33 g
So fühl ich erst die Welt,
Die außer meiner Seele Miterleben
An sich nur frostig leeres Leben
Und ohne Macht sich offenbarend,
In Seelen sich von neuem schaffend,
In sich den Tod nur finden könnte.
Das siebte apokalyptische Siegel
Das 7. apokalyptische Siegel im Jahreskreis (als Ei orientiert)
Rudolf Steiner schreibt über das 7. apokalyptische Siegelbild: „Siegel VII ist Wiedergabe des «Mysteriums vom heiligen Gral». Es ist dasjenige astralische Erlebnis, welches den universellen Sinn der Menschheitsentwicklung wiedergibt. Der Würfel stellt die «Raumeswelt» dar, die noch von keinem physischen Wesen und keinem physischen Ereignis durchsetzt ist. Für die Geisteswissenschaft ist nämlich der Raum nicht bloß die «Leere», sondern er ist der Träger, der auf noch unsichtbare Art die Samen alles Physischen in sich birgt. Aus ihm heraus schlägt sich gleichsam die ganze physische Welt nieder, wie sich ein Salz niederschlägt aus der noch ganz durchsichtigen Lösung. Und was – in bezug auf den Menschen – sich aus der Raumeswelt herausbildet, das macht die Entwicklung vom Niedern zum Höhern durch. Es wachsen heraus aus den «drei Raumesdimensionen», welche im Würfel ausgedrückt sind, zuerst die niedrigeren Menschenkräfte, veranschaulicht durch die beiden Schlangen, die aus sich wieder die geläuterte höhere geistige Natur gebären, was in den Weltenspiralen sich darstellt. Durch das Aufwärtswachsen dieser höheren Kräfte kann der Mensch Empfänger werden (Kelch) für die Aufnahme der rein geistigen Weltwesenheit, ausgedrückt durch die Taube. Dadurch wird der Mensch Beherrscher der geistigen Weltmächte, deren Abbild der Regenbogen ist. Das ist eine ganz skizzenhafte Beschreibung dieses Siegels, das unermeßliche Tiefen in sich birgt, die sich demjenigen offenbaren können, der es in der hingebungsvollen Meditation auf sich wirken läßt. Umschrieben ist dieses Siegel mit dem Wahrheitsspruch der modernen Geisteswissenschaft: «Ex deo nascimur, in Christo morimur, per spiritum sanctum reviviscimus», «Aus Gott bin ich geboren; in Christo sterbe ich; durch den Heiligen Geist werde ich wiedergeboren». In diesem Spruch ist ja der Sinn der menschlichen Entwicklung voll angedeutet.“ (Lit.: GA 284, S. 94f)
Eine ausführlichere Beschreibung des Rosenkreuzerspruches um das Siegelbild ist folgende von Rudolf Steiner: “Das Ganze gibt den Sinn von dem Zusammenhange zwischen Welt und Mensch in einer wunderbaren Weise wie eine Zusammenfassung des Sinnes der anderen Siegel. Daher steht auch hier das Weltengeheimnis als Umschrift auf dem Außenrand des Siegels. Dieses Weltengeheimnis stellt dar, wie der Mensch im Anfange aus den Urkräften der Welt herausgeboren ist. Jeder Mensch, wenn er zurückblickt, hat im Anfange der Zeit jenen Prozeß durchgemacht, den er heute geistig durchmacht, wenn er aus den Bewußtseinskräften heraus neu geboren wird. Das drückt das Rosenkreuzertum aus [mit den Buchstaben] E. D. N.: Aus Gott bin ich geboren.
Wir haben gesehen, daß innerhalb der Offenbarung ein Zweites hinzutritt: zum Leben der Tod. Aber der Mensch muß, damit er in diesem Tode das Leben wiederfindet, in dem Urquell alles Lebendigen diesen Sinnestod überwinden. Und dieser Urquell ist der Mittelpunkt aller kosmischen Entwickelung; denn wir mußten den Tod finden, um unser Bewußtsein zu erringen. Aber wir werden ihn überwinden dann, wenn wir den Sinn dieses Todes im Erlöser-Geheimnis finden. Ebenso wie wir aus Gott geboren sind, sterben wir im Sinne der esoterischen Weisheit in Christo: I. C. M.
