Die spiegelnden Zwischenspruch-Mantren 21 U und 32 f

21 U

Ich füh­le fruch­t­end fremde Macht

Sich stärk­end mir mich selb­st ver­lei­hn,

Den Keim empfind ich reifend

Und Ahnung lichtvoll weben

Im Innern an der Selb­s­theit Macht.

32 f

Ich füh­le fruch­t­end eigne Kraft

Sich stärk­end mich der Welt ver­lei­hn;

Mein Eigen­we­sen fühl ich kraftend

Zur Klarheit sich zu wenden

Im Lebenss­chick­salsweben.

Musik zum Mantra 21 U — schlicht — komponiert von Herbert Lippmann

Musik zum Mantra 32 f — dozierend — komponiert von Herbert Lippmann

Das Bild des Webens für alles Schöpferische

In bei­den Mantren taucht das Bild des Webens auf. Im Mantra 21 U webt die Ahnung im Innern lichtvoll an der Macht der Selb­s­theit. Im Mantra 32 f fühlt der Ich-Sprech­er seine Kraft wach­sen, um sich im Lebenss­chick­sal­sweben zur Klarheit zu wen­den — die Ver­strick­un­gen und Knoten im Schick­sal zu lösen.

Kun­st des Webens

Die Kun­st des Webens ist sehr alt. Die ältesten tex­tilen Über­reste sind ca. 30.000 Jahre alt und stam­men aus dem Kauka­sus, aus Georgien. Webgewichte sind seit 6000 v.Chr. belegt. Mit ihnen wur­den die Ket­tfä­den beschw­ert, was dem seit der Jung­steinzeit in Europa gebräuch­lichen Gewichtsweb­stuhl seinen Namen gab.

Webgewicht mit ein­er aus Dreieck­enge­bilde­ten Göt­tin, Grumel­nitza-Kul­tur/Kara­no­vo, Mitte 5. Jht.

Das Kreuz scheint zu sagen, dass alles in der Welt im Gle­ichgewicht ist, die Dreiecke, dass sich Oben und Unten entsprechen.

Die Ket­tfä­den hin­gen also senkrecht, die Schuss­fä­den ver­liefen waagerecht. Das Web­stück wurde von oben nach unten gefer­tigt und wuchs sozusagen vom Him­mel zur Erde herab. Die Schuss­fä­den lassen sich mit der über die Erde gehen­den Zeit ver­gle­ichen, die immer Neues entste­hen lässt, die im Rhyth­mus von Tag und Nacht, Som­mer und Win­ter, auf und ab webend wirkt. Die Ket­tfä­den entsprechen in diesem Bild den Geset­ze, die zwis­chen Him­mel und Erde aufges­pan­nt sind.

Weisen Kett- und Schuss­fä­den jew­eils eine andere Farbe auf, entste­ht ein Schachbrettmuster, wie es auf dem Gefäß zu sehen ist. Das Net­z­muster auf dem zweit­en Aus­guss deutet dage­gen auf ein geknüpftes Netz, wie es für den Fis­chfang gebraucht wurde.

Dop­pel­hals-Gefäß mit Schachbrett und Net­z­muster, Gumel­nitza-Kul­tur, Rumänien, Bronzezeit um 4500–4300, Höhe 22,5 cm

Das Schachbrettmuster deutet auf gewebten Stoff, das Net­z­muster auf ein geknüpftes Netz. Das Schachbrettmuster kön­nte für die Raumwelt ste­hen, in der die Zeit wirkt. Das Net­z­muster kön­nte für das sub­jek­tive innerseel­is­che Erleben der Zeit ste­hen, die sich im Bewusst­sein dehnen und stauchen kann — wie die Maschen von Net­zen. In diesem Bewusst­sein tauchen wie die Fis­che aus dem Wass­er Gedanken auf. Um sie zu erfassen, um sie im Bewusst­sein zu hal­ten braucht es ein Netz. So wie das Gefäß zwei Öff­nun­gen aber ein Wass­er Reser­voir hat, entstam­men auch bei­de Zeit­ströme ein­er Quelle — der wahrnehmend in der Außen­welt erlebte und der im Bewusst­sein fließende, die Gedanken tragende.

