43 r
In winterlichen Tiefen
Erwarmt des Geistes wahres Sein;
Es gibt dem Weltenscheine
Durch Herzenskräfte Daseinsmächte;
Der Weltenkälte trotzt erstarkend
Das Seelenfeuer im Menscheninnern.
Das wahre Sein des Geistes
und
der Weltenschein mit Daseinsmacht
Zur Vorbereitung des Mantras 43 r, um einen tiefen Zugang zu ermöglichen, möchte ich unterschiedliche Aspekte von Geist und Materie voranstellen. Die Vielzahl ergibt sich durch die sehr umfassenden und unterschiedlichen Darstellungen Rudolf Steiners zur wahren Natur der Materie, ihrer Entstehung und dem Verhältnis von Geist und Materie. Mir liegt daran, wenigstens versuchsweise den weiten geistigen Horizont deutlich zu machen, aus dem heraus Rudolf Steiner dieses Mantra geschrieben hat. Da sich die moderne Quantenphysik Rudolf Steiners Aussagen inzwischen annähert, soll auch ein Vertreter dieser Naturwissenschaft zu Wort kommen.
Geist und Materie stehen nicht fremd und auch nicht unvereinbar nebeneinander, sagt Rudolf Steiner. Der Geist durchdringt die Materie, er ist überall. Materie ist ohne den Geist nicht zu denken: “Wir müssen zum Beispiel dadurch, daß wir jetzt auf dem physischen Plan mit der äußeren Materie leben, in gewissen Fällen die Fähigkeit haben, auch in der äußeren Materie um uns herum überall den Geist wahrzunehmen. Denn Materie ist ja nur ein Trugbild, Maja, alles ist verdichteter Geist. So daß wir für das gewöhnliche Leben unter den Gegenständen der Materie den Geist zu spüren haben.” (Lit.: GA 127, S. 109, Hervorhebung A.F.)
„Der Geistesforscher sucht den Geist nicht nur im Menschen, sondern überall um uns herum. In allem erscheint er wie eine innere Physiognomie. Er ist überall im Weltenall ausgebreitet. Kein Mensch, kein Tier, keine Pflanze, kein Stein kann sein, ohne daß der Geist die Grundlage dieses Wesens ist. Hierfür gebrauche ich gerne ein Bild. Wir denken uns einen Wasserbehälter, in dem das Wasser allmählich abgekühlt wird. Dadurch möge etwas entstehen wie ein teilweiser Einschlag von Eisbrocken, so daß wir schwimmend darin haben einige Eisbrocken. Nehmen wir nun an, irgendein Wesen habe nicht die Fähigkeit, Wasser wahrzunehmen, sondern nur Eis. Da würde eben nur aus dem Wasser heraus das Eis auftauchen, das Wasser selbst aber würde dieses Wesen leugnen. «Überall ist nur Eis vorhanden, Wasser aber nicht», würde dieses Wesen sagen.
Ähnlich verhalten sich nun die Menschen zu Geist und Stoff. So wie in unserem Bilde das Eis aus dem Wasser sich verhärtet, so entsteht die Materie aus dem Ursprünglichen, aus dem Geist. Materie ist nichts anderes als verdichteter Geist. Sie taucht für den Sehenden auf aus dem Geist, dagegen für den, der nicht sehen kann, aus dem Nichts. Alles im Weltenraum ist verdichteter Geist. Wenn nun der Materialist kommt und sagt: «Das, was du Geist nennst, ist nicht vorhanden», so steht es mit seiner Logik schlecht, denn er dürfte eigentlich nur zugeben, daß er den Geist nicht wahrnehmen könne.“ (Lit.: GA 57, S. 11f, Hervorhebung A.F.)
Rudolf Steiner sieht im Menschen die Ursache für das Vergehen des Stoffes und auch für dessen Bildung: „Indem der Mensch ein Handelnder ist, so, daß eigentlich der Stoff fortwährend überwunden wird. Und was entfaltet sich im Menschen, indem er sich als freies Wesen in das reine Denken, das aber eigentlich willensmäßiger Natur ist, hineinentwickelt? Es entsteht der Stoff. Wir sehen hinein in Stoffentstehung. Wir tragen selbst in uns dasjenige, was den Stoff entstehen macht: unseren Kopf; und wir tragen in uns das, was den Stoff vernichtet, wo wir es sehen können, wie der Stoff vernichtet wird: unseren Gliedmaßen‑, unseren Stoffwechselorganismus.“ (Lit.: GA 202, S. 211, Hervorhebung A.F.)