Und weil überall da, wo sich etwas offenbart, sich eine Zweiheit zeigt, der sich das Dritte vereinigen muß, wird der Mensch, wenn er den Tod überwunden hat, sich selbst identifizieren mit dem die Welt durchdringenden Geiste (die Taube). Er wird auferstehen und wieder leben im Geiste: P. S. S. R.
Das ist das theosophische Rosenkreuz. Es leuchtet hinein in jene Zeiten, wo Religion und Wissenschaft sich versöhnen werden.“ (Lit.: GA 284, S. 77f)
Betrachte ich die Anordnung der drei Spruchteile im Jahreskreis wie dargestellt, so zeigt sie sich entsprechend der Drittelung des Jahres durch die Osterscholle: Beim Drittel des Sommer-Halbjahres steht: E D N — “Aus Gott bin ich geboren”; beim Drittel des Winter-Halbjahres steht: I C M — “In Christo sterbe ich”; beim Drittel der Osterscholle steht: P S S R — “Durch den Heiligen Geist werde ich wiedergeboren”. Das Sommer-Halbjahr, die Wahrnehmungswelt gehört zum Vatergott, das Winter-Halbjahr, die seelische Innenwelt gehört zum Christus und die Osterscholle, der Mond im Sonnenjahr gehört zum Heiligen Geist.
Die kommenden Sonntage sind Festtage
Da ich den Seelenkalender nach der Osterzeit jedes Jahr so anpasse, dass Weihnachten in der Woche 38 m liegt, gehören von dieser Woche an die Mantren immer zu diesen Feiertagen:
33 g — Volkstrauertag am Sonntag und Buß- und Bettag am Mittwoch dieser Woche
34 h — Totensonntag, auch Ewigkeitssonntag genannt
35 i — Erster Advent
36 k — Zweiter Advent
37 l — Dritter Advent
38 m — Vierter Advent und Heiligabend im Laufe dieser Woche
Volkstrauertag und Buß- und Bettag
Der Volkstrauertag ist ein junger Feiertag, der zum Gedenken an die Toten der beiden Weltkriege eingeführt wurde. Der Buß- und Bettag ist ein evangelischer Feiertag. Die Ausrufung solcher Tage hat eine jahrhundertelange Tradition, die auf der Geschichte des Jona (Die Bibel, AT, Prophetenbücher, Buch Jona, Kapitel 1–4) beruht. Gott wollte die Stadt Ninive vernichten, doch die Menschen änderten ihren Sinn, taten Buße und Gott verschonte die Stadt. Ein festes Datum für den Buß- und Bettag gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert (Wikipedia.org).
33 Jahre Zyklus
Das Mantra trägt die Nummer 33. Mit dieser Zahl ist ein wichtiger Rhythmus verbunden, der Zyklus von 33 1/2 Jahren. In dieser Zeitspanne wird aus einem Gedanken irdische Realität. Da es sowohl die Zahl als auch durch das Neu-Werden der Welt Thema dieses Mantras ist, sei vorangestellt, was Rudolf Steiner über diesen Zyklus ausführt: “Welche Aussichten für das Ostern nach dreiunddreißig Jahren verspricht das Weihnachten von diesem Jahre? — Denn alle Dinge im geschichtlichen Werden erstehen nach dreiunddreißig Jahren in verwandelter Gestalt aus dem Grabe, durch eine Gewalt, die zusammenhängt mit dem Heiligsten und Erlösendsten, das die Menschheit durch das Mysterium von Golgatha bekommen hat. (…) Werde man sich bewußt, daß eine Generation zu der nachfolgenden so hinzuschauen hat, daß sie zu gedenken hat: Im Weihnachtssterne lehre ich dich pflanzen in deiner Seele als Geburt dasjenige, was auferstehen wird im Osterstern nach dreiunddreißig Jahren. Weiß ich diesen Zusammenhang zwischen dieser und der folgenden Generation, dann habe ich gewonnen — so kann sich jeder sagen — einen Impuls in aller Arbeit, der hinausreicht über den Tag.” (Lit.: GA 180, Vortrag vom 23.12.1917).