Weben als Bild für schöpferische Geistprozesse

Rudolf Stein­er ver­wen­det das Bild des Webens sehr häu­fig, um das schöpferische Wirken des Geisti­gen in der Seele oder auf der Erde zu charak­ter­isieren. Im fol­gen­den Zitat verbindet er es mit dem schöpferischen Wirken aus der Sprache: „Sie müssen nur sich ein­mal vor die Seele stellen, wie ja im Laute Ele­mente des gestal­tenden und wesenden Wortes gegeben sind, und wie durch das Erleben dieser Laute der man­nig­faltig­ste, ja der wun­der­voll­ste Wel­tenin­halt gestal­tet wer­den kann durch die Kom­bi­na­tion der etwa 32 Lautele­mente. Ver­set­zen Sie sich ein­mal in eine solche Zeit — und es gab ja Zeit­en, wo der Men­schheit das noch eine Real­ität war -, ver­set­zen Sie sich in eine Zeit, welche ganz leb­haft weste in diesen Ele­menten der Laute und ganz leb­haft emp­fand das Wun­der­bare, das darin liegt, aus dem Erleben dieser 32 Lautele­mente her­aus eine Welt gestal­ten zu kön­nen. Man emp­fand wirk­lich in der Sprach-Gestal­tung, in der bilden­den Gestal­tung des Wortes, das Weben eines Geisti­gen, das man miter­lebt im Sprechen. Man erlebte, daß in den Laut­en Göt­ter leben.

Wenn Sie diese 32 Laute nehmen, dann wer­den Sie sich leicht aus­rech­nen kön­nen, daß dabei etwa 24 Laute auf die Kon­so­nan­ten und etwa sieben auf die Vokale kom­men — natür­lich sind die Dinge immer approx­i­ma­tiv -, und Sie kön­nen jet­zt im Sinne des Anfanges des Johannes-Evan­geli­ums «Im Urbe­ginne war das Wort» ein Licht fall­en lassen auf jenes Bild, das ja auch als apoka­lyp­tis­ches Bild gedacht wer­den kann: Das Alpha und das Omega ist umgeben von den sieben Engeln — den Vokalen — und von den 24 Ältesten — den Kon­so­nan­ten. Und so emp­fand man auch, daß das Geheim­nis des Wel­te­nalls ganz in dem webte und lebte — mit der Bedeu­tung, die ich schon auseinan­derge­set­zt habe -, was man in der heili­gen Sprache des Kul­tus intonierte. Und man fühlte im Zele­bri­eren des Kul­tus die mächtige Anwe­sen­heit desjeni­gen, was von dem Wel­tenin­halt in diesem sym­bol­is­chen Bilde war.“ (Lit.: GA 346, S. 88f)

Das fol­gende Zitat Rudolf Stein­ers nen­nt das Weben nicht expliz­it. Es kann jedoch mitgedacht wer­den, wenn von Rhyth­mus die Rede ist, denn Weben ist rhyth­mis­ches Auf und Ab. Die schöpferische Gewalt, die mit dem Bild des Webens ver­bun­den ist, kommt hier beson­ders gut zur Gel­tung. „Wenn wir imstande wären, den Rhyth­mus eines Wortes auf unsere ganze Umge­bung zu über­tra­gen, so würde diese unsere Umge­bung zulet­zt der Aus­druck dieses Wortes wer­den; wir wür­den durch unser Wort die Materie um uns in solche Bewe­gung ver­set­zen und durch das andauernd tönende Wort in ein­er bes­timmten Span­nung hal­ten, die zulet­zt auch sicht­bar zum Aus­druck kom­men würde.