Da heute auch Physiker der Quantenphysik zu ganz ähnlichen Anschauungen wie Rudolf Steiner kommen, soll hier auch der Physiker Hans-Peter Dürr (1929–2014), zitiert werden: “Es gibt keine Dinge, es gibt nur Form und Gestaltveränderung: Die Materie ist nicht aus Materie zusammengesetzt, sondern aus reinen Gestaltwesen und Potentialitäten. Das ist wie beim Geist.” (Lit.: Dürr 1998)
An anderer Stelle sagt Hans-Peter Dürr: „Im Grunde gibt es Materie gar nicht. Jedenfalls nicht im geläufigen Sinne. Es gibt nur ein Beziehungsgefüge, ständigen Wandel, Lebendigkeit. Wir tun uns schwer, uns dies vorzustellen. Primär existiert nur Zusammenhang, das Verbindende ohne materielle Grundlage. Wir könnten es auch Geist nennen. Etwas, was wir nur spontan erleben und nicht greifen können. Materie und Energie treten erst sekundär in Erscheinung – gewissermaßen als geronnener, erstarrter Geist. Nach Albert Einstein ist Materie nur eine verdünnte Form der Energie. Ihr Untergrund jedoch ist nicht eine noch verfeinerte Energie, sondern etwas ganz Andersartiges, eben Lebendigkeit. Wir können sie etwa mit der Software in einem Computer vergleichen.“ (Hans-Peter Dürr: Interview im P.M. Magazin (Mai 2007) Am Anfang war der Quantengeist, Hervorhebung A.F.)
Aus der Perspektive des Geistes betrachtet beschreibt Rudolf Steiner die Ursache für die Entstehung von Materie folgendermaßen: “Sehen Sie, wenn nämlich ein Prozeß im Weltenall fortgeschritten ist bis zur Form, die noch ganz im Geistig-Seelischen ist, die noch keine Raumesform ist, wenn der Prozeß fortgeschritten ist bis zu dieser übersinnlichen Form, dann ist der nächste Schritt nur noch möglich dadurch, daß die Form als solche zerbricht. Und das ist nämlich das, was sich dem okkulten Anblick darbietet: Wenn gewisse Formen, die unter dem Einfluß der Geister der Form geschaffen sind, sich bis zu einem gewissen Zustand entwickelt haben, dann zerbrechen die Formen. Und wenn Sie nun ins Auge fassen zerbrochene Formen, etwas, was also dadurch entsteht, daß Formen, die noch übersinnlich sind, zerbrechen, dann haben Sie den Übergang von dem Übersinnlichen in das Sinnliche des Raumes. Und das, was zerbrochene Form ist, das ist Materie. … Materie ist ein Trümmerhaufen des Geistes. Es ist außerordentlich wichtig, daß man gerade diese Definition ins Auge faßt, daß Materie ein Trümmerhaufen des Geistes ist. Materie ist also in Wirklichkeit Geist, aber zerbrochener Geist.” (Lit.: GA 134, S. 72ff, Hervorhebung A.F.)
Wenn Materie eigentlich Maya, Schein ist, was ist sie dann wirklich? Dazu sagt Rudolf Steiner: “In dem Satze: Materie ist gewobenes Licht, Seelisches ist in irgendeiner Weise verdünnte Liebe -, liegen die Schlüssel für unzählige Geheimnisse des Erdendaseins. Die gelten aber nur für das Erdendasein und für kein anderes Gebiet des Weltendaseins.” (Lit.: GA 120, S. 202, Hervorhebung A.F.)