Dieser Rhythmus erhält seine Kraft durch das Christus-Leben von 33 1/3‑Jahren. Rudolf Steiner sagt: „An einem Freitag, am 3. April des Jahres 33, drei Uhr am Nachmittag fand das Mysterium von Golgatha statt. Und da fand auch statt die Geburt des Ich in dem Sinne, wie wir es oftmals charakterisiert haben. Und es ist ganz gleichgültig, auf welchem Erdenpunkte der Mensch lebt, oder welchem Religionsbekenntnis er angehört, das, was durch das Mysterium von Golgatha in die Welt kam, gilt für alle Menschen. So wie es für alle Welt gilt, daß Cäsar an einem bestimmten Tage gestorben ist, und nicht für die Chinesen ein anderer und für die Inder wieder ein anderer Tag dafür gilt, ebenso ist es eine einfache Tatsache des okkulten Lebens, daß das Mysterium von Golgatha sich an diesem Tage zugetragen hat und daß man es da zu tun hat mit der Geburt des Ich. Das ist eine Tatsache ganz internationaler Art.“ (Lit.:GA 143, S. 163)
Dreimal diese Zeitspanne gerechnet, ergibt 100 Jahre.“Man erkennt die Intensität eines Impulses, den der Mensch ins geschichtliche Werden hineinlegt, auch in seiner Wirksamkeit durch drei Generationen hindurch, ein ganzes Jahrhundert hindurch.” (GA 180, Vortrag vom 26.12.1917).
Dieser 33ig schrittige Prozess bildet sich in der Wirbelsäule mit ihren 33 Wirbeln ab. Rudolf Steiner hat öfter beschreiben, wie die Wirbelform ein umgestülpter Schädel ist.
Wer verursacht die Gefahr in den vier Krisensprüchen 7 G, 20 T, 33 g, 46 u?
Vier Droh- oder Krisensprüche stehen im Seelenkalender-Jahreskreis und bilden ein rechtwinkliges Kreuz. In jedem dieser Mantren wird eine Gefahr für die Seele beschrieben, der sie ausgesetzt ist. Wer ist es jeweils, der die Seele solcherart in Versuchung führt? Rudolf Steiner spricht von drei Widersachermächten (Ahriman, Luzifer, Asuras) und dem Sonnendämon Sorat. Zu diesen tritt für jeden Menschen individuell sein Doppelgänger hinzu. Der Doppelgänger vereinigt in sich den Schaden, den die drei Widersacher bereits individuell angerichtet haben. Sorat kann ich dagegen als die auf eine höhere Ebene gehobene, kosmische Vereinigung der drei Gegenmächte betrachten. Er ist sozusagen der Doppelgänger der ganzen Menschheit. Ist es möglich, in den Mantren die Wirkung jeweils eines Widersachers zu erkennen?
Im Mantra 7 G droht mein Selbst zu entfliehen. Mein Ahnen wird aufgerufen, die Macht meines Denkens zu ersetzen, da es droht, sich im Sinnesschein zu verlieren. Die Gefahr des Entfliehens, des sich selbst Verlierens, des sich Verflüchtigens geht von Luzifer aus, dem Lichtträger. Es ist das Weltenlicht, das mein Selbst mächtig anzieht und für mein Denken zur Gefahr wird.
Luzifer entgegengesetzt wirkt Ahriman. Er verfestigt, verhärtet und bringt alles Leben dadurch zum Stillstand, zum Ersterben in der festen Form. Dem Mantra 7 G gegenüber liegt im Seelenkalender-Jahreskreis der Krisenspruch 33 g, das gegenwärtig im Fokus stehende Mantra. Diese beiden Krisensprüche tragen den gleichen Buchstaben. Sie liegen auf einer Achse. Die drohende Gefahr betrifft die Welt, die Körper der dreidimensionalen Welt, die vom Tod bedroht sind, wenn sie nicht in Seelen neu geschaffen werden. Anders als Luzifer wirkt Ahriman im Dunkeln, weshalb auch nichts beschrieben werden kann, das die Gefahr auslöst. Frostig leeres Leben ist das Ergebnis ahrimanischer Wirkung.
