41 p

Der Seele Schaffensmacht,

Sie stre­bet aus dem Herzensgrunde,

Im Men­schen­leben Götterkräfte

Zu rechtem Wirken zu entflammen,

Sich sel­ber zu gestalten

In Men­schen­liebe und im Menschenwerke.

Götterkräfte

Rudolf Stein­er ver­wen­det den Begriff der Göt­terkräfte, wenn er zum Beispiel darüber spricht, wie sich ein kleines Kind aufrichtet. Immer meint er Kräfte, die über die bewusste Hand­habung des Men­schen hin­aus­ge­hen. Konkreter wird er hier: “Wenn das, was ich jet­zt gesagt habe, nicht eine graue The­o­rie bleibt, son­dern wenn es überge­ht in die ganze Gefühls- und Empfind­ungswelt des Men­schen, dann fühlt er sich im Wel­te­nall drin­nen­ste­hend und sagt sich: Ich bin um der Entwick­elung des Wel­te­nalls willen da, durch mich hin­durch geht der Strom des kos­mis­chen Geschehens. Dieses Gefühl eines Befes­tigt­seins im Wel­te­nall, das ist das­jenige, was das Bewußt­sein der Gegen­wart und der näch­sten Zukun­ft durchziehen muß. Denken Sie nur ein­mal, wie dieses Gefühl ent­ge­gengestellt wird einem andern Gefühl, das durch die Kul­tur der let­zten drei bis vier Jahrhun­derte an die Ober­fläche der men­schlichen Entwick­elung getrieben wor­den ist. Haben denn diese let­zten drei bis vier Jahrhun­derte aus sich selb­st her­aus irgend etwas von einem solchen Bewußt­sein des Men­schen getrieben? Nein, es wurde ja wis­senschaftlich über­haupt nicht nachgedacht, was der Men­sch im Wel­te­nall ist und bedeutet. Es wurde der Blick gewor­fen auf die Tier­rei­he. Man lernte erken­nen, wie eine Tier­form aus der andern sich entwick­elt, und man sagte dann: Nun, der Men­sch ist die höch­ste der Tier­for­men. Man stück­elte ihn gle­ich­sam an als das höch­ste Tier an die niederen Tiere. Man lernte den Men­schen in sein­er Tier­heit ken­nen. Man sprach gar nicht über das Wesen des Men­schen. Das ist der Umschwung, der sich im See­len­haften von heute ab in der Men­schheit vol­lziehen muß, daß der Men­sch sich wieder bewußt wird, wie er einen Durch­gangspunkt für Göt­terkräfte bildet, wie er gewis­ser­maßen der Platz ist, an dem sich Hier­ar­chien begeg­nen, damit sie im Wel­te­nall zusam­men­wirken kön­nen. Und wis­sen soll der Men­sch: Wenn er niedrig von sich denkt und niedrig han­delt und sein Men­schheits­be­wußt­sein her­ab­drückt, dann wird er kein Ver­mit­tler sein zwis­chen den höheren und den niederen Wel­ten. Sich fühlen als ein Wesen, das dem Kos­mos ange­hört, das muß der Men­sch ler­nen. Göt­ter­we­sen, die den zen­trifu­galen Triebkräften dienen, Göt­ter­we­sen, die den zen­tripetal­en Kräften dienen, sie begeg­nen sich im Men­schen.