“Es gibt wirklich einen für hellseherische Forschung erreichbaren Auflösungszustand aller Materie, wo sich alle Materie in einem dabei Gleichen zeigt; nur ist das, was da auftritt, nicht mehr Materie, sondern etwas, was jenseits aller spezialisierten Materien liegt, die uns umgeben. Und jede einzelne Materie stellt sich dann dar als ein aus dieser Grundmaterie — es ist ja keine Materie mehr — Kondensiertes, Verdichtetes, ob Sie Gold, Silber oder was immer für eine Materie haben. Es gibt ein Grundwesen unseres materiellen Erdenseins, von dem alles Materielle nur durch Verdichtung zustande gekommen ist. Und auf die Frage: Was ist das für eine Grundmaterie unseres Erdendaseins?- antwortet die Geisteswissenschaft: Jede Materie auf der Erde ist kondensiertes Licht! Es gibt nichts im materiellen Dasein, was etwas anderes wäre als in irgendeiner Form verdichtetes Licht. … Wo Sie hingreifen und eine Materie anfühlen, da haben Sie überall kondensiertes, zusammengepreßtes Licht. Materie ist ihrem Wesen nach Licht.” (Lit.: GA 120, S. 192, Hervorhebung A.F.)
Wer den Geist hinter der Materie schauen will, muss einen Einweihungsweg gehen, denn die Materie ist nicht nur Licht, sondern auch die Welt der Asuras, der Dämonen und der Finsternis, Ahrimans Reich, wie Rudolf Steiner sagt: “Derjenige aber, der in die Einweihung hineinkommt und hellsichtig wird, bei dem bleibt das nicht so, dem steht nicht die äußere Materie gegenüber. Die ist als solche Maya. Eine Realität ist sie nur für den, der eben seiner eigenen inneren Werkzeuge sich bedient. Was tritt an die Stelle der Materie? Das tritt uns ja entgegen, wenn wir uns die alte Einweihung vor Augen führen. Während dem Menschen im Alltag die Materie, … gegenübersteht, steht der Seele, die sich durch … die Einweihung hineinentwickelt, die Welt der Asuras, die Welt des Dämonischen gegenüber, gegen die er zu kämpfen hat. Die Materie ist das, was Widerstand leistet; die Asuras, die Mächte der Finsternis, die werden Feinde. Aber das alles ist eigentlich nur im Anklang, da blickt sozusagen etwas aus dem Seelischen herein, wir beginnen das Seelische zu fühlen. Dann erst wird dieses Seelische spirituell seiner selbst gewahr, wo es in Kampf tritt gegen die Dämonen, gegen die Asuras.
In unserer Sprache würden wir diesen Kampf, der aber nur wie im kleinen uns entgegentritt, als etwas bezeichnen, was als Geister sichtbar wird, wenn die Materie in ihrer Geistigkeit erscheint. Es tritt uns da eben im kleinen das entgegen, was wir als den Kampf der Seele mit dem Ahriman kennen, wenn sie zur Einweihung kommt. Aber indem wir das auffassen als solch einen Kampf, stehen wir ganz im Seelischen drinnen. Dann wächst das, was früher nur die materiellen Geister waren, ins Riesengroße heran, der mächtige Feind steht der Seele gegenüber. Da steht Seelisches gegenüber Seelischem, da steht der individuellen Seele im weiten Weltall Ahrimans Reich gegenüber.” (Lit.: GA 142, S. 97, Hervorhebung A.F.)
Seelenfeuer
Was es mit dem Seelenfeuer auf sich hat, wird uns in der Geschichte des brennenden Dornbusches (Alten Testaments (2. Mose 3,2 ELB) eindrucksvoll geschildert. Rudolf Steiner sagt über diese Begegnung des Mose mit Jahve folgendes: „So schauen wir zurück auf das Alte Testament und fragen uns : Wen verehrt das althebräische Volk in Wirklichkeit? Wer ist der Gott des alten hebräischen Volkes? — Die Angehörigen der hebräischen Mysterien haben es gewußt: den Christus haben sie verehrt; den Christus haben sie gesehen in dem, der sprach das Wort: «Sage meinem Volke: Ich bin der Ich-bin.» — Aber wenn auch alles das nicht bekannt wäre, die Tatsache, daß sich innerhalb unseres Menschheitszyklus der Gott im Feuer ankündigt, wäre für den, der hineinschaut in die tiefen Geheimnisse der Natur, maßgebend genug, um das zu erkennen, daß die Gottheit des brennenden Dornbusches und die Gottheit, die auf dem Sinai sich ankündigte, dieselbe ist, die aus geistigen Höhen herabkommt, um das Mysterium von Golgatha zu vollziehen durch den Herabstieg in den menschlichen Leib. Denn es besteht ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen dem Feuer, das draußen durch die Elemente der Natur entzündet wird und dem, was als Wärme durch unser Blut pulsiert. Oft wurde schon betont in unserer Geisteswissenschaft, der Mensch sei ein Mikrokosmos, der sich gegenüberstellt der großen Welt, dem Makrokosmos. Es muß daher, wenn wir in richtiger Weise zusehen, das, was im Menschen an inneren Vorgängen ist, entsprechen äußeren Vorgängen im Universum. Zu jedem inneren Vorgang müssen wir den entsprechenden äußeren Vorgang finden können.“ (Lit.: GA 109, S. 96ff, Hervorhebung A.F.)