Das Mantra 33 g spiegelt sich grammatisch im Krisenspruch 20 T. Im Mantra 20 T ist mein Sein in Gefahr, weil es fern vom Welten-Dasein sich selbst erlöschen und nur auf sich selber bauend sich ertöten müsste. Mein Sein kommt nicht ohne die Welt aus; wer das Abnabeln von ihr versucht, verkennt die Tatsache, dass Mensch und Welt zusammengehören wie Flamme und Holz. Wer die Flamme ohne Brennmaterial, oder die eine Seite der Medaille ohne die andere erleben will, leidet an Verwirrung. Diese Verwirrung der Wirklichkeit droht durch die Asuras.
Der vierte Krisenspruch ist 46 u. Er liegt mit seinem Gegenüber 20 T nicht auf einer Achse, denn diese beiden Krisensprüche tragen verschiedene Buchstaben. Sie sind nicht als Gegensprüche direkt miteinander verbunden. Zwar spiegelt 46 u mit 7 G, doch vom Standpunkt des gegenwärtigen Mantras 33 g betrachtet, gehört 46 u nicht zu der direkt durch Gegen- und Spiegelspruch verbundenen Dreiheit. In diesem Krisenspruch kann ich auf individueller Ebene den Doppelgänger, auf menschheitlicher Ebene Sorat vermuten. Die Bedrohung geht im Mantra 46 u von der Welt aus. Sie droht die eingeborene Kraft der Seele zu betäuben. Das große Vergessen droht. Ich bin meinem Doppelgänger ausgeliefert, wenn ich vergessen habe, dass meine Werte und Normen sich einst aus konkreten Erfahrungen entwickelt haben, die damals sinnvoll waren, doch heute in ganz anderen Situationen zur einschränkenden Belastung werden. Die leuchtende Erinnerung aus Geistestiefen wird gerufen, um der Gefahr zu begegnen. Sie möge das Schauen stärken, das Willenskräfte benötigt, um sich erhalten zu können. Schauen ist nicht äußeres Sehen. Schauen kann ich, wenn ich durchschauen kann, was hinter der Erscheinung für eine wirkende Macht steht — welches Wesen sich dadurch äußert. Klarheit gewinne ich durch die Frage: Was leitet meine eingeborene Kraft? Die Erinnerung an meinen geistigen Ursprung oder mein Schatten? Letzterer wirkt, wenn ich von der Welt betäubt vergessen habe, wer ich in Wahrheit bin. Schaue ich den Christus, der das Erinnerungsleben ist, wie Rudolf Steiner sagt, oder lasse ich mich von Sorat betäuben?
Eine andere Perspektive zeigt die vier Krisensprüche als Eckpunkte eines Quadrates. Sie markieren vier krisenbehaftete Wendepunkte im Jahreslauf. Interessanter Weise tritt der Würfel als dreidimensionale Ausgestaltung eines Quadrates gerade bei diesem Siegelbild auf.
Die Not der Welt — das Mantra 33 g
Das Mantra beginnt mit: “So fühl ich erst die Welt…” Wie fühle ich sie denn? Was meint dies “So”? Das Mantra sagt, die Welt hat nur frostig leeres Leben. Die sterbende Herbstwelt, deren Gold meist gerade in dieser Woche grau und fahl wird, oder der kalte Stein mag dieser Beschreibung entsprechen. Doch was ist mit den mehrjährigen Pflanzen, den Tieren und meinem eigenen Körper? Zumindest meinen eigenen nehme ich als warm und voller Leben war, — genau entgegengesetzt zu der Aussage des Mantras. Doch mein Köper ist Welt und die Körper aller anderen Lebewesen auch. Sie sind Materie. Irre ich mich in meinem Erleben? Sind auch die belebten Körper in Wahrheit nur erfüllt mit frostig leerem Leben?
Bei nüchterner Betrachtung ist klar, dass alle Lebewesen auf dieser Erde sterblich sind. Sie sind vom Beginn des Lebens an Sterbende. Die Welt trägt den Tod in sich — immer. Deshalb findet sie notwendiger Weise in sich nur den Tod. Erst wenn ich innerlich den Mut habe, die Sterblichkeit der Welt zu erleben, die Welt so zu fühlen, erlebe ich sie wirklich. Täusche ich mich über die Todesweihe jedes Daseins hinweg, fühle ich die Welt nicht wirklich. Das Leben, das in den Wesen pulsiert, ist zunehmend frostig und leer.