Und wo find­en sie ihren Aus­gle­ich? Die zen­tripetal­en Kräfte wirken vorzugsweise durch das men­schliche Haupt, die zen­trifu­galen vorzugsweise durch den Glied­maßen­men­schen. Der mit­tlere Men­sch, der rhyth­mis­che Men­sch, er ist das­jenige Wesen, welch­es den Aus­gle­ich, den Gle­ichk­lang, die Har­monie bewirken soll zwis­chen den zen­tripetal­en und den zen­trifu­galen Wel­tenkräften. Bedenken Sie, was das bedeutet. Das bedeutet, wenn der Men­sch eine gewisse See­len­ver­fas­sung in sich entwick­elt, wenn der Men­sch eine gewisse innere Gesin­nung entwick­elt, die ihm selb­stver­ständlich, wie wir aus dem Ver­schieden­sten gese­hen haben, nur aus der Geis­teswis­senschaft her­aus wer­den kann, dann gibt er seinem ganzen inneren Erleben eine gewisse Fär­bung, dann ver­läuft dieses innere Erleben in ein­er gewis­sen Weise. Und das drückt sich bis ins Organ­is­che hinein, bis in den Herz- und Atmungsrhyth­mus aus. Das heißt mit andern Worten: Wie der Men­sch atmet, wie des Men­schen Herz schlägt, das hat eine Bedeu­tung nicht nur inner­halb der men­schlichen Wesen­heit, das hat eine Bedeu­tung inner­halb des ganzen Kos­mos. Und wenn wahrgenom­men wird der men­schliche Herz­schlag, so bedeutet dies das Zusam­men­wirken ver­schieden­er Göt­ter- oder Geis­ter­wel­ten. Das alte Wahrwort, daß der Men­sch ein Tem­pel für das Göt­tliche ist, es steigt wiederum auf aus den neueren Erken­nt­nis­sen der Ini­ti­a­tion­swis­senschaft. Und so wird denn, was aus diesen Erken­nt­nis­sen der Ini­ti­a­tion­swis­senschaft auf­steigt, einen andern Charak­ter tra­gen müssen als das, was die alten tra­di­tionellen Kon­fes­sio­nen dem Men­schen brin­gen kön­nen. Die rech­nen mit seinem Ego­is­mus. Wom­it rech­net das­jenige, was als Wel­tempfind­ung durch die Geis­teswis­senschaft kom­men kann? Es rech­net mit der Ver­ant­wor­tung des Men­schen gegenüber der Welt. Es appel­liert vorzugsweise an die Ver­ant­wor­tungs­ge­füh­le. Es erhöht den Men­schen, indem es ihm zeigt, wie er als ein wesentlich­es Glied im ganzen Wel­te­nall drin­nen­ste­ht.” (GA 199, 11. Vor­trag, Dor­nach 29.8.1920, S. 180ff, Her­vorhe­bung A.F.)

Ich sehe diese Göt­terkräfte u.a. dargestellt in den bei­den Säulen Jachin und Boas, die vor dem Tem­pel in Jerusalem standen, oder in der männlichen Son­nen- und weib­lichen Mond­säule, über die Rudolf Stein­er im Zusam­men­hang der Hybernischen Mys­te­rien spricht (GA 232, S. 107) und nicht zulet­zt auch in den Hal­b­jahren des See­lenkalen­ders. Das Som­mer-Hal­b­jahr entspricht der Wahrnehmungs­seite der Seele. Hier gibt sie sich der Außen­welt hin und sieht, was erschaf­fen, inkarniert ist. Sie sieht das Ergeb­nis des inkarnieren­den Stromes. Das Win­ter-Hal­b­jahr entspricht der Denk- und Bewusst­seins­seite der Seele. Hier wen­det sich die Seele nach innen. Bewusst­sein beruht auf der Ätheri­sa­tion des Blutes, wie Rudolf Stein­er sagt — auf dezen­ten Abster­bevorgän­gen. Der exkarnierende Strom wird der Seele erleb­bar. Diese bei­den Hal­b­jahre erscheinen rechts und links, sofern der Jahres­lauf so dargestellt wird, dass das Oster­fest unten und das Michaelifest oben ist. Die Hal­b­jahre “ste­hen” dadurch aufrecht und stellen geistig diese Säulen dar.