So ist auch am Anfang, das heißt bei Beginn unser­er Erden­twick­lung, das göt­tliche Schöpfer­wort erk­lun­gen und hat die Erde in einen bes­timmten Rhyth­mus ver­set­zt, und durch das Andauern dieses Rhyth­mus wur­den die Bewe­gun­gen der Materie zur Verdich­tung; die Materie wurde durch den Ton des Wortes in ein­er bes­timmten Span­nung erhal­ten. Dieses göt­tliche Schöpfer­wort erk­lang aber nicht nur am Anfang. Es erklingt unaus­ge­set­zt. Wenn es nur eine Sekunde lang nicht mehr erklin­gen würde, so würde die Welt sofort in ein Chaos ver­wan­delt wer­den. Alles um uns her ist der Aus­druck dieses göt­tlichen Schöpfer­wortes, das durch die Welt erklingt. Alles Sicht­bare ist die äußer­lich wahrnehm­bare Schwingungs­gren­ze des göt­tlichen Wortes; es ist der an die Ober­fläche gedrängte Leben­srhyth­mus, den wir in der Sin­nen­welt um uns her erblick­en, und die For­men der Sin­nen­welt sind die Gottes­gedanken, die in diesem göt­tlichen Schöpfer­wort zum Aus­druck kommen.

Die Welt ist in einem beständi­gen Rhyth­mus, der von dem göt­tlichen Schöpfer­wort her­vorge­bracht wird. Das Göt­tliche ist alles, was da ist; das Wort ist die Bewe­gung, die in dem göt­tlichen Ewigen ein­tritt; alles, was in die Erschei­n­ung tritt, ist der Gedanke des Göt­tlichen, der durch das Wort aus dem Innern der Got­theit her­ausströmt. So tritt aus dem göt­tlichen Sein, aus der Ruhe, die zugle­ich unaus­ge­set­zte, undif­feren­zierte Bewe­gung ist, durch das Wort das Leben her­vor und ver­set­zt alles in die unaus­ge­set­zte dif­feren­zierte Bewe­gung und prägt dadurch den Gottes­gedanken in dem vorher Undif­feren­zierten aus. So ist das Göt­tliche über­all zu gle­ich­er Zeit ewige Ruhe, dem Sein nach; dann ewiges Leben, das dem ewigen Wech­sel gle­ichkommt, denn ewiges Leben heißt ewiger Wech­sel, ewiges Auf­s­prießen, Her­vorwach­sen, und zulet­zt ewiges Bewusst­sein; ein beständi­ger Aus­druck des gewor­de­nen Gottes­gedankens ist die Welt.

Alles, was wir äußer­lich in der Welt wahrnehmen, ist das durch das göt­tliche Leben in äußeres Sein umge­set­zte Bewusst­sein. Der Men­sch entwick­elt sich auch ein­mal dahin, dass er sein Bewusst­sein durch das Wort nach außen senden kann und in eine äußere Schöp­fung umwan­deln kann. Dazu muss er erst imstande sein, den klaren Gedanken aus seinem Inneren her­auszusenden. Dann muss er diesen Gedanken mit einem Leben durchtränken kön­nen. Dann muss er imstande sein, diesen leben­den, rhyth­mis­chen Gedanken der Umwelt dauernd einzuprä­gen, ihn zur Verkör­pe­rung zu brin­gen. Dann ist er selb­st Schöpfer in höherem Sinne gewor­den, got­tähn­lich ist er dann. Wenn er klare Gedanken in die Welt hin­aussendet, so wirkt er durch die Kraft des göt­tlichen Geistes; wenn er lebensvolle Gedanken erzeugt, so wirkt er durch die Kraft des Sohnes; wenn er gestal­tende, lebende Gedanken aussendet, so wirkt er durch die Kraft des Vaters.“ (Lit.: GA 91, S. 270f)

Über die Spiegelsprüche 21 U und 32 f

Die Mantren 21 U und 32 f scheinen auf den ersten Blick zum Ver­wech­seln ähn­lich. Sie weisen eine beson­ders hohe Zahl an gle­ichen Worten und Wen­dun­gen auf. Ihr Inhalt wirkt unkonkret und erscheint zunächst unin­ter­es­sant, fast alltäglich. Ich kön­nte auch sagen, das „Gewebe“ der Mantren ist so fein, dass es beson­ders schw­er zu greifen ist.