Doch das Mantra sagt, dass es einen Ort gibt, der von dieser frostigen Leere ausgenommen ist. Und das ist meine Seele! Hier kann ein Miterleben stattfinden, das ganz gewaltige, weit über die gewöhnliche Vorstellung hinausgehende Möglichkeiten birgt. Was ist mit diesem so unscheinbar anmutenden Miterleben gemeint? Sicherlich bedeutet es, fühlend die Prozesse im Jahreslauf mitzuerleben und Mitgefühl für jedes Lebewesen zu entwickeln. Damit einher geht, dass Vorstellungen, innere Bilder der Natur in der Seele gebildet werden. Dadurch nehmen wir die Welt in unsere Seele hinein.
Dieses Miterleben ermöglicht der Welt, sich in Seelen von neuem zu schaffen. Ihre Neugeburt findet in der menschlichen Seele statt! Hier kann sie den Tod überwinden! Das ist unfassbar großartig!
Merken wir davon etwas? Nein, auch hier ist unser Erleben offensichtlich nicht wahrheitsgemäß. Wir leben in dem Gefühl, dass ein neuer Frühling ganz sicher und allein aus den Kräften der Natur kommen wird. Viele Menschen gehen sogar soweit, dass es der Natur, der Welt besser gehen würde, wenn es keine Menschen gäbe. Dem widerspricht das Mantra! Es macht eine ganz anders geartete Verantwortung des Menschen für die Welt deutlich.
Warum erleben wir von diesem gewaltigen Prozess so wenig? Das Mantra sagt, die Welt offenbart sich in der Seele ohne Macht. Das stimmt. An dem Stein, den ich mir vorstelle, kann ich mich nicht stoßen. Er hat nicht die Macht, die er außerhalb von mir entfaltet. Doch muss ich das, was von der Welt in der Seele lebt, als Same oder als Quell betrachten, woraus die manifestierte Welt hervorgeht. Denn das Miterleben in der Seele ist die einzige Möglichkeit für die Welt, dem Tod zu entgehen — sagt das Mantra.
Die Welt offenbart sich in der Seele, wenn auch ohne Macht. Das bedeutet mehr als dass sie sich in inneren Bildern zeigt. Rudolf Steiner benennt vier Etappen, durch die sich das Geistige zur Geltung bringt. In diesen vier Stufen manifestiert sich der Geist in der Materie. Die zweite Etappe nennt er Offenbarung. Rudolf Steiner beschreibt dieses Werden so: “Das Göttlich-Geistige kommt im Kosmos in den folgenden Etappen auf verschiedene Art zur Geltung:
- durch seine ureigene Wesenheit;
- durch die Offenbarung dieser Wesenheit;
- durch die Wirksamkeit, wenn die Wesenheit aus der Offenbarung sich zurückzieht;
- durch das Werk, wenn in dem erscheinenden Weltall das Göttliche nicht mehr ist, sondern nur dessen Formen.” (Leitsatz 112, GA 26 S. 99).
Das bedeutet, in der Seele findet gemäß dem Mantra 33 g die zweite Etappe im Welt-Schöpfungsprozess statt, die Offenbarung.
Doch diese Offenbarung findet ohne Macht statt. Was ist damit gemeint? Macht scheint mir zur dritten Etappe, zur Wirksamkeit zu gehören. Es könnte bedeuten, dass die Wesenheit in der Offenbarung noch anwesend ist, sich aber zurückzieht, sobald ihre machtvolle Wirksamkeit einsetzt. In der nächsten Zeile beginnt sie, indem die Welt sich in Seelen von neuem erschafft. Die vierte Etappe, das Werk ist die Form-Welt, der der Mensch wahrnehmend gegenübersteht. Diese Welt trägt den Tod in sich. Ist auch die erste Etappe im Mantra zu finden? Nehme ich die Welt nur oberflächlich wahr, begegne ich der ureigenen Wesenheit “Welt” sicherlich nicht. Fühle ich die Welt dagegen miterlebend und wahrhaftig, scheint mir eine Wesensbegegnung möglich.
