25 Y
Ich darf nun mir gehören
Und leuchtend breiten Innenlicht
In Raumes- und in Zeitenfinsternis.
Zum Schlafe drängt natürlich Wesen,
Der Seele Tiefen sollen wachen
Und wachend tragen Sonnengluten
In kalte Winterfluten.
Schlafen und Wachen
Rudolf Steiners Erkenntnisse zum Schlafen und Wachen werden bei Anthrowiki.at folgendermaßen zusammengefasst: “Im Schlaf heben sich beim Menschen die höheren seelischen und geistigen Wesensglieder, also das Ich und Astralleib, aus den oberen Partien des belebten Körpers (physischer Leib und Ätherleib) heraus, wodurch das beim heutigen Menschen an den physischen Leib gebundene Ich-Bewusstsein schwindet. …
Jeden Tag, etwa in der Mitte zwischen Einschlafen und Aufwachen, begegnen wir unserem werdenden Geistselbst, das aber heute noch von einer Wesenheit aus der Hierarchie der Angeloi getragen wird, so dass wir auch sagen können, dass wir mitten im tiefsten Schlaf unserer führenden Engelwesenheit begegnen. Es ist eine Begegnung mit unserem Genius und mit dem Heiligen Geist, der durch ihn wirkt. … Der geistige Entwicklungsweg soll uns nach und nach dahin führen, dass wir diese Begegnung mit dem Genius, mit unserem werdenden Geistselbst ganz bewusst haben können. Sie muss also dann im vollen Wachen stattfinden, obwohl wir für die sinnliche Aussenwelt tief schlafen.”
Wenn wir einschlafen verlieren wir normalerweise unser waches Bewusstsein mit der vorübergehenden Trennung der oberen und unteren Wesensglieder. Dies muss jedoch nicht so sein. Durch Schulung, so sagt Rudolf Steiner, könne diese Trennung auch wach erlebt werden. Es kann wach “geschlafen” werden. Diesen Grad an Wachheit zu erlangen ist sicherlich schwer. Deutlich einfacher und natürlich auch mit einer weit geringeren Trennung der Wesensglieder einhergehend erscheint mir das sogenannte “Freezing” (eng. frosten). Hier wird der Körper sozusagen bewusst eingefroren, die äußeren Sinne ausgeschaltet. Schließe ich dabei die Augen, sehe ich die Dunkelheit. Ich erwache zu dem inneren Blick, der weiß, dass er sieht. Dieser Blick nimmt das eigene Bewusstsein wahr. Und das ewige, selbstleuchtende Licht erscheint. Das tatsächliche Schließen der Augen ist dabei nicht unbedingt nötig. Es genügt, alle Aktivität, äußere wie innere zu stoppen, einzufrieren sozusagen.
“Zum Raum wird hier die Zeit”
Rudolf beschreibt, wie die Zeitwahrnehmung sich verändert, im Moment des Einschlafens oder Aufwachens. “Denn außer Wachen und Schlafen gibt es ein Drittes, das für den Verkehr mit der geistigen Welt wichtiger ist als das bloße Wachen und Schlafen, nämlich das Aufwachen und das Einschlafen. Dieses Aufwachen und Einschlafen, es dauert immer nur einen Augenblick und gleich kommt man in einen anderen Zustand. Aber wenn ein Mensch sich Empfindsamkeit entwickelt für diesen Moment des Aufwachens und Einschlafens, dann geben gerade diese Augenblicke des Aufwachens und Einschlafens die größten Aufschlüsse über die geistige Welt. …