Bei­de Mantren sind aus der Per­spek­tive eines sein­er sich selb­st bewussten Ich-Sprech­ers geschrieben. Dieser Ich-Sprech­er fühlt. Fühlen geschieht immer in der Gegen­wart. Der gegen­wär­tige, ver­fließende Moment wird in den Mantren auf­fal­l­end her­vorge­hoben durch jew­eils drei Ver­ben, die in der Ver­laufs­form ste­hen. Eine solche Häu­fung diese Verb­form erzeugt ein Gefühl des Ungreif­baren. Mehrere sich ger­ade vol­lziehende Aktiv­itäten, die ja weit­er andauern, müssen vom Leser/Hörer gle­ichzeit­ig mitvol­l­zo­gen, mit­ge­fühlt wer­den. Im Mantra 21 U sind dies fruch­t­end, stärk­end und reifend. Im Mantra 32 f sind es eben­so fruch­t­end und stärk­end, das dritte Verb lautet kraftend. Schaue ich auf die bei­den sich unter­schei­den­den Ver­ben, so geschieht im Pflanzen­re­ich das Kraften im Früh­ling, das Reifen im Herb­st. Doch ist es ein „Keim“ (21 U), also das, was sich in der Seele mit dem Keim ein­er Pflanze beschreiben lässt, der vom Ich-Sprech­er als reifend emp­fun­den wird. Und es ist ein „Eigen­we­sen“ (32 f), das ich als eine Frucht der man­nig­falti­gen Erfahrun­gen ansprechen kann, das vom Ich-Sprech­er als kraftend, also früh­ling­shaft gefühlt wird. Eine Gle­ichzeit­igkeit von jahreszeitlichen Gegen­sätzen erscheint hier, die Schlüs­sel sein kann zum Ver­ständ­nis dieser Spiegelsprüche.

Doch nach dieser Vorauss­chick­ung will ich der Rei­he nach vorge­hen. Im Mantra 21 U fühlt der Ich-Sprech­er eine fruch­t­ende fremde Macht. Der Ich-Sprech­er des Mantras 32 f fühlt dage­gen die eigene Kraft fruch­t­end. Die Macht ist hier zunächst fremd, die Kraft ist die eigene. Macht und Kraft bedin­gen sich gegen­seit­ig, denn Kraft ver­lei­ht Macht – und Macht zeigt sich kraftvoll. Trotz­dem unter­schei­den sie sich insofern, als dass Macht auch vorhan­den ist, wenn sie nicht aus­geübt wird. Sie beste­ht über die Gegen­wart hin­aus. Macht ist Potenz und Kom­pe­tenz. Kraft wird dage­gen als Inten­sität ein­er Wirkung erlebt. Sie ist eine sit­u­a­tive Erschei­n­ung, die nur beste­ht, solange sie aus­geübt wird. Die Kraft des Windes wirkt nur, solange der Wind bläst, seine Macht über die Welt ist dage­gen stets gegen­wär­tig. Gle­ichzeit­ig ist die Macht auf die Kraft angewiesen. Ein Weber, Meis­ter seines Fach­es, hat die Macht zu weben. Ist er jedoch müde, man­gelt ihm die Kraft, seine Macht zu gebrauchen. Kraft ist stets Aus­druck von Leben­skraft, Macht von erwor­ben­er Erfahrung (abge­se­hen von der erblich gewor­de­nen Macht der Könige). Macht kann ich als eine astrale Qual­ität anse­hen, Kraft als eine ätherische.