Wohlgemerkt, der menschliche Part ist das Fühlen und Miterleben. Dadurch erhält die Welt die Möglichkeit, wieder von der Werk-Etappe zur Wesens-Etappe zu gelangen. Das ist viel! Aber die zweite und dritte Etappe vollzieht die Welt aus eigener Aktivität. Sie offenbart sich und schafft sich von neuem. Das geschieht in der Seele, aber nicht durch den Menschen. Durch mein Fühlen und seelisches Miterleben der Welt gebe ich ihr die Gelegenheit, wesenhaft in mich einzuziehen. So betrachtet ist meine Seele die Arche Noah (Die Bibel, AT, Geschichtsbücher, Das erste Buch Mose, Genesis Kapitel 6,8 – 9,17) der sterblichen Welt. Die Seele ist der geistige Ort, an dem die Erneuerung der Welt möglich ist. Ihr Schöpfer ist der Mensch jedoch deshalb nicht.
Das Mantra macht deutlich: der wahrnehmende, miterlebende Mensch ist entscheidend für die Welt. Es kommt auf den Menschen an! Ist die Ursache all der Umweltprobleme heutzutage vielleicht mangelndes seelisches Miterleben der Welt? Vernachlässigen wir als Menschheit vielleicht vor allem diese Aufgabe?
Wie könnte ein Miterleben aussehen, dass der Welt die ideale und beste Möglichkeit gibt, sich von neuem zu schaffen? Im Vorwort zur zweiten Ausgabe des Seelenkalenders 1918 schreibt Rudolf Steiner, was das Miterleben des Jahreslaufes für die menschliche Seele bedeutet. Bedeutet es vielleicht für die Welt eben so viel? „Der Jahreslauf hat sein eigenes Leben. Die Menschenseele kann dieses Leben mitempfinden. Läßt sie, was von Woche zu Woche anders spricht aus dem Leben des Jahres, auf sich wirken, dann wird sie sich durch solches Mitleben selber erst richtig finden. Sie wird fühlen, wie ihr dadurch Kräfte erwachsen, die sie von innen heraus stärken. Sie wird bemerken, dass solche Kräfte in ihr geweckt sein wollen durch den Anteil, den sie nehmen kann an dem Sinn des Weltenlaufes, wie er sich in der Zeitenfolge abspielt. Sie wird dadurch erst gewahr werden, welche zarte, aber bedeutungsvolle Verbindungsfäden bestehen zwischen sich und der Welt, in die sie hineingeboren ist.
In diesem Kalender ist für jede Woche ein solcher Spruch verzeichnet, der die Seele miterleben läßt, was in dieser Woche als Teil des gesamten Jahreslebens sich vollzieht. Was dieses Leben in der Seele erklingen läßt, wenn diese sich mit ihm vereinigt, soll in dem Spruche ausgedrückt sein. An ein gesundes «Sich eins fühlen» mit dem Gange der Natur und an ein daraus erstehendes kräftiges «Sich selbst finden» ist gedacht, indem geglaubt wird, ein Mitempfinden des Weltenlaufes im Sinne solcher Sprüche sei für die Seele etwas, wonach sie Verlangen trägt, wenn sie sich nur selbst recht versteht.“ (Lit.:GA 40, S. 20, Hervorhebungen A.F.)
Ist der Seelenkalender vielleicht auch für die Welt von Rudolf Steiner gegeben worden — nicht nur für den Menschen?
Die Gefahr, die in diesem Krisenspruch droht, bedroht nicht den Menschen, wie es in den drei anderen Krisensprüchen der Fall ist, sondern die Welt. Dadurch hat jeder Mensch die Möglichkeit, sich an der Rettung zu beteiligen. Nutze ich sie? Genügt mein Miterleben, um meinen Seelenraum zum Ort der Schöpfung eines neuen Frühlings der Welt zu machen?