Wenn der Mensch fähig wird, mehr zu sehen als nur die materielle Welt, dann tritt er in die Elementarische Welt ein. Hier spricht Rudolf Steiner auch direkt vom Seelenfeuer: “Das Feuer des elementarischen Lebens läßt sich schon leichter beschreiben, denn es ist verwandt mit dem, was der Mensch als innere Seelenwärme kennt, jenes eigentümliche Gefühl von Wärme, welche man zum Beispiel wahrnimmt, wenn man mit einem geliebten Menschen zusammen ist. Was sich da in die Seele ergießt an Wärme, das Erglühen in Begeisterung oder Freude, das muß man natürlich unterscheiden von dem gewöhnlichen Feuer, das die Finger verbrennt, wenn man hinlangt. Auch im gewöhnlichen Leben fühlt der Mensch, daß das physische Feuer eine Art Gleichnis dieses Seelenfeuers ist.“ (Lit.: GA 119, S. 156ff, Hervorhebung A.F.)
Das Mantra 43 r ist der Abschluss eines vierstufigen Feuer-Prozesses
Die Mantren 40 o, 41 p, 42 q und 43 r verbindet ein Feuerprozess. Im Mantra 40 o kommt des Weltenwortes Feuerkraft aus Herzens Liebewelten. Die Liebewelten sind keine irdischen Welten, sondern himmlische. Die Feuerkraft des Weltenwortes entstammt dem Himmel. Sie kommt auf die Erde, um den leeren Wahn der Eigenheiten zu erfüllen. Sie zeigt sich hier als wässrig. Sie erfüllt, sie fließt eher hinein als dass sie dort brennt. Im Mantra 41 p entflammt die Schaffensmacht der Seele die Götterkräfte zu rechtem Wirken. Hier beginnt eine Interaktion verschiedener Kräfte, die etwas Neues erschafft. Dieses Neue ist das Entflammen, das Feuer auf seelischer Ebene, das erschafft und nicht vernichtet. Es wird durch die Seele entzündet. Doch zunächst tritt das Feuer nur als Herzenswärme, als Glut im Mantra 42 q, in Erscheinung — als Offenbarung der eigenen Kraft. Erst im Mantra 43 r brennt das Feuer tatsächlich. Das Seelenfeuer im Menscheninnern trotzt der Weltenkälte, nachdem des Geistes wahres Sein erwarmt ist.
In einem vierstufigen Prozess kommt das Feuer vom Himmel im Menscheninnern auf der Erde an. Es transformiert sich dabei absteigend durch die vier Wesensglieder: Die Feuerkraft des Weltenwortes zeigt Ich-Qualität. Das Entflammen der Götterkräfte durch die Schaffensmacht der Seele beschreibt die astrale Ebene. Herzenswärme ist ausstrahlende ätherische Wärme. Das Seelenfeuer im Menscheninnern wird durch das Stoffwechselfeuer, dem Verbrennen irdischer Stoffe, möglich gemacht — die physische Ebene.
Was beschreibt das Mantra 43 r?
Das Mantra 43 r ist das dritte Mantra in Folge, das in der neutralen dritten Person geschrieben ist. Wieder handelt es sich um einen Prozess, der unabhängig von der bewussten Mitwirkung des Menschen verläuft, auf dessen Ergebnisse wir für unser Leben angewiesen sind.