Im Mantra 21 U ist es eine fremde Macht, die fruch­t­end wirkt. Später im Mantra ist es die eigene Macht, an der lichtvoll gewoben wird. Im Mantra 32 f ist es nur die eigene Kraft, die sich allerd­ings stärkt. Was ist die fremde Macht? Was fühlt der Ich-Sprech­er als fremde Macht fruch­t­end wirken? Er fühlt etwas, das nicht er ist, das außer­halb sein­er selb­st ist. Und diese Macht stärkt sich, sie ver­stärkt sich noch durch das Geschehen. Und gle­ichzeit­ig ver­lei­ht sie dem Ich-Sprech­er sich selb­st. Durch die fremde Macht wird er mehr er selb­st. Der Vor­gang gle­icht einem Gericht, das immer mehr es selb­st wird, je mehr der benötigten Zutat­en hinzuge­fügt wer­den. Die Kom­pe­tenz des Kochs – der frem­den Macht – wächst in diesem Prozess durch die gewonnene Erfahrung, der Koch wird stärk­er. Ich sehe die Zeit als die fremde Macht an. Sie gibt dem Men­schen immer neue Zutat­en. Der Men­sch ist in diesem Bilde das Gericht, das ger­ade gekocht wird. Der Ich-Sprech­er fühlt die Zeit und je länger sie wirkt, desto älter er wird, desto stärk­er fühlt er ihre Wirkung. Die Zeit fühlt er fruch­t­end, sie befruchtet den Ich-Sprech­er mit immer neuen Erleb­nis­sen und Her­aus­forderun­gen – und unter diesem Prozess wird er immer mehr er selb­st. Der Ich-Sprech­er wird sich selb­st verliehen.

Im Mantra 32 f ist es die eigene Kraft, die fruch­t­end wirkt. Diese Kraft stärkt sich eben­falls während ihrer fruch­t­en­den Wirkung und ver­lei­ht den Ich-Sprech­er der Welt. Die eigene Kraft wird erlebt, während sie aus­geübt wird, während gehan­delt wird. Muskelkraft trainiert sich durch Gebrauch. Auch die Wil­len­skraft wächst durch ihre Anwen­dung. Es geht hier also um die Kraft, etwas in der Welt zu verän­dern. Und mit jed­er Hand­lung geht etwas vom Men­schen in die Welt. Der Men­sch hin­ter­lässt Spuren. Doch warum fruchtet diese Kraft? Auch geistig, mit jedem Denk-Akt, han­delt der Men­sch. Für die zum aktiv­en Denken notwendi­ge Konzen­tra­tion braucht er eben­so Kraft, die sich durch Übung stärkt.

Denken und Wahrnehmung befrucht­en einan­der gegen­seit­ig. Eine neue Wahrnehmung befruchtet das Denken. Sie stellt das Gewohnte in Frage und fordert den Men­schen her­aus, das Neue zu inte­gri­eren. Und die neu gewonnene Ein­sicht, das neu Gel­ernte verän­dert die Aufmerk­samkeit und damit die Wahrnehmung. Durch diesen Zusam­men­hang ergibt sich eine neue Ein­sicht. Nicht nur die Zeit, auch die Wahrnehmung begeg­net dem Men­schen als fremde Macht (21 U) und wirkt befruch­t­end. Zum Denken braucht der Men­sch seine eigene Kraft (32 f) und indem sich dadurch sein Bewusst­sein verän­dert, befruchtet er seine Wahrnehmungs­fähigkeit. Durch die Wahrnehmung der Natur­re­iche erken­nt der Men­sch sein eigenes Wesen – er wird sich selb­st ver­liehen (21 U). Durch sein Denken wird er der Welt ver­liehen (32 f), denn jed­er Gedanke, sagt Rudolf Stein­er, ist ein vom Men­schen erschaf­fenes Wesen, dass in der Welt weit­er­lebt. So lässt sich schlussfol­gern, dass Wahrnehmung den Men­schen als Eigen­we­sen stärkt, weil er hier Dual­ität erlebt und Denken vere­int den Men­schen mit der Welt, weil er sie Zusam­men­hänge bildend und ver­ste­hend sich zu eigen macht.

