49 x
Ich fühle Kraft des Weltenseins:
So spricht Gedankenklarheit,
Gedenkend eignen Geistes Wachsen
In finstern Weltennächten,
Und neigt dem nahen Weltentage
Des Innern Hoffnungsstrahlen.
Zentrale Worte des Mantras 49 x: Weltensein, Weltennächte und Weltentag
Drei “Welt”-Worte finden sich im Mantra 49 x, deren Sinn sich nicht ohne weiteres erschließt: die Kraft des Weltenseins, Weltennächte und Weltentag. Nacht und Tag ergänzen sich und bilden zusammen eine übergeordnete Einheit, einen Zyklus: in diesem vereinen sich Weltennacht und Weltentag zu einem Weltenzyklus. Ist dieser Weltenzyklus in seiner Gänze das Weltensein?
Ein Ausdruck der Kraft des Weltenseins ist möglicherweise die stetige Veränderung, der stetige Wandel, dem alles unterworfen ist — sogar die festen Steine; und dieser Wandel gliedert sich zunächst in zwei gegensätzliche Bewegungen: das Entstehen und das Vergehen von etwas. Die Weltennächte sind die Zeitspanne, in der das Alte in der Dunkelheit verschwindet und sich gleichzeitig das Neue vorbereitet. Der Weltentag ist das Momentum des In-Erscheinung-Tretens dieses Neuen — bis es wiederum in einer neuen Weltennacht verschwindet.
“Als Manvantara (skrt. मन्वन्तर, Zusammenziehung von manu-antara, wörtlich das Lebens- oder Zeitalter eines Manu) oder Weltentag wird in Anlehnung an die an den Hinduismus anknüpfende indisch-theosophische Terminologie die äußere Offenbarung eines planetarischen Entwicklungszustandes bezeichnet. Jedes Weltensystem macht im Zuge seiner Entwicklung sieben solcher äußerlich offenbarer Zustände durch, die jeweils durch eine Weltennacht, ein sog. Pralaya, voneinander getrennt sind, während der sich das Weltensystem vollständig aus der äußeren Offenbarung zurückzieht. Jedes Manvantara wird dabei von einem ganz bestimmten Manu geleitet.”
“Als Pralaya (skrt. प्रलय „Untergang, Zerstörung“) oder Weltennacht wird jener Zwischenzustand bezeichnet, während dem sich ein in Entwicklung begriffenes Weltensystem vollständig aus der äußeren räumlichen Offenbarung, dem sog. Manvantara oder Weltentag, in ein rein geistiges Dasein zurückzieht.
Unser Planetensystem macht im Zug seiner Entwicklung sieben Verkörperungen durch, die als die sog. 7 okkulten Planeten bezeichnet werden, und zwischen jeder dieser äußeren Verkörperungen liegt ein grosses Pralaya. Unser heutiges Planetensystem, dem auch unsere Erde (Planet) angehört, ist die vierte und mittlere dieser äußeren Wiederverkörperungen.
Jeder einzelne der okkulten Planeten entwickelt sich wiederum in einer Abfolgen von sieben Lebenszuständen oder Runden. Zwischen jeder Runde liegt ein kleines Pralaya.” (Anthrowiki.at, Manvantara sowie Pralaya)
Die “Welt”-Worte im Seelenkalender
In den Mantren des Seelenkalenders kommt “Welt” alleine bzw. als Wortteil auffallend häufig vor. Die Tabelle gibt eine Übersicht über die einzelnen Varianten und Wiederholungen:
Mantra | Welt-Worte in 38 Mantren | Anzahl: 52 | Auch im Mantra: | Unterschiedliche “Welt”-Worte: 33 |
1 A | Weltenweiten | 1 | 22 V | Weltenweiten |
2 B | ||||
3 C | Weltenall | 2 | Weltenall | |
4 D | Sonnerhellte Welt, Mensch und Welt | 3, 4 | 32 f, 33 g, 46 u | Welt |
5 E | Weltensein | 5 | 49 x, 52 z | Weltensein |
6 F | Weltenoffenbarung | 6 | Weltenoffenbarung | |
7 G | Weltenlichte | 7 | 12 ! | Weltenlicht |
8 H | ||||
9 I | Weltenwärme | 8 | 12 ! | Weltenwärme |
