Die jubel­nd wach­sende Him­mels­frucht der Hoff­nung kön­nte den Lebens­geist beze­ich­nen, der aus dem umzuwan­del­nden Äther­leib, dem Leben­skräfteleib entste­ht. Der Gottes­grund des eige­nen Wesens kön­nte den Geist­men­schen beze­ich­nen, der im Uran­fang als Adam Kad­mon geschaf­fen wurde und zu dem der physis­che Leib umgear­beit­et wer­den soll.

Im Mantra 15 O wird die Inkar­na­tion des Ichs, ihre Notwendigkeit und ihr Ziel beschrieben. Im Mantra 38 m wird die Exkar­na­tion, die wesen­hafte Geist­wer­dung des Men­schen beschrieben.

Ergänzung:

Rudolf Stein­er ver­wen­det das Wort “Geistkind” im Sil­vester­vor­trag 1918: “Die Sil­vester­be­tra­ch­tung sollte für jeden wachen Men­schen nicht so sein, daß er sich wohlig ins neue Jahr hinüber­be­g­ibt; sie soll ihn ernst stim­men, sie soll ihm vor Augen führen das­jenige, was in der Zeit­en Schoß liegt, wenn nicht in diesem Zeit­en­schoß das Geistkind geboren wird. Bei diesem Geis­tes­licht allein kann eine richtige Neu­jahrsper­spek­tive emp­fun­den wer­den.” (GA 187, Sil­vester­vor­trag 1918, S. 163, Her­vorhe­bung A.F.)

Und am Tag darauf, beim fol­gen­den Neu­jahrsvor­trag beschreibt er das Neue als eine neue Offen­barung: “Sie erin­nern sich, wie ich in diesen Tagen aus­ge­führt habe, daß zum Aller­wichtig­sten, zum Aller­wesentlich­sten in der Erken­nt­nis der gegen­wär­ti­gen Zeit gehört, daß die Men­schheit gewis­ser­maßen vor ein­er neuen Offen­barung ste­ht. Es ist diejenige Offen­barung, die geschehen soll, und in gewiss­er Beziehung auch schon geschieht, durch die Geis­ter der Per­sön­lichkeit, welche, wenn man sich so aus­drück­en will, zu der Würde von Schöpfern auf­steigen, während wir als Schöpfer im Wel­tengange der Men­schheit bish­er nur haben ansprechen kön­nen diejeni­gen Geis­ter, welche in der Bibel die Elo­him genan­nt wer­den, die wir die Geis­ter der Form nen­nen. Etwas Schöpferisches also wird auf­tauchen inner­halb desjeni­gen, was der Men­sch beim Ver­fol­gen der Außen­welt bemerken kann.

… Diese Offen­barung ergießt sich wie eine neue Geis­teswelle durch das Geschehen, in das der Men­sch einges­pan­nt ist. Der Men­sch kann diese Welle nicht etwa von der Erde zurück­stoßen. Sie ergießt sich über die Erde.” (GA 187, Neu­jahrsvor­trag 1919, S. 164f)

Das Geistkind ist im Sil­vester­vor­trag der Zukun­ft­sim­puls, im Neu­jahrsvor­trag die neue Offen­barung, die sich als Geist­welle ergießt, die an die Men­schheit her­an­bran­det. Die Geist­welle lässt an des Geistes Weben (15 O) denken, das Geistkind wird im Mantra 38 m genannt.