In bei­den Mantren wird der Ich-Sprech­er sich selb­st bzw. der Welt ver­liehen. In bei­den Fällen ist es kein endgültiger, son­dern ein vorüberge­hen­der Besitz. Rudolf Stein­er beschreibt im Vor­wort zur ersten Aus­gabe des See­lenkalen­ders den zyk­lis­chen Charak­ter von Wahrnehmung und Denken fol­gen­der­maßen: „Mit der Welt und ihrem Zeit­en­wan­del ver­bun­den fühlt sich der Men­sch. In seinem eige­nen Wesen empfind­et er das Abbild des Wel­ten-Urbildes. Doch ist das Abbild nicht sinnbildlich-pedan­tis­che Nachah­mung des Urbildes. Was die große Welt im Zeit­en­laufe offen­bart, entspricht einem Pen­delschlage des Men­schen­we­sens, der nicht im Ele­mente der Zeit abläuft. Es kann vielmehr fühlen der Men­sch sein an die Sinne und ihre Wahrnehmungen hingegebenes Wesen als entsprechend der licht- und wärme-durch­wobe­nen Som­mer­natur. Das Gegrün­det­sein in sich sel­ber und das Leben in der eige­nen Gedanken- und Wil­lenswelt kann er empfind­en als Win­ter­da­sein. So wird bei ihm zum Rhyth­mus von Außen- und Innen­leben, was in der Natur in der Zeit­en Wech­selfolge als Som­mer und Win­ter sich darstellt. Es kön­nen ihm aber große Geheimnisse des Daseins aufge­hen, wenn er seinen zeit­losen Wahrnehmungs- und Gedanken­rhyth­mus in entsprechen­der Weise zum Zeit­en­rhyth­mus der Natur in Beziehung bringt.“ (GA 40, S. 21f)

Im Mantra des Wahrnehmungs­men­schen (21 U) heißt es weit­er, dass er den Keim reifend empfind­et. Der, der sich selb­st ver­liehen wurde durch die fruch­t­ende fremde Macht, empfind­et jet­zt noch etwas neben sich selb­st. Er empfind­et einen reifend­en Keim. Was da in ihm keimt, ist sein Dasein als zukün­ftiger Geist-Men­sch. Wahrnehmend begeg­net der Men­sch in der Welt seinem Urbild, wie Rudolf Stein­er im obi­gen Zitat ver­muten lässt. Er begeg­net seinem Ziel, das er ein­st­mals erre­ichen soll, das gegen­wär­tig in ihm noch Keim ist.

Im Mantra des Denkmen­schen (32 f) heißt es weit­er, dass er sein Eigen­we­sen kraftend fühlt. Durch eigene Hand­lun­gen erlebt der Men­sch Selb­st­wirk­samkeit und das gilt auch für eigenes aktives Denken. Dadurch fühlt der Ich-Sprech­er sein Eigen­we­sen kraftend, zu Kräften kom­mend, kräftiger wer­dend. Mit dieser neu gewonnenen Kraft kann er als Eigen­we­sen sich nun fol­gerichtig zur Klarheit wen­den und die Schick­sals­fä­den ord­nen, die Knoten lösen – die Ver- und Beurteilun­gen über­denken und kor­rigieren. Erst als kräftig gewor­denes Eigen­we­sen, das sich von allen anderen Eigen­we­sen unter­schei­det, erst als unver­wech­sel­bare Indi­vid­u­al­ität ist die Klarheit vorhan­den, die Schick­sals­fä­den zu entwirren und die Geschehnisse nun nicht mehr nach erlern­ten Nor­men, son­dern nach selb­st errun­genen Werten zu beurteilen – und entsprechend anders zu han­deln. Erst wenn das Denken kräftig genug gewor­den ist, kann es auch in die Motive der Hand­lun­gen Bewusst­sein brin­gen – „Denken in den Willen brin­gen“, wie Rudolf Stein­er es nennt.