10 K | ||||
11 L | Weltenschönheit, Welten-Ich | 9, 10 | Weltenschönheit, Welten-Ich | |
12 ! | Weltenschönheitsglanz, Weltenfluge, Weltenlicht, Weltenwärme | 11, 12, 13,14 |
7 G; 9 I |
Weltenschönheitsglanz, Weltenfluge |
13 M | Geistes Feuerwelten | 15 | Feuerwelten | |
14 N | Weltendenken | 16 | 48 w | Weltendenken |
15 O | Weltenschein | 17 | 43 r | Weltenschein |
16 P | ||||
17 Q | Weltenwort, Weltenweiten | 18, 19 | 36 k, 38 m, 40 o, 22 V; 1 A | Weltenwort |
18 R | Weltenkeimesworte | 20 | Weltenkeimesworte | |
19 S | ||||
20 T | Welten-Dasein | 21 | Welten-Dasein | |
21 U | ||||
22 V | Licht aus Weltenweiten, Weltenselbst | 22, 23 | 1 A; 35 i | Weltenselbst |
23 W | Weltenschlaf (bzw. Winterschlaf) | 24 (-) | Weltenschlaf (Winterschlaf) | |
24 X | Weltengeist | 25 | 29 c, 51 ! | Weltengeist |
25 Y | ||||
26 Z | ||||
27 a | ||||
28 b | ||||
29 c | Weltengeistes Kräftequell | 26 | 24 X, 51 ! | |
30 d | ||||
31 e | ||||
32 f | Mich der Welt verleihn | 27 | 4 D, 33 g, 46 u | |
33 g | So fühl ich erst die Welt | 28 | 4 D, 32 f, 46 u | |
34 h | Erweckend Weltenkräfte | 29 | Weltenkräfte | |
35 i | Weltenselbst | 30 | 22 V | |
36 k | Weltenwort | 31 | 17 Q, 38 m, 40 o | |
37 l | Weltenwinternacht, Weltengründen | 32, 33 | Weltenwinternacht, Weltengründe | |
38 m | Weltenwort, Weltenfernen | 34, 35 | 17 Q, 36 k, 40 o | Weltenfernen |
39 n | Weltenwesens Licht | 36 | Weltenwesens Licht | |
40 o | Herzens Liebewelten, Weltenwortes Feuerkraft | 37, 38 | 17 Q, 36 k, 38 m | Liebewelten |
41 p | ||||
42 q | ||||
43 r | Weltenscheine, Weltenkälte | 39, 40 | 15 O | Weltenkälte |
44 s | Verwirrend sprossend Weltenwerden | 41 | 45 t | Weltenwerden |
45 t | Weltenwerden | 42 | 44 s | |
46 u | Die Welt droht zu betäuben | 43 | 4 D, 32 f, 33 g | |
47 v | Weltenschoß | 44 | Weltenschoß | |
48 w | Licht aus Weltenhöhen, Weltendenkens Sicherheit | 45, 46 | 14 N | Weltenhöhen |
49 x | Weltensein, Weltennächte, Weltentag | 47, 48, 49 | 5 E, 52 z | Weltennächte, Weltentag |
50 y | Weltendaseins Werdelust | 50 | Weltendaseins Werdelust | |
51 ! | Weltengeist | 51 | 24 X, 29 c | |
52 z | Weltensein | 52 | 5 E, 49 x |
Die Verteilung der 52 “Welt”-Worte im Seelenkalender-Jahreskreis
Die Anzahl von 52 “Welt”-Worten kommt zustande, wenn das Mantra 23 W in der Fassung wiedergegeben wird, wie sie sich in der Faksimile Ausgabe des Seelenkalenders von 1912/13 in Rudolf Steiners Handschrift findet. Hier steht “Weltenschlaf”. Bei der entsprechenden Eurythmieform notierte Rudolf Steiner jedoch “Winterschlaf”.
Die “Armsprache” der Göttin
Göttin mit „Armsprache“, Ritzverzierung eines Tongefäßes, Bulgarien, 5800 v.Chr.
V‑Zeichen und drei parallele Linien weisen auf die Vogelgöttin, die zwei senkrechten „Zähne“ möglicherweise auf die Schlangengöttin
Nach alter Überlieferung bezog die Schlange ihre Kraft aus dem Wasser und von der Sonne! Die „Armsprache“ dieser Schlangengöttin erinnert an das alte Sonnenzeichen, die Swastika. Trotz des großen zeitlichen und räumlichen Abstands findet sich in der Indus-Kultur (2800 – 1800 v.Chr.) eine Entsprechung. Hier galt die meist blaue 卍, nach links abgewinkelte Swastika als weiblich, die meist rote 卐, nach rechts abgewinkelte als männlich. Als Windrad vorgestellt, dreht sich die weibliche rechts herum und damit mit dem Sonnenlauf, die männliche links herum, also gegen den Uhrzeigersinn.