Das Mantra hat einen dreigliedrigen Aufbau. Jeweils nach zwei Zeilen steht ein Semikolon, sodass das sechszeilige Mantra in drei Abschnitte unterteilt wird, die nebeneinanderstehen. Die ersten beiden Zeilen benennen einen Sachverhalt, die zwei nächsten beschreiben den dadurch zustande kommenden Prozess und die letzten zwei einen weiteren Prozess, der die Reaktion auf den ersten sein könnte.
Die ersten zwei Zeilen:
Das wahre Sein des Geistes erwarmt. Es wird nicht von außen erwärmt, es gewinnt die Wärme aus sich selbst. Das Erwärmen scheint mit dem Ort zusammenzuhängen, an dem sich der Geist befindet. Es heißt: “In winterlichen Tiefen erwarmt …” — somit findet diese Erwärmung “in winterlichen Tiefen” statt. Was ist mit den “winterlichen Tiefen” gemeint?
Sehe ich den Jahreskreis als Bild vor mir, mit den Jahreszeiten als vier mit dem Kreis-Ort verbundenen Qualitäten, so ist der Winter das Unten, der Sommer das Oben, während Frühling den Aufstieg und Herbst den Abstieg darstellen. Der Jahreskreis als dieses Rad zeigt den Winter also als Punkt des Stillstandes, des zur Ruhe-kommens. Ein Techniker beschreibt das Zustandekommen dieses Stillstands-Punktes so: Dem schwingenden Pendel widerfährt real Stillstand in jedem der beiden Umkehrpunkte des Hin und des Her in der Schwingungsebene. Dem wogengetragenen Wassertropfen widerfährt real Stillstand in jedem der beiden Umkehrpunkte des Auf und des Ab in der Ebene der Fortschreitung der Welle. So auch den mathematischen Punkten des Maximums und des Minimums einer linearen Sinuskurve. Insofern, als ein fester Punkt auf einem vorwärtsrollenden Rad — etwa der Nippel des Ventils am Reifen eines Fahrrads — beobachtet wird, also die Fort-Bewegung beobachtet wird, die resultiert aus Drehung und Eilen — gewahrt die Aufmerksamkeit eine Zykloide, wie die Zeichnung zeigt. Wenn die schwarze Punkte-Linie, die das Ventil beschreibt, für einen Moment auf der grünen Boden-Linie liegt, erscheint der Punkt des Stillstandes.
In der Tat wird in Skandinavien und vorchristlich auch im germanischen Sprachraum der Jahreslauf im Bild des Julrades dargestellt. In den Tiefwintertagen durfte kein Rad gedreht, kein Spinnrad und keine Spindel benutzt werden, denn das würde Unglück bringen. Vielleicht beruht diese Tradition auf dem Erleben der Wellen bei einer Bootsfahrt, denn der Ruhe-Umkehrpunkt des Hoch-Tief im ständigen Wechselrhythmus macht seekrankt.
Auch der Begriff “Winter” suggeriert den Stillstand, denn in Frost und Eis erstarrt das Leben. Rudolf Steiner sagt, dass an der Jahreszeit des Winters das Ich studiert werden konnte. (Sie Blog 42 q:
Der Stillstand im Tiefwinter ist nur ein scheinbarer. Das Jahresrad bleibt nie wirklich stehen. In der Woche 43 r sind die Tage schon merklich länger. Das Leben bereitet sich ganz langsam vor, zurück zu kommen. Der Geist erwarmt, weil für ihn eine neue Phase der Aktivität beginnt.
Und was ist das wahre Sein des Geistes? Warum wird nicht einfach nur vom Geist gesprochen, der sich erwarmt? Der Geist als reiner, körperloser Geist ist gerade nicht physisch. Doch das Sein des Geistes umgreift den körperlosen Zustand sowie auch den materiegewordenen. Erwarmt sich das wahre Sein, kommt Bewegung in den gegenwärtigen Zustand und die Transformation von dem einen Zustand in den anderen beginnt.