Bei dem Einschlafen ist es so, daß wieder im Moment des Einschlafens in kolossaler Weise die geistige Welt an uns herantritt, aber wir schlafen gleich ein, wir verlieren das Bewußtsein von dem, was uns durch die Seele gezogen ist. In gewissen Fällen können aber Ausnahmen eintreten. Nun sind eben die Momente des Aufwachens und des Einschlafens die bedeutsamsten für den Verkehr mit den so genannten Toten, auch sonst mit den geistigen Wesen der höheren Welt. — Um das zu verstehen, was ich in bezug darauf zu sagen habe, ist es allerdings notwendig, daß Sie eine Vorstellung sich aneignen, die man hier auf den physischen Plan nicht recht anwenden kann und daher eigentlich nicht hat. Es ist die Vorstellung: Was zeitlich vorübergegangen ist, ist eigentlich geistig nicht vorübergegangen, sondern ist noch da. Das ist eine Vorstellung, die man im physischen Leben nur in bezug auf den Raum hat. Wenn Sie vor einem Baume stehen und dann weggehen, später zurückschauen, so verschwindet er nicht; er ist noch da. So ist es mit der Zeit in der geistigen Welt. Wenn Sie jetzt etwas erleben, so ist es weg für das physische Bewußtsein; geistig angesehen ist es nicht weg. Sie können darauf zurückschauen wie zum Baume. Es ist sehr merkwürdig, daß Richard Wagner, wie seine Worte zeigen: Zum Raum wird hier die Zeit - von dieser Sache gewußt hat. Das ist ein Geheimnis, daß eigentlich im Geistigen es Entfernungen gibt, die hier auf dem physischen Plan nicht zum Ausdruck kommen. Vorübersein eines Ereignisses bedeutet nur: Es ist weiter von uns. Das bitte ich Sie für den Fall, den wir jetzt betrachten, besonders ins Auge zu fassen. Denn für den Erdenbewohner im physischen Leibe ist es so, daß im Moment des Aufwachens der Moment des Einschlafens vorbei ist; wenn wir in der geistigen Welt sind, stehen wir, wenn wir aufwachen, nur ein bißchen weiter weg vom Moment des Einschlafens.” (GA 182: S. 47f, Hervorhebung A.F.)
Zeit erscheint im inneren Bild als fließendes Wasser, als Zeitstrom. Tritt der zyklische Aspekt der Zeit ins Bewusstsein, so rundet sich der linear erlebte Fluss der Zeit zum Kreislauf. Jeder abgeschlossene Zyklus, ist ein geistiger Wassertropfen. Hier ist die Zeit zum Raum geworden, zu einem Zeitraum. Ganz unbewusst-selbstverständlich wird diese Zäsur beim Übertritt von einem Zeit-Raum in einen anderen von den meisten Menschen empfunden und gefeiert. Das Neujahrsfest oder auch der Beginn eines neuen Tages sind solche Momente des Übergangs von einem Zeitraum in einen anderen. Und gleichzeitig konkurriert dieses Zeitraum-Erleben mit dem anderen Bild der Zeit, dem gleichmäßig und stetig, ohne besondere Veränderungen erlebten Fließen des Zeitstromes.
Wie kann ich das Mantra 25 Y verstehen?
Das Mantra 25 Y beginnt mit einer seltsam selbstverständlichen Aussage. Ich darf nun mir gehören. Ja, wem gehörte ich denn vorher? Und was ist nun anders als vorher? Kann ich eigentlich auch nicht mir gehören? Das Sommer-Halbjahr beschreibt die Wahrnehmungsseite der Seele. Es beschreibt von der Osterwoche 1 A angefangen Mantra für Mantra den Prozess aus sich herauszugehen, sich von der Wahrnehmung befruchten zu lassen und wieder in sich zurückzukehren. Das Sommer-Halbjahr beschreibt den Prozess des Eins-Werdens mit der Welt und die darauffolgende Loslösung. In der Zeit des Eins-Seins lebt die Seele in Gemeinschaft mit der Welt. Ab einem gewissen Punkt ist die Gemeinschaft so stark, dass die Seele der Welt angehört.