Die Göttin zeigt die Armhaltung der weiblichen Swastika, ihre Drehrichtung entspricht dem abgebildeten Jahreslauf. Die Haltung der Göttin zeigt ein Kreuz und damit die Festigkeit und Ordnung des irdischen Daseins – die „Kraft des Weltenseins“. Ihre abgewinkelten Arme interpretiere ich als Hinweis auf die Halbjahre. Ihr linker (vom Betrachter rechte) Arm ist nach oben gerichtet und steht für das Winter-Halbjahr. Der aufgerichtete Arm weist auf das in den Weltennächten stattfindende geistige Wachsen hin — eine hinaufführende innere Bewegung, die dem Menschen durch seine Fähigkeit zu denken möglich ist. Dem rechten (vom Betrachter linken), nach unten geneigtem Arm der Göttin entsteigt die Vielfalt der Erscheinungen des Sommer-Halbjahres — der Weltentag, der alles sichtbar macht.
Die Göttin selber verkörpert den Übergang, die Grenze der beiden Halbjahre. Sie steht zwischen dem vergangenen Winter-Halbjahr und dem kommenden Sommer-Halbjahr — und damit auch zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Göttin selber hält das Gleichgewicht der Gegenwärtigkeit.
Embryologie — Menschen-Ich-Stufe
Die vierte Stufe der Embryonalentwicklung ist die Menschen-Stufe. Vorausgegangen war: die Mineral-Stufe abgebildet im Krisenspruch 46 u, die Pflanzen-Stufe im Mantra 47 v und die Tier-Stufe im Lichtspruch 48 w. Jaap van der Wal schreibt über diese vierte Stufe:
„Bei dieser vierten Phase handelt es sich um den Übergang vom Tier zum Menschen. Oder sollten wir von einer Umkehrung sprechen? Diese Frage bringt uns direkt in die gegenwärtige Auseinandersetzung zu der Frage, ob der Mensch ein Tier ist oder nicht. Wenn wir … [die Abbildung unten ansehen], können wir erwarten, dass wir wieder eine gegensätzliche Gebärde zwischen Tier und Mensch antreffen. Um dies zu begreifen, ist es notwendig, zwischen Selbstbewusstsein und Bewusstsein der Umgebung zu unterscheiden. In unseren vorherigen Überlegungen haben wir gesehen, wie tierliche (astrale) Emanzipation gleichzeitig Bewusstsein ermöglicht. Mit der Erschaffung einer inneren Welt gegenüber der Umgebung entsteht die Möglichkeit von Bewusstsein, die Außenwelt kann nun wahrgenommen werden. Dies kann man sich leicht vorstellen. Die Bedingung für dies Bewusstsein ist Trennung, (Abstand). Eine ähnliche Situation können wir in der Dynamik und Morphologie des Embryos … beobachten. In [der] Abbildung [unten] deutet Hartmann an, wie der Mensch eine grundlegende neue Richtung einschlägt. Diese neue Richtung könnte man als das Finden eines Standpunktes seiner eigenen inneren Welt, d.h. aller eigenen Erfahrungen und Gefühle, gegenüber, beschreiben. Das Wort Standpunkt könnte man fast wörtlich nehmen. Daher der Punkt in der Mitte des menschlichen Diagramms in Hartmanns Tabelle. … Wir können einen Mittelpunkt in uns selbst spüren, welcher sich davon bewusst ist, dass wir bewusste Wesen sind.” (Jaap van der Wal, Dynamische Morphologie und Embryologie 2012, S. 98)
Hauptgesten der vier Naturreiche in Bezug auf den Raum, auf Mitte und Peripherie sowie auf Innen und Außen (nach O. J. Hartmann, Die Gestaltstufen der Naturreiche und das Problem der Zeit, 1945)
a) Kristallin-mineralisch, wachsend
b) Pflanze, nach außen wachsend
c) Tier, nach innen wachsend
d) Mensch, darüberhinaus wachsend “ent-wachsend“
(Jaap van der Wal, Dynamische Morphologie und Embryologie, S. 6)
Jaap van der Wal fährt fort: “Teilhard de Chardin drückt es auf die folgende Art und Weise aus: <Das Tier weiß etwas, aber der Mensch weiß, dass er es weiß.> Diese Redewendung könnte man noch mit zahlreichen anderen ergänzen, wie zum Beispiel, <das Tier denkt, aber der Mensch weiß, dass er denkt>, <das Tier fühlt, aber … usw.> Die Anthroposophie weist hierfür auf das Ich des Menschen. Dies ist das Element, welches fähig ist, sich über sich selbst zu äußern, oder mit anderen Worten, das sich selbst gegenüberstehen kann. Das wird auf der Abbildung als <Punkt> angegeben, als der Standpunkt. Ist das nun die neue Richtung, über die wir reden? Wenn wir uns aufs Neue in die astrale Krümmungsgebärde … einleben, können wir diese als begrenzt erleben. Sie findet ihren Abschluss in einem Zustand des Abgeschlossen-seins. Die Delaminationsbewegung endet in einem geschlossenen Kreis mit einem inneren Raum. Welche Bewegung steht dieser gegenüber und befreit uns aus diesem Zustand? Der holländische Arzt L.F.C. Mees charakterisierte das Tier mit dem Ausdruck nach innen wachsen und den Menschen mit entwachsen. Welche Bewegung entwächst dem Astralen?