Das zweite Zeilenpaar:
Es, das erwarmte, wahre Sein des Geistes, gibt dem Weltenschein Daseinsmacht. Das bedeutet, dass das, was wir als Realität wahrnehmen, entsteht — Materie wird gebildet. Den Weltenschein verstehe ich als eine Umschreibung der Maya, der großen Täuschung, die die physische Realität als die einzig wahre hinstellt und den Geist als dahinterstehende Ursache ignoriert. Die physische Realität ist unter diesem Gesichtspunkt Schein, eine Scheinrealität, denn der Geist ist die wahre Realität. Doch der Weltenschein erhält Daseinsmacht — er wird Wirklichkeit als Physis. Vorher, ohne die Daseinsmacht war der Weltenschein nur in der ätherischen Welt existent — noch nicht physisch.
Noch genauer betrachtet spricht das Mantra nicht nur von einer Daseinsmacht, sondern von mehreren — von Daseinsmächten. Das erwarmte, wahre Sein des Geistes gibt dem Weltenschein Daseinsmächte. Der Weltenschein wird zum einen eine vielschichtige Realität, wie wir sie physikalisch, chemisch und so weiter nach Maß, Zahl und Gewicht kennen. Zum anderen erhält der Weltenschein eine (nach meiner Ansicht) zweifache Macht des Daseins. Der Geist gibt dem Weltenschein nicht nur durch Verdichtung Dasein, sondern bereitet gleichzeitig den Prozess der Wieder-Vergeistigung vor, indem der Geist selber hinter bzw. in aller Materie zu finden ist.
Das wahre Sein des Geistes gibt durch Herzenskräfte dem Weltenschein diese vieldimensionalen Daseinsmächte. Ja, wessen Herz ist denn beteiligt — und welche Kräfte des Herzens können so Gewaltiges bewirken? Nicht nur die Daseinsmächte sind mehrere, auch die Herzenskräfte sind mindestens zwei. Im Seelenkalender gibt es sieben Herz-Worte (Sie Blog 41 p: Sieben Herz-Worte im Seelenkalender). Erst das siebte Herz-Wort ist das Menschenherz (48 w) — die vorherigen werden nicht näher benannt. In diesen sechs Herz-Worten kann ein großes, göttliches Herz erahnt werden mit je einem Herz-Wort für die vier “Herzkammern”, eines für die “Einbettung” und eines für das “Innenleben” des Herzens. Die Herzenskräfte sind das sechste Herz-Wort. Sie sind dieses “Innenleben”, die durch das Herz strömenden zwei Butkreisläufe. Der Körper-Kreislauf transportiert das Leben spendende sauerstoffreiche Blut in die Peripherie des Körpers, der Lungen-Kreislauf das mit Kohlendioxid angereicherte Blut zur Lunge. Letzteres ist Grundlage unseres Bewusstseins durch latente Absterbevorgänge. Die im Herzen sich begegnenden Kräfte, — die Herzenskräfte — sind es, die Leben erschaffen und Geist durch Bewusstsein hervorbringenden. Sie geben dem Weltenschein die Macht, ebenso auf zweifache Weise da zu sein — als Daseinsmächte.
Diese Zeilen können nicht nur makrokosmisch, sondern auch mikrokosmisch gelesen werden. Auch der Mensch besitzt die Macht zu erschaffen. Zwar wird im Mantra kein bewusster Ich-Sprecher genannt, doch deuten die Herzenskräfte darauf hin, dass der Mensch sehr wohl beteiligt ist an diesem Prozess seiner Realitätserschaffung. Ein moderner Ausdruck für dieses Erschaffen lautet Manifestieren”, das sowohl als bewusster Prozess gedacht werden kann, als auch als unbewusster. Wird der Prozess bewusst vollzogen, kommt es zum einen auf eine präzise gedankliche Vorstellung der zu erschaffenden Realität an, zum anderen auf das Gewärtigen der dazugehörigen Gefühle. Um das zu Gewärtigende auch zu erleben wird empfohlen, einen solchen Gefühlszustand herzustellen, der das Ersehnte als ein bereits im Vorgriff Wahrgewordenes erleben lässt. Dabei wird der Weltenschein zunächst im Denken aus dem Geist erschaffen und im zweiten Schritt durch das herzwarme Fühlen mit Daseinsmacht ausgestattet. Was ich fühle ist im gegenwärtigen Moment eine Realität.