Sieben Herz-Worte im Seelenkalender

In sieben Mantren wird das Herz erwäh­nt. Alle diese Mantren liegen im Win­ter-Hal­b­jahr, sechs davon im Sech­s­tel der Win­ter­son­nen­wende und eines im Sech­s­tel, das auf Ostern hin­führt. In der Rei­hen­folge ihres Auftretens sind dies:

37 l Zu tra­gen Geis­tes­licht in Wel­tenwin­ter­nacht erstre­bet selig meines Herzens Trieb
38 m Es hat in Herzen­shel­ligkeit gezeugt das heilige Weltenwort
40 o Aus Herzens Liebe­wel­ten (stammt) des Wel­tenwortes Feuerkraft
41 p Der Seele Schaf­fens­macht, sie stre­bet aus dem Herzens­grunde, (um) Göt­terkräfte zu ent­flam­men
42 q Und ahnend vorzufühlen durch Herzenswärme Sinnesoffenbarung
43 r Es gibt dem Wel­tenscheine durch Herzen­skräfte Daseins­mächte; der Wel­tenkälte trotzt das See­lenfeuer im Menscheninnern
48 w Ver­sam­mel­nd sein­er Strahlen Macht im Men­schen­herzen Liebe weckend.

Die vier in Rei­he auftre­tenden Mantren (40 o, 41 p, 42 q, 43 r) beschreiben, was aus dem Herzen kommt oder durch Herzen­skräfte bewirkt wird. Es sind Mantren, die das Herz mit ein­er Bewe­gung, einem Prozess verbinden, der in allen vier Fällen ein feurig-warmer, erschaf­fend­er Prozess ist. Die auf das Mantra 40 o fol­gen­den drei Mantren sind in der neu­tralen drit­ten Per­son geschrieben. Sie stellen Prozesse dar, die Natur­vorgän­gen entsprechen und ohne meine aktive Beteili­gung ablaufen. Nach­dem der Ich-sprech­er in 40 o den Prozess mit ini­ti­iert hat, indem er in den Geis­testiefen ist, fol­gen in den Mantren 41 p, 42 q und 43 r drei weit­ere Stufen, die sich naturge­set­zlich anschließen. Nach ein­er Pause von vier Mantren (44 s, 45 t, 46 u, 47 v) erscheint das siebte Herz-Wort Mantra, das im Licht­spruch 48 w vom Men­schen­herzen spricht.

Hier stellte sich mir nun die Frage, von welchem Herzen sprechen denn die anderen Herz-Wort Mantren? Nur das erste Herz-Wort Mantra 37 l spricht von meinem seli­gen Trieb des Herzens. Im Wei­h­nachts­man­tra 38 m ist es die Herzen­shel­ligkeit, in der das heilige Wel­tenwort zeu­gend wirkt. Das eigene Erleben wird über sich selb­st hin­aus­ge­führt, denn der Hoff­nung Him­mels­frucht wächst in Wel­tenfer­nen aus meines Wesens Gottes­grund. Kön­nten die sechs ersten Herz-Worte das göt­tliche Herz meinen und erst das siebte das Men­schen­herz? Stellen die sechs ersten Herz-Worte gemein­sam ein großes göt­tlich­es Herz dar?

Die sieben Herz-Wort-Mantren im Seelenkalender

Die Zuord­nung der Herz-Wort Mantren zu den Sech­steln ist ein Ver­such, das göt­tliche Herz mit dem Men­schen­herzen im Zen­trum sicht­bar zu machen. Des Herzens Trieb (37 l) ste­ht für mich im Zusam­men­hang mit dem im Licht­spruch ein­strö­menden Licht aus Wel­tenweit­en, dem die Moral­ität des Men­schen begrün­den­den Astral­licht (siehe 22 V). Die Herzen­shel­ligkeit (38 m) ist Ergeb­nis des Licht­es aus Geis­testiefen (31 e), des Bewusst­seinslicht­es. Hier find­et sich eine Zäsur in der Rei­he der fort­laufend­en Herz-Wort Mantren, die den Über­ge­ord­neten Aspekt der bei­den im Men­schen wirk­enden Lichtquellen unter­stre­icht. Das Mantra 39 n enthält kein Herz-Wort. Die nun fol­gen­den Herzens Liebe­wel­ten (40 o) erscheinen ein­drück­lich in den sechs Herz-Wort Mantren im Sech­s­tel der Win­ter­son­nen­wende. Im Mantra 41 p heißt es, dass der Seele Schaf­fens­macht aus dem Herzens­grunde strebt. Diese von unten, vom Grund des Herzens auf­strebende Bewe­gung zeigt sich als Gegen­be­we­gung zu der eben­so streben­den Bewe­gung im Mantra (37 l). Des Herzens Trieb strebt hier, Geis­tes­licht in Wel­tenwin­ter­nacht zu tra­gen, also vom Him­mel, von oben nach unten auf die Erde. Die nach der Rei­hen­folge ihres Auftretens den Sech­steln zuge­ord­neten Mantren erscheinen in gegenüber­liegen­den Sech­steln. Eben­so sich kom­ple­men­tär ergänzend erscheinen Herzenswärme (42 q) und Herzen­shel­ligkeit (38 m), d.h. Wärme und Licht — zusam­menge­hörige Qual­itäten des Feuers -, in gegenüber­ste­hen­den Sech­steln. Im Sech­s­tel der Som­mer­son­nen­wende erscheinen schließlich die Herzen­skräfte (43 r): was in den Herzens Liebe­wel­ten (40 o) Umraum war, erfährt gegenüber seine Erfül­lung mit Herzen­skräften — entsprechend wie das Organ des Herzens das durch­strö­mende Blut braucht.