Die entsprechende Morphodynamik ist sich strecken oder sich aufrichten. Die aufgerichtete Haltung ist eine Leistung, die dem Menschen vorbehalten ist. … diese Behauptung [wird] … durch alles, was über die Evolution geschrieben worden ist, untermauert. Wenn wir hier über Aufrichtung sprechen, meinen wir damit nicht die Zweibeinigkeit oder Zweifüßigkeit. Dieses Merkmal haben wir zum Beispiel mit den Pinguinen und den Kängurus gemeinsam. Worauf hier hingedeutet wird, ist die Tatsache, dass wir unseren Kopf auf unserem Rumpf im Gleichgewicht halten und den Rumpf wiederum auf den unteren Extremitäten. Der Schwerpunkt des Rumpfes oberhalb des Hüftgelenks ist nicht etwas nach vorn verlagert, wie das bei den Menschenaffen der Fall ist, oder durch das <Breitbeinig-stehen> ermöglicht, wie das beim Känguru der Fall ist. Um sich diese Haltung aneignen zu können muss man die notwendigen körperlichen Voraussetzungen erfüllen. Darum kann man von einem Streckprozess im Laufe der Somatogenese während der Embryonalentwicklung ausgehen. Was damit erreicht wird, ist eine Körpergestaltung, die Gleichgewicht, Balance ermöglicht, nicht nur eine Aufrecht-Fortbewegende sondern eine mich Aufrecht-Erhaltende und Stehen-Bleibende. …
Während des Streckprozesses emanzipiert sich der Kopf und das Becken aus dem runden/ovalen Wesen, welches der Embryo während der vierten Woche noch ist. Allmählich verdeutlicht entstehen der Hals und der Rumpf. … Sowohl der Kopf wie auch der Rumpf kommen<heraus>. Der Kopf wächst kranial weg vom Rumpf, wodurch der Hals entsteht, das Becken <wendet> sich kaudal weg um Rumpf und findet seinen Platz darunter, wodurch die Taille entsteht. [Kaudal (lat. cauda “Schwanz” schwanzwärts oder fußwärts) und kranial (kopfwärts) sind anatomische Lagebezeichnungen. A.F.] Dies stellt die sichtbare Streckung dar. Der Impuls hierfür kommt von innen und rührt von der Ausdehnung des Gehirns her, wodurch die charakteristischen Flexuren zwischen den verschiedenen Zonen des Gehirns entstehen. Dies ist typisch für den Menschen. Hierdurch kommt eine räumliche Befreiung der Gehirnentwicklung zustande, welche nun keine Fortsetzung der Rumpfachse mehr ist. Man könnte diesen ganzen Prozess als Ent-faltung bezeichnen; der zusammengerollte Embryo faltet sich auseinander. Der Prozess geht vom Kranium aus, wo er mit dem Gehirn beginnt, dann den ganzen Kopf und schließlich den Hals mit einschließt. Dann folgt die Formung der Taille und die <Emanzipation> des Beckens vom Rumpf.
… Wenn der Kopf und das Becken sich erst einmal aus der Krümmung befreit haben, sind die notwendigen Voraussetzungen für die aufrechte Haltung des Menschen geschaffen.