Die Woche, in der dieser Grad der Vereinigung erreicht wird, in der sich das geistige Wesen mit dem Menschen einen will, ist die Pfingstwoche 8 H. — Die Loslösung vollzog sich in der vergangenen Woche 24 X, als der Weltengeist fortstrebte. Im Pfingstspruch 8 H wird die Bedingung beschrieben, unter der sich das göttliche Wesen mit meiner Seele vereinen kann. Das menschliche Denken muss sich im Zustand der Traumesdumpfheit befinden. Von da an lag die Prozessverantwortung nicht mehr bei der Seele. Diese Phase endete mit dem Fortstreben des Weltengeistes im Mantra 24 X. Das eigene, aktive Denken setzt damit aber nicht sofort ein. Mehrere Stufen liegen noch davor. Die Aufgabe, des Denkens Leuchten zu entfachen, erkennt der Ich-Sprecher erst im Mantra 29 c. Die vier dazwischen liegenden Mantren kann ich als Phase auffassen, die dem oben erwähnten Wachen im Schlaf entspricht. Die äußere Anregung des Seelenlebens durch die Wahrnehmung hat aufgehört, das eigene Denken ist noch nicht erwacht. Zwei Mantren liegen vor der Halbjahresschwelle, zwei danach. Damit gibt es auch hier eine Trennung der Vier in zwei Paare, wie es oben für die vier Wesensglieder erwähnt wird: Ich und Astralleib sowie Ätherleib und physischer Leib.
Nun darf (und kann) ich Innenlicht in Raumes- und in Zeitenfinsternis breiten. Dieses Innenlicht ist kein blendendes, strahlendes Licht. Es ist offensichtlich kein zielgerichtetes Strahlen, sondern ein mildes Scheinen. Dieses ruhig und gleichmäßig sich ausbreitende Innenlicht erlebe ich als Aufmerksamkeit ohne Erwartungshaltung. Es gleicht eher einem Gewebe aus Licht, denn ich breite es aus. Es ist Bewusstseinslicht, das noch nicht fokussiert, noch nicht durch das Denken gebündelt ist. Für meine Wahrnehmung strahlt es vom Herzen aus, nicht vom Kopf. Es ist Meditations-Stimmungs-Licht. Es gibt sich hin, ähnlich wie wir uns dem Schlaf hingeben. In dieser Situation droht der Schlaf, wie es weiter unten im Mantra heißt.
Ich breite das Licht in Raumes- und Zeitenfinsternis. Zunächst sind Raum und Zeit (Zeiten) finster. Für mein nach außen gerichtetes, alltägliches Bewusstsein sind sie dunkel, ich erkenne nichts. Raum und Zeit gehören zu den Grundbedingungen des Lebens, doch mehr als das sind sie zunächst nicht. Ihre Weisheit offenbaren sie erst, wenn Innenlicht sie erleuchtet. Was zeigt sich, wenn ich mein Innenlicht in Raum und Zeit ausbreite?
Den Raum erleben wir immer als eine Kugel bzw. als Kreis mit uns selber als Mittelpunkt. Im Horizontkreis steht jede Person in dessen Mittelpunkt. Mit Rechts und Links geben wir auch die Raumesrichtungen aus der individuellen Perspektive an. Die Windrose mit den Himmelsrichtungen gibt diesem Raum eine vom Sonnenlauf entliehene objektive Orientierung. Alte Weisheitstraditionen verbanden mit den vier Himmelsrichtungen seelische Vorgänge. Die Angabe der Himmelsrichtung war wie ein Codewort für Wissende. Thor ging in der Nordischen Mythologie immer auf Ostfahrt, das Land der Toten suchte man im Westen. Rudolf Steiner beschreibt die seelischen Qualitäten der Himmelsrichtungen so: “Vom Osten strömen die Verstandeskräfte der Erde zu. Von dort aus wird die Erde mit den heiligen Verstandeskräften durchströmt. Diese sind etwa im Altar (des Ostens) wiedergegeben; dort ist der Kopf der Erde. Wenden wir uns zum Süden: Von dort strahlen die heiligen Herzenskräfte, die Kräfte der Liebe und Hingabe der Erde zu. Von Westen ergießt sich der heilige Wille in die Erde, der die Glieder durchströmt, woraus die Handlungen fließen.
Wenn wir uns in der Meditation unseren Tempel vorstellen, so sollen wir daran denken, daß der Altar des Ostens der Kopf, der Altar des Südens das Herz, der Altar des Westens die Glieder der Erde darstellt, und sollen empfinden, wie im Osten die Verstandeskräfte, im Süden die Herzens- und Liebeskräfte, im Westen die Willenskräfte fließen und in der Mitte des Tempels zusammenströmen. Dann werden wir uns nach diesen Altären wenden und bitten, daß diese Kräfte in uns einströmen und uns durchfluten und durchkraften mögen.” (Lit.: GA 265, S. 316f) Zum Norden äußert er an dieser Stelle nichts.