Weitere Aspekte zu den Mantren 40 o, 41 p, 42 q und 43 r

Obwohl ich bei Rudolf Stein­er (noch) keine Belege für diese Idee gefun­den habe, möchte ich hier doch einen Gedanken teilen, der mir zu diesen vier Mantren kam. Ich sehe in ihnen die vier Erdinkar­na­tio­nen, von denen Rudolf Stein­er spricht: 40 o den alten Sat­urn, 41 p die alte Sonne, 42 q den alten Mond und 43 r die ger­ade erschaf­fene, noch junge Erde. Ich denke bei diesen vier Mantren auch an vier Stufen, in denen die zur Inkar­na­tion strebende Indi­vid­u­al­ität zunächst ihren indi­vidu­ellen Astralleib zusam­men­zieht. Nach diesen vier Mantren wird mit der Woche 44 s die zu Ostern hin­führende Zeit der Oster­scholle begin­nen, der Mond im Jahr und damit eine ganz neue Sphäre, in die die inkarnierende Seele ein­tritt — und die Men­schheit mit ihr durch den Gang der Zeit. Zwar sind wir im Jahreskreis hin­sichtlich des Mantras 41 p in dem Bere­ich, den ich die Erd­sphäre, den Bere­ich der auf­steigen­den Sonne nenne, doch noch im datums-fix­ierten Son­nen­bere­ich und nicht in der vari­ablen, für jedes Jahr indi­vidu­ellen Osterzeit, dem Mond im Jahr. Das Mantra 41 p entspricht dem­nach der alten Sonne. Hier wurde das Leben geschaf­fen — die Göt­terkräfte zu rechtem Wirken ent­flammt, wie es das Mantra 41 p ausdrückt.

Einen zweit­en Aspekt bein­hal­tet der Gedanke, dass die ersten drei Wochen für die drei Heili­gen Könige ste­hen: 40 o für den roten König, Balthasar, der das Gold schenkt, und die höch­ste Ent­fal­tung des Denkens — die Weisheit — sym­bol­isiert. Das Mantra 41 p ste­ht für den blauen König, Mel­chior, der den Weihrauch schenkt und das Fühlen als selb­st­los auf­steigen­den Opfer­rauch — als Gebet — ins Bild bringt. Der Opfer­rauch ste­ht im Zusam­men­hang mit den ent­flammten Göt­terkräften, denn ohne Feuer entwick­elt sich kein Opfer­rauch. Das Mantra 42 q ste­ht für den grü­nen König, Kas­par, der die Myrrhe schenkt, die bit­tere, heil­same Selb­stüber­win­dung im Willen — die Heilung vom Ego­is­mus. Dadurch erschienen die ersten drei Wochen im neuen Jahr als eine Anbe­tung des neuge­bore­nen Jahres — des Jahr-Gottes, der laut Rudolf Stein­er der Chris­tus ist. In ein­er Leg­ende wird auch von einem vierten König erzählt, der sich mit Perlen auf­machte, um dem neuge­bore­nen König zu huldigen. Doch begeg­nen ihm lauter Hil­fe suchende Men­schen, sodass er sein Geschenk Stück für Stück weg­gibt. Als er schließlich nichts mehr hat, kommt er in Jerusalem an — ger­ade als Chris­tus zur Kreuzi­gung geführt wird. Als einziger erlebt er die Vol­len­dung des Chris­tus Weges. Dieser vierte König kann im Mantra 43 r ver­mutet wer­den — die Liebe.