Das dritte Zeilenpaar:
Zu dem oben im mittleren Zeilenpaar beschriebenen Prozess der Realitätserschaffung, gesellt sich ein zweiter Prozess. Das Verb des ersten Prozesses ist “geben”, das Verb des zweiten “trotzen”. Der zweite Prozess ist deshalb ein sich entgegenstellender, Widerstand bietender, eben trotzender Prozess. Obwohl es nicht direkt ausgesprochen wird, scheint mir dieser Prozess eine Gegenreaktion auf den ersten Prozess — der Daseins-Entstehung — zu sein. Im zweiten Prozess trotzt das Seelenfeuer im Menscheninnern der Weltenkälte. Die Herzenskräfte des ersten Prozesses implizieren die Entstehung von Wärme. Nun im zweiten Prozess steht das Seelenfeuer im Zentrum. Es trotzt und wird dadurch stärker. Auch äußeres Feuer brennt umso mächtiger, je mehr es verbrennt. Das äußere Feuer verbrennt Materie, verwandelt sie in Licht und Wärme, vergeistigt sie. Feuer vollzieht als Naturkraft eine Gegenbewegung zur Materie-Bildung. So auch das Seelenfeuer — es trotzt der Weltenkälte. Diese Gegenbewegung findet im Menscheninnern statt.
Im Innern, aber durchaus physisch, “brennt” das Feuer des Stoffwechsels. Dieser Prozess gehört zur Grundlage der Seelenfähigkeit des Willens. Nur der Wille kann sich entgegenstellen, trotzen, das Gegenteilige wollen von dem, was gerade ist. Zwar erwarmte des Geistes wahres Sein in winterlichen Tiefen und setzt den Welt-Werde-Prozess in Gang durch die Herzenskräfte, doch die entstehende Welt ist eine kalte, winterliche. Hier herrscht Weltenkälte — und so erleben wir die Außenwelt auch: als kalt, unerbittlich und dunkel. Dem setzt der Mensch sein Seelenfeuer entgegen.
Ein feinerer Prozess als die Stoffverbrennung im Stoffwechsel ist die Ätherisation des Blutes, die Rudolf Steiner beschreibt. Im Herzen, so sagt er, wird ein Teil des irdischen Blutes wieder zu Äther, zu Geist und ermöglicht uns ein Bewusstsein, das nicht ausschließlich auf die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse ausgerichtet ist. Indem wir Bewusstsein von uns selber entwickeln, stellen wir uns der Welt gegenüber. Wir “trotzen” der Welt dadurch und behaupten uns als Eigenwesen. Indem das Seelenfeuer der Weltenkälte trotzt, erstarkt es. Je stärker wir uns der Welt gegenüberstellen, ihr trotzen, desto mehr Erkenntnis gewinnen wir, desto stärker brennt das Seelenfeuer und erhellt die Welt. Heute ist “Trotz” negativ konnotiert. In dichterischer Sprache ist seine positive Seite erhalten geblieben: Trutz bieten, ein Schutz- und Trutzbündnis oder ein trutziger (ein stolzer, widerstandsbereiter) Held. So bewahrt auch das Trotzen des Seelenfeuers vor der Weltenkälte, die ohne dasselbe alles Leben einfrieren würde.
Die drei Zeilenpaare als Ausdruck der drei Seelenfähigkeiten:
In den ersten beiden Zeilen lebt die besonnene, Tatsachen feststellende Haltung des Denkens. In den mittleren beiden Zeilen ist die erschaffende, aus dem Herzen stammende Kraft des Fühlens anwesend. Die letzten beiden Zeilen lassen die feurige Kraft des Willens erleben. Dadurch wird im Mantra 43 r ein Mensch geschildert, der noch nicht zum Selbstbewusstsein erwacht ist. Die Prozesse laufen ab, ohne dass dieser Mensch sie zu seinen Gunsten beeinflussen kann. Es gibt keinen bewussten Ich-Sprecher im Mantra. Der paradiesisch-schuldlose Mensch steht hier vor uns.