Der Wahrnehmungs­men­sch (21 U) empfind­et nach dem reifend­en Keim im Innern die Ahnung lichtvoll webend an der Macht der Selb­s­theit. Wofür wird diese Macht benötigt? Vielle­icht, um entsprechend „Willen ins Denken zu brin­gen“, um aktiv gestal­tend zu denken. Die Wahrnehmungen lassen unun­ter­brochen Gedanken entste­hen. Pausen­los fügt das Denken Begriffe zur Wahrnehmung hinzu, benen­nt diese. Doch dieses Denken ist kein aktives, wil­lentlich geführtes Denken. Das wird es erst, wenn es eine Instanz gibt, die das Denken lenkt, die dem Denken durch Fra­gen die Rich­tung weist. Dafür braucht es die Macht der Selb­s­theit. Lichtvoll webt die Ahnung diese Macht durch das Licht des Som­mer-Hal­b­jahres, das dem Wahrnehmungs­men­schen entspricht.

So unschein­bar diese Mantren wirken, bein­hal­ten sie doch gemein­sam das schöpferische Poten­zial des Men­schen. Durch das dem Vor­bild der zyk­lis­chen Zeit fol­gende, doch sel­ber zeit­lose, aber an sich rhyth­mis­che und in sich wech­sel­seit­ige Zusam­men­wirken von Wahrnehmung und Denken gewin­nt der Men­sch Anteil an der Ewigkeit.

Durch das Zusam­men­spiel von Wahrnehmung und Denken erfährt sich der Men­sch als Ich – im Wahrnehmen lernt erfährt er sich der Welt gegenüber­ste­hend und lernt sich zu unter­schei­den, im Denken ergreift er sich als Ich. Durch das füh­lende Erleben des Ich-Sprech­ers in diesen Spiegel­sprüchen wird der Leser/Hörer Zeuge von der Entzün­dung des Ich-Funkens aus der frucht­baren Span­nung zwis­chen Macht und Kraft. Macht und Kraft zeigen sich dadurch als zwei Seit­en ein­er Medaille. Sie sind Offen­barung und Wirk­samkeit eines Wesens – des hin­ter dem Ich-Erleben ste­hen­den höheren Ich des Menschen.

Bei­de Mantren beto­nen Aspek­te des Ichs, doch auf ver­schiedene Weise. Im Mantra 21 U fühlt der Ich-Sprech­er das sich von ihm unter­schei­dende als eine fremde Macht, die (nach mein­er Mei­n­ung) von Außen auf ihn ein­wirkt. Sie ver­lei­ht ihm sich selb­st. Er wird ein Selb­st – laut Rudolf Stein­er die Spiegelung des Ichs an der Physis. Das Mantra spricht nun von einem reifend­en Keim. Ich ver­ste­he das so, dass das ihm ver­liehene Neue ein lebendig-Wesen­haftes im Keimzu­s­tand ist. Und dieses Neue wird eine mit Macht aus­ges­tat­tete Selb­s­theit sein. Sicher­lich ist es gerecht­fer­tigt, hier an das wer­dende Geist­selb­st zu denken, an das Arbeit­sergeb­nis des Ichs am Astralleib. Die Ahnung webt lichtvoll an dieser Macht. Das auf die Zukun­ft, auf das Men­schheit­sziel aus­gerichtete und gle­ichzeit­ig mit dem Uran­fang, den Ahnen ver­bun­dene höhere bzw. tiefer Erken­nen des Men­schen, sein Ahnen, webt diese Macht. Wie ein Königs­man­tel aus Licht wird die Selb­s­theit dann umhüllt sein mit wiederum ausstrahlen­der Macht, wenn sie fer­tig gewoben sein wird. Dieser Prozess geschieht im Innern. Das Mantra 21 U beschreibt eine von Außen nach Innen gehende Bewegung.