Was passiert im Mantra 41 p?

Die Schaf­fens­macht der Seele ste­ht im Zen­trum des Mantras 41 p. Es ist die Macht der Seele, das ganz Neue her­vorzubrin­gen, etwas zu erschaf­fen, was es vorher nicht gab. Es ist diese Macht, die dem Men­schen die Möglichkeit gibt, Gott ähn­lich zu han­deln, sel­ber ein klein­er Gott zu sein. Die Schaf­fens­macht der Seele strebt aus dem Herzens­grunde. Streben beschreibt eine ziel­gerichtete Bewe­gung gle­ich einem Licht­strahl. Der Ursprung­sort der Schaf­fen­skraft, von dem sie zur Wirk­samkeit strebt, ist der Herzens­grund, der tief­ste, zen­tral­ste Ort des Herzens, seine Basis und gle­ichzeit­ig seine Mitte. Ich ver­ste­he unter dem Herzens­grund auch sein ver­bor­gen­stes Zen­trum, die im Unter­be­wusst­sein schlum­mern­den karmisch bed­ingten Beweg­gründe eines Menschen.

Die Schaf­fens­macht der Seele strebt danach, Göt­terkräfte im Men­schen­leben zu ent­flam­men, zur recht­en, geord­neten Wirk­samkeit kom­men zu lassen. Göt­terkräfte sind ger­ade keine Men­schenkräfte. Es sind Kräfte von geisti­gen Wesen­heit­en, die weit mehr Kraft haben als der Men­sch. Rudolf Stein­er beschreibt im Zitat oben die zen­tripetale und zen­trifu­gale Kraft als solche Göt­terkräfte. Sicher­lich sind mit den Göt­terkräften die ver­schieden­sten in der Welt wirk­enden naturge­set­zlichen Kräfte eben­so gemeint, wie die in der Seele wirk­enden, die dem per­sön­lichen Zugriff ent­zo­gen sind.

Die Schaf­fens­macht der Seele strebt danach, diese Göt­terkräfte im Men­schen­leben zu aktivieren. Indem sie über Göt­terkräfte zu bes­tim­men ver­mag, zeigt die Schaf­fens­macht der Seele, dass sie mehr ist als die per­sön­liche Kreativ­ität eines Men­schen. Ein bewusster Ich-Sprech­er, der die Schaf­fens­macht hand­haben kön­nte, ist im Mantra nicht vorhan­den. Die Schaf­fens­macht der Seele zeigt sich als die Leben ini­ti­ierende Macht. Nur mit ihr begin­nen die Göt­terkräfte des Auf­baus und Abbaus, der Ver­stof­flichung und Vergeis­ti­gung, der Zusam­men­ziehung und Aus­dehnung zu wirken. Sie strebt danach, die stets polar vorhan­de­nen Göt­terkräfte zu rechtem Wirken zu ent­flam­men, das men­schliche Leben zu entzün­den und diese Kräfte in rechtem, gesun­dem Maß wirken zu lassen. Die Schaf­fens­macht der Seele ist die Macht, die das ewige Sein in ein prozes­suales, lebendi­ges atmendes trans­formiert. Ich sehe diese Göt­terkräfte in den Hal­b­jahren des See­lenkalen­ders im zen­trifu­gal nach außen ori­en­tierten Wahrnehmungs-Som­mer-Hal­b­jahr und im zen­tripedal nach innen ori­en­tierten Denk-Win­ter-Hal­b­jahr. Doch erst durch die Schaf­fens­macht der Seele begin­nen die Göt­terkräfte zu inter­agieren. Im Bild gesprochen sind sie so gegen­sät­zlich, so Span­nungs­ge­laden, dass sie zün­den, sobald sie in Inter­ak­tion treten. Göt­tlich­es Feuer, Bewusst­sein flammt auf. Es geschieht im Men­schen­leben — aus­drück­lich während des Lebens, dass die Göt­terkräfte ent­flam­men und zum wasser­ar­ti­gen Fluss des Lebens das feurige Bewusst­sein tritt.