Eine andere Darstellung von Rudolf Steiner betrifft die vier Wesensglieder, deren Kräfte aus je einer anderen Richtung zum Zentrum strömen, und indem sie sich aufstauen, unseren Leib bilden (GA 115, S. 39):
Diese kurzen Hinweise mögen genügen, um eine Vorstellung zu vermitteln, was es bedeuten kann, Licht in Raumesfinsternis zu breiten.
Und was zeigt sich, wenn Licht in Zeitenfinsternis gebreitet wird? Rückt der zyklische Aspekt der Zeit in den Fokus, so verändert sich die Vorstellung von der Zeit, das innere Bild, der Wendel taucht auf. Der waagerecht vorbeifließende Zeitstrom rundet sich zum Zeitraum. Ein Jahreskreis ist solch ein Zeitraum. Dadurch bilden sich nun die verschiedenen Stadien des Zyklus, das Werden und Vergehen, räumlich ab und können auf die oben erwähnten geistigen Qualitäten des Raumes bezogen werden. In Raum und Zeit sind alle Geheimnisse unseres Daseins abgebildet, sofern das Innenlicht sie erhellt. Wie facettenreich und umfassend der Jahreskreis verstanden werden kann, zeigen die Mantren des Seelenkalenders.
Das natürliche Wesen drängt zum Schlaf. Das natürliche Wesen ist unser belebter Körper. Physischer Leib und Ätherleib — sind Natur an uns. Diese beiden Wesensglieder brauchen den Schlaf zur Regeneration. Dieses Einschlafen geschieht nicht nur nachts, sondern mit jeder Wahrnehmung. In jedem Wahrnehmungsakt gehen wir aus uns heraus und sind mit unserem Bewusstsein beim Wahrnehmungsgegenstand. Dadurch schlafen wir für die Eigenwahrnehmung ein, auch am Tag. Das Erwachen findet erst statt, wenn das Urteil gefallen, der Begriff hinzugefügt ist. Damit ist die Türe zur Geistigen Welt schon wieder geschlossen. Dieses Pendeln des Bewusstseins ist unsere von Natur gegebene Anlage des Wahrnehmungsprozesses. Doch das muss nicht so bleiben.
Die Tiefen der Seele sollen wachen. Die Seele soll das Bewusstsein wahren können, auch wenn das Ich und der Astralleib sich vom Körper lösen im Prozess des Einschlafens bzw. Wahrnehmens. (Siehe oben über Schlafen und Wachen.) Beim tatsächlichen Einschlafen bewusst zu bleiben, ist mir persönlich nicht möglich. Anders ist es im Wahrnehmungsprozess. Deshalb beziehe ich mich im Folgenden auf diesen.
Wenn die Tiefen der Seele wachen sollen, so klingt mit, dass es auch eine Höhe im Seelenraum gibt. Im Mantra 13 M, direkt vor dem oberen Scheitelpunkt des Jahreskreises, wird gesagt, dass ich in den Sinneshöhen bin. Wahrnehmung ist ein Höhen Erlebnis, auch die Wahrnehmung dessen, was das Innenlicht von Raum und Zeit sichtbar macht. Die gleichzeitige Präsenz in Sinneshöhen und Seelentiefen erzeugt ein Erlebnis großer Spannung. Ich bin gefordert, oben und unten, Höhe und Tiefe — den Wahrnehmungsgegenstand und mein Inneres verbindend wach zu erleben. Dies ist ein Gefühl, innerlich aufgespannt zu sein zwischen zwei Polen. Dadurch wird ein Bewusstsein möglich, das über die alltägliche Bewusstheit hinaus geht. Überbewusstsein entsteht. Wir werden dadurch zum Beobachter unserer selbst.
Und während die Tiefen der Seele wachen, hat die Seele einen Auftrag. Sie soll Sonnengluten in kalte Winterfluten tragen. Was sind in diesem Zusammenhang die Sonnengluten und was sind die kalten Winterfluten? Zwei Wege zum Verständnis scheinen mir möglich, der eine von der menschlichen Organisation ausgehend, der andere vom Jahreslauf.