Im Mantra 32 f find­en wir die Gegen­be­we­gung. Sie begin­nt mit dem Fühlen der eige­nen Kraft – die sicher­lich im Innern erlebt wird — und sie führt zur Klärung des Lebenss­chick­sal­swebens, das im Außen, im sozialen Umfeld stat­tfind­et. Schon vorher ver­lei­ht die eigene Kraft den Ich-Sprech­er der Welt, eine erste nach außen gerichtete Bewe­gung. Danach fühlt der Ich-Sprech­er sein Eigen­we­sen kraftend – wiederum ein Innen­er­leb­nis. Was ist das kraftende Eigen­we­sen (32 f)? Sicher­lich unter­schei­det es sich von der mit lichter Macht begabten Selb­s­theit (21 U). Das Eigen­we­sen ist es, das sich zur Klarheit wen­det im Lebenss­chick­sal­sweben. Es ord­net das Kar­ma. Kön­nte es vielle­icht als der wer­dende, kraftende Lebens­geist ange­se­hen wer­den, als die ver­wan­del­ten Ätherkräfte – die Chris­tuskraft im Menschen?

Ergänzend ein hypo­thetis­ch­er Gedanke

Es wird gesagt, dass der Men­sch dazu berufen ist, die neun himm­lis­chen Hier­ar­chien als zehnte Hier­ar­chie zu ergänzen. Die neun Engel­hier­ar­chien kön­nen in den neun Stufen im Stern­bere­ich des Jahres­lauf-Eis gefun­den wer­den. Das Mantra 21 U entspricht der Stufe der Elo­him, die dem Men­schen das Ich ver­liehen haben, indem sie von ihrer Sub­stanz opfer­ten. Sie wer­den von Rudolf Stein­er als Geis­ter der Form benan­nt. Die obige Darstel­lung kann als Bestä­ti­gung emp­fun­den wer­den. Doch an dieser Stelle möchte ich noch weit­er­führende Ahnung teilen, denn die Mantren 21 U – 32 f machen einen sehr dynamis­chen Ein­druck. Vielle­icht ist es so:

Wenn der Men­sch 10. Hier­ar­chie gewor­den ist – wenn er Engel­stufe erre­icht hat – steigen mit ihm alle Hier­ar­chien auf. In den Mantren des Wel­tenwortes (17 Q — 36 k) kann dieses Ziel erah­nt wer­den. Damit ver­schieben sich die Hier­ar­chi­estufen jew­eils um ein Mantra. Dann wird zu den Mantren 21 U – 32 f die Stufe der Dynamis, der Geis­ter der Bewe­gung gehören.

26 Z – 27 a – Seraphim steigen eben­so auf zu neuen Aufgaben

25 Y – 28 b Cheru­bim steigen auf zu Seraphim – Geis­ter der Liebe

24 X – 29 c Thro­nen steigen auf zu Cheru­bim – Geis­ter der Harmonie

23 W – 30 d – Kyri­otetes steigen auf zu Thro­nen – Geis­ter des Willens

22 V – 31 e — Dynamis steigen auf zu Kyri­otetes – Geis­ter der Weisheit

21 U – 32 f — Elo­him steigen auf zu Dynamis – Geis­ter der Bewegung

20 T – 33 g — Archai steigen auf zu Elo­him – Geis­ter der Form

19 S – 34 h – Erzen­geln steigen auf zu Archai – Geis­ter der Uranfänge

18 R – 35 i – Engeln steigen auf zu Erzengeln

17 Q – 36 k – Men­sch steigt auf zur Engel­stufe und wird 10. Hierarchie

Das bedeutet auch, dass zu den drei als Zusam­menge­hörig zu betra­ch­t­en­den Mantren von Krisen- Zwis­chen- und Licht­sprüchen eben­falls eine zusam­menge­hörige Drei­heit von Engel­hier­ar­chien gehört.