Allerd­ings strebt die Schaf­fens­macht der Seele nur danach, die Göt­terkräfte im Men­schen­leben zu ent­flam­men — nicht im Leben der Welt, in Tieren und Pflanzen. So machtvoll ist die Schaf­fens­macht dann doch nicht. Die Schaf­fens­macht der Seele ist eine men­schliche Macht, die doch über das per­sön­lich-men­schliche weit hin­aus­ge­ht. Nun erst, wenn das Leben ent­flammt, Bewusst­sein ent­standen ist, strebt die Seele durch die Schaf­fens­macht danach, sich sel­ber zu gestal­ten. Sie strebt nach Per­sön­lichkeit­sen­twick­lung, nach Selb­sterziehung. Zwei Kri­te­rien der Selb­st­gestal­tung wer­den genan­nt: in Men­schen­liebe und im Men­schen­werke. Sich sel­ber zu gestal­ten ist für die Schaf­fens­macht hand­habende Seele kein Kampf, wie wir Selb­sterziehung oft erleben, son­dern ein Werk der Liebe, der Men­schen­liebe. Aus Liebe zu sich sel­ber will sich die Seele selb­st gestal­ten. Sicht­bar wird diese Gestal­tung im Men­schen­werke. Men­schen­werk ist jede Tat, die der Men­sch tut, jed­er Gedanke, den er fasst und jedes Gefühl, das er ausströmt. Werk ist alles, was nach außen tritt. Immer gibt der Men­sch diesem nach außen tre­tenden Werk etwas von sich mit. Jedes Werk ist wie ein Ausat­men. Dann kön­nte die Selb­st­gestal­tung in Men­schen­liebe als die dazuge­hörige Einat­mung betra­chtet wer­den. Atmend vol­lzieht sich das Leben und im Unter­grund wirkt die Seele nach innen in Liebe und nach außen im Werk sich gestaltend.

Dreimal wird in diesem Mantra expliz­it darauf ver­wiesen, dass nichts abstrak­tes, son­dern die men­schliche Art und Weise gemeint ist: im Men­schen­leben, in Men­schen­liebe, im Men­schen­werke. Es geht nicht all­ge­mein um das Leben auf der Erde, auch nicht um die Liebe als solche oder um Werke. Es bet­rifft den Men­schen im beson­deren Maße, was in diesem Mantra aus­ge­sagt wird. Tiere haben auch eine Seele, doch ihre Lebens­be­din­gun­gen sind nicht gemeint. Die Schaf­fens­macht der Seele ent­flammt die Göt­terkräfte im Men­schen­leben. Hier ist die Seele ganz in der Gegen­wart, im Moment. Sie gestal­tet sich in Men­schen­liebe, im Annehmen, und im Men­schen­werke, im Weit­ergeben. Sie gestal­tet sich in Men­schen­liebe und umfasst damit, was sie bish­er gewor­den ist — und im Men­schen­werke umfasst sie, was in die Zukun­ft wirken wird. Jede Tat enthält einen karmis­chen Samen, der in der Zukun­ft aufge­hen, die Zukun­ft nötig machen wird. Dieses gestal­tende Leben in der Zeit ist allein dem Men­schen möglich.

Für mich klin­gen mit diesem Mantra die Gebote Christi mit, beson­ders das zweite: „Du sollst den Her­rn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganz­er Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtig­ste und erste Gebot. Eben­so wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Näch­sten lieben wie dich selb­st.“ (Matthäus 22:37–39)