Von der menschlichen Organisation ausgehend zeigt sich der Stoffwechsel als der heiße Pol, der Kopf als der kalte. Wir brauchen einen warmen Körper und einen kühlen Kopf, um gesund zu sein. Es soll also ein Transfer vom unbewussten Stoffwechsel-Willenspol zum kalten Denkpol stattfinden. Was vorher unbewusst war, soll nun bewusstwerden. Dieser Weg geht durch die Mitte, das fühlende Herz. Wille soll ins Denken getragen werden und warmes, fühlendes Herzdenken soll klar und kühl durchdacht werden. Diese Verbindung des Willens mit dem Denken (und auch anders herum) ist eine von Rudolf Steiner angegebene Bedingung für die moderne Einweihung:
“Denkübungen auf der einen Seite, Willensübungen auf der anderen Seite muß man machen, wenn sich das Tor öffnen soll zur übersinnlichen Welt, in die wir eintreten müssen, wenn wir uns unsererseits, als Menschen, nach unserem Ewigen erkennen wollen, und wenn wir die Welt nach dem Ewigen erkennen wollen. Die Denkübungen, sie werden gerade dadurch vollzogen, daß wir uns darauf besinnen, wie immer Willensartiges in das Denken hineinspielt; die Willensübungen, indem wir das Hineinspielen des Denkens in den Willen beachten. Nur im gewöhnlichen Leben beachten wir dieses Willensartige nicht. Um zur modernen Initiation zu kommen, müssen wir gerade den leisen Willen, der in dem Vorstellungsleben darinnen ist, beachten. Das müssen wir nach und nach erreichen durch die Übungen, die ich beschrieben habe in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?». Das ist es gerade, was ich hier andeuten will: Wir müssen das, was für gewöhnlich gerade das Wichtigste ist, den Gedankeninhalt zurücktreten lassen und den Willen im Denken bewußt gebrauchen lernen.” (Lit.: GA 211, S. 144)
Für den zweiten Weg gehe ich vom Jahreslauf aus. Auch die Halbjahre können als Sonnengluten und Winterfluten angesehen werden. Das warme, Sonnendurchglühte Sommer-Halbjahr steht laut Rudolf Steiner für den Wahrnehmungsprozess, das Winterhalbjahr für das Denken. Hier in meinem Wahrnehmungs-Seelenbereich sind sie, diese Sonnengluten, die ich wach in den Bewusstseins-Winter-Seelenbereich tragen soll. Das Bewusstsein ist von Natur aus dem kalten Wasser ähnlich. Es flutet mal zu diesem interessanten Gedanken, mal zu jenem. Und es ist kalt, denn es braucht zum einen die antipathische Kraft der Distanziertheit, zum anderen fühlt es nicht ohne weiteres die moralische Konsequenz der Gedanken. Die Wahrnehmung hingegen hat die sympathische, hingebende, sich vereinende Kraft. In der Wahrnehmung empfangen wir die Gluten, die von der Sonne stammen, die Sonnengluten. So wie der Sommer unsere Nahrung wachsen und reifen lässt, nährt die Wahrnehmung die Seele. Ohne Wahrnehmung wäre kein seelisches Leben denkbar. Diese Sonnenglut trage ich gewöhnlich schlafend in die Winterflut meines Wachbewusstseins.
Nun soll ich in diesem Prozess wach sein. Wenn mir dies gelingt, kenne ich den Ursprung meiner Sonnengluten, meines inneren Goldes, und ich kann hinter den Schleier der Dinge schauen.
Das Gleichnis der zehn wachenden Jungfrauen
Der Spruch 25 Y erinnert deutlich an das Bibel-Gleichnis der zehn Jungfrauen, die wachend auf den Bräutigam warten müssen (Matthäus 25,1–13). Auch sie müssen ein Licht haben, für das sie genügend Öl brauchen, um das Licht brennend erhalten zu können. Das Öl ist Bild für die Ich-Kraft. Nur mit genügend Bewusstheit gelingt es im Wahrnehmungsprozess durchgehend wach zu bleiben, um den Bräutigam nicht zu verschlafen — die Befruchtung der Seele durch die Wahrnehmung zu erkennen.