Eine Übung zur Intensivierung des Miterlebens
Diese Übung beruht auf Angaben Georg Kühlewinds, ausgearbeitet von Christoph Hueck (Christoph Hueck, Geistiges Schauen, in der Zeitschrift Erziehungskunst 11 2018, S. 11 – 15):
1 — Einen Gegenstand so genau wie möglich anschauen.
2 — Danach mit geschlossenen Augen den Gegenstand vorstellen. Das innere Bild soll so klar, lebensecht und detailreich wie möglich sein.
1 a — Nun wird der Gegenstand wieder angeschaut – und sicher mehr an ihm wahrgenommen.
2 a — Wieder folgt die Bildung der Vorstellung usw. Dadurch werden beide Schritte – Sommer-Wahrnehmungsseite des Menschen und Winter-Denkseite geschult. Die Aufmerksamkeit strahlt in beiden Schritten von innen nach außen zum Gegenstand hin. Kopfkräfte sind angesprochen.
3 – Beim erneuten Betrachten des Gegenstandes innerlich so ruhig und leer wie möglich werden und ihn sozusagen zu uns sprechen zu lassen. Zum Resonanzraum für den Gegenstand werden. Intentionslos beobachten, welche Gedanken aufsteigen. Hier wirken mehr Empfinden und Fühlen, weniger die Vorstellung. Herzkräfte sind angesprochen. Darauf achten, dass man sich nicht nur selbst statt des Gegenstandes fühlt. Dabei kann die Selbstbegrenzung des Ichs überwunden werden, Berührung mit der Welt findet statt. Plötzlich geht der Vorhang der Seele auf und man wird innerlich wie von dem anderen Wesen berührt, fühlt etwas von seinen Qualitäten, (Stein) von seiner Substanz, seiner Härte, und Dichtigkeit, seiner Kristallinität, seiner Ruhe und Ertragsamkeit, seinem Stein-Sein. Doch sobald man die Berührung bemerkt, ist sie auch schon wieder entschwunden. Man weiß noch: da war was, aber man <hat> es nicht mehr. Den Stein kann man in der Tasche tragen, die seelische Berührung weht und vergeht wie ein Lufthauch.
In seinem Buch “Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen” beschreibt Rudolf Steiner gerade diese Kürze des Erlebens als Kriterium echter übersinnlicher Erfahrungen: “Man kann sagen: in dem Augenblick, in dem sie auftreten, sind sie auch schon wieder entflohen. … Das übersinnliche Erleben ist wirklich viel verbreiteter, als man gewöhnlich denkt. Der Verkehr des Menschen mit der geistigen Welt ist im Grunde etwas ganz Allgemein-Menschliches. Aber die Fähigkeit, mit rasch wirkender Bewusstseinskraft diesen Verkehr erkennend zu verfolgen, muss mühsam erworben werden.” (GA 16)
4 – Die vierte Stufe erfordert schließlich noch eine andere Art von Vorbereitung. Dazu versuchen wir, das Gefühl von Ehrfurcht in uns wachzurufen und uns so intensiv wie möglich damit zu durchdringen. Mit dieser Ehrfurcht blicken wir dann wieder auf den [Gegenstand] kleinen Stein und hüllen ihn gleichsam darin ein. Wir sind jetzt ganz bei ihm, und er beginnt, uns noch mehr von seinem Wesen zu offenbaren als bisher. In einer Art von erlebendem Denken oder denkendem Erleben (man könnte es <geistiges Schauen> nennen) fühlen und erkennen wir, wie unvorstellbar alt er ist, wie viel er von seiner Entstehung an erfahren hat, bis er jetzt hier in unserer Hand liegt. Wir spüren, dass er einst Teil eines riesigen Gebirges war und erahnen die Kräfte, die auf ihn gewirkt und zu dem gemacht haben, was er jetzt ist. Wir erleben ihn als Repräsentanten der Erde, die uns trägt, und können ihm gegenüber ein tiefes Dankbarkeitsgefühl empfinden. Wir tauchen in eine überzeitliche Sphäre ein und begegnen dort dem geistigen Wesen des Steins.
Die vier Schritte werden mit einem inneren Rückblick und dem Gefühl der Dankbarkeit für das Erlebte beendet. (Dauer insgesamt ca. 20 Minuten)