Die achte Stufe im Sternbereich – die Stufe der Cherubim
Alanus ab Insulis zählt von oben herab:
„Der zweiten Ordnung wird die Aufgabe zugeteilt, zur Erkenntnis Gottes einzuladen, und sie besitzt ein umfassenderes Wissen von Gott als die übrigen niederen Ordnungen. Daher wird sie Cherubim genannt, das bedeutet Fülle der Erkenntnis. Zu dieser Ordnung werden diejenigen gehören, die Gott betrachtend in der Heiligen Schrift studieren und erfüllt im Geist die göttlichen Geheimnisse schauen. ….
Arbeite also, o Mensch, damit du … durch die Fülle der Erkenntnis zu den Cherubim gezählt wirst; …“ (Alanus ab Insulis, Übersetzt und veröffentlicht von Wolf-Ulrich Klünker unter dem Titel, „Alanus ab Insulis“, 1993, S. 53f).
Das Tetramorph, das Viergetier, Fresco in der Kirche von Meteora, 16. Jahrhundert
Die Cherubim (hebr. כְּרוּב cherub; Plural כרובים, cherubim „Fülle der Erkenntnis“, „Ergießung der Weisheit“[1]), werden auch als Geister der Harmonien bezeichnet. Sie sind erhabene geistige Wesenheiten, die, wie alle Wesen der ersten Hierarchie, den unmittelbaren Anblick der Gottheit haben und unmittelbar deren Willen vollstrecken. Sie sind zugleich die eigentlichen Tierkreiswesenheiten. Dargestellt werden sie meist als vierflügelige Tierwesen.
Rudolf Steiner sagt über die Cherubim: „Wir gewinnen höchstens einen Vergleich für die Eigenschaften jener Wesenheiten, zu denen wir uns dann als den Wesenheiten der zweiten Kategorie der ersten Hierarchie aufschwingen, wir gewinnen eine Möglichkeit, sie zu charakterisieren, wenn wir so recht auf unser Gemüt dasjenige wirken lassen, wozu es ernste, würdige Menschen gebracht haben, welche viele Schritte ihres Lebens dazu verwendet haben, Weisheit in sich anzusammeln, welche nach vielen Jahren reichen Erlebens so viel Weisheit angesammelt haben, daß wir uns sagen: Wenn solche Menschen ein Urteil aussprechen, so spricht nicht ein persönlicher Wille zu uns, sondern es spricht das Leben zu uns, das durch Jahre, durch Jahrzehnte in diesen Menschen sich angehäuft hat und durch das sie in einer gewissen Weise unpersönlich geworden sind. Menschen, welche auf uns einen solchen Eindruck machen, daß ihre Weisheit unpersönlich wirkt, daß ihre Weisheit wie die Blüte und Frucht eines reifen Lebens erscheint, die rufen in uns ein wenn auch nur ahnendes Empfinden von dem hervor, was aus unserer geistigen, aus unserer spirituellen Umgebung auf uns wirkt, wenn wir zu dieser Stufe des Hellsehens emporrücken, von der hier jetzt die Rede sein muß. Man nennt diese Kategorie in der abendländischen Esoterik die Cherubim. …
Solche Weisheit, die nun nicht gesammelt ist in Jahrzehnten, wie die Weisheit hervorragender Menschen, sondern solche Weisheit, die in Jahrtausenden, in Jahrmillionen des Weltenwerdens gesammelt ist, die strömt uns entgegen in erhabener Macht aus den Wesenheiten, die wir Cherubim nennen.“ (Lit.: GA 136, S. 80f)
Die Throne, die unter den Cherubim stehende Hierarchie, werden durch rollende Räder dargestellt (siehe 24 X). Die Darstellung oben zeigt einen Cherub als Viergetier, auch Tetramorph genannt. Dieser Cherub wirkt wie die wesenhafte Achse des Rades. Die vier Tierkreiswesen wirken wie vier wesenhaften Speichen, wie die versammelte Weisheit aus vier wesenhaft zu unterscheidenden Perspektiven, die das Zentrum mit dem Umkreis verbinden, mit dem rollenden Rad, dem reinen Bewegungswillen der Throne.
Könnte das Mantra 25 Y als von einem Cherub gesprochen gedacht werden?