Was hier geschieht, ist jedoch mehr als eine Streckung. Hier beginnt sich gleichzeitig auch eine Polarität zwischen dem Kopf einerseits und den Extremitäten andererseits zu entwickeln. Die Emanzipierungstendenz des Tier-(astral) Prozesses wird scheinbar im Kopf beibehalten. Dies ist eigentlich eine Bedingung für das richtige Funktionieren dieses <Pols> beim Menschen. … Dem gegenüber beginnen sich die Extremitäten zu entwickeln. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Neigung dazu im Embryo so gut wie abwesend. Während sich der Streckungsprozess im Kopf (oberer Pol) abspielt, streben gleichzeitig die Extremitäten (Radien) der Peripherie zu. Es ist, als ob sich die menschliche Gestalt zwischen Abschließen (<hier>), nämlich dem Kopf, und Sich-Öffnen (<dort>), nämlich den Extremitäten, polarisiert. Es ist nicht allzu schwierig, die zwei Pole der Polarität in den Gebärden des Kopfes und der Extremitäten … zu erkennen. <Sich-Strecken> und <Aufrecht-Gehen> sind ebenfalls Bilder des Gleichgewichts zwischen polaren Tendenzen: <Sich-der-Erde-zuwenden> oder <Sich-von-ihr-abwenden>. Dies stellt wiederum eine Manifestation der Polarität des Radius gegenüber der Kugel dar. …
Was sagt uns das über die Dynamik des Ich und die Frage über Mensch versus Tier? Die Gebärde des Streckens und Entfaltens ist mit dem Freiwerden von <innen her> verbunden. Wir suchen nach einer neuen Tendenz (Richtung), nach etwas, welches nicht die Fortsetzung des Tierhaften/Astralen ist (welches sich in der ganz typischen Krümmung der entsprechenden Dynamik ausdrückt). Gibt es etwas, welches dem gegenübersteht und sich davon befreit? Wir sagen, dass ein neues dynamisches Zentrum in der starken Polarität zwischen Kopf und Extremitäten entsteht, welches weder der eine Pol (Kopf, astral, Tier, geschlossen) ist noch der andere (Extremitäten, ätherisch, pflanzenhaft, offen). Dadurch, dass der Mensch die aufrechte Haltung beibehält, ist er ein Wesen des Gleichgewichts. Man kann es auch als ein Zentrieren und Zu-Sich-Selbst-Kommen beschreiben: im Menschenkörper <bringt die Schwerkraft uns zu uns selbst> sozusagen. Kann man das letztere nicht als die anatomisch-morphologische Gestaltung einer Ich-Organisation betrachten? Ein Wesen, das geistig zu sich selbst kommen kann (Selbstbewusstsein), muss diese Gebärde zumindest auch morphologisch und physiologisch leisten können (Aufrecht-Gehen und –Stehen, Balance).
Man kann die Tendenz hierzu bei allen höheren Säugetieren entdecken; verschiedene Formen des Streckens und Entfaltens kommen auch während ihrer embryonalen Entwicklung vor. Aber es besteht ein Unterschied: sie bringen diese Gebärde nicht zur Vollendung. … Mit anderen Worten, die Morphogenese beim Menschen charakterisiert sich durch das Sich-Strecken und Sich-Aufrichten, begleitet vom Entfalten und Polarisieren der Arme und Beine, des Kopfes und Beckens (alle oberen und unteren Teile); dies ist alles notwendig, um aufrecht stehen zu können und diese aufrechte Haltung bis zum Erwachsenwerden beizubehalten.
Aufrecht zu stehen ist mehr als nur eine anatomische Gebärde, es ist auch eine geistige Gebärde. Es ist eine Gebärde der Zurückhaltung, des Beibehaltens des Gleichgewichts in Bezug auf die Schwerkraft. Beim Tier liegt der Schwerpunkt immer vor der spinalen Achse, und es ergibt sich dieser Kraft. Zu dem Zeitpunkt, wo das Tier nachgibt, bleibt der Mensch aufrecht. … <Widerstand unterscheidet den Menschen>, so lautet ein revolutionärer Slogan. Er weist auf eine Eigenschaft hin, welche ein Kennzeichen des Ich ist“ (Jaap van der Wal, Dynamische Morphologie und Embryologie 2012, S. 99ff).
Dieser gekrümmte Embryo mit der erst nach und nach vom Haftstiel zur Nabelschnur sich entwickelnden, dünner werdenden Verbindung erinnert sehr an die Bildung der Osterscholle.
Mit Vollendung der vierten Stufe ist der Embryo einmal durch alle Naturreiche gegangen. Was nun folgt ist die weitere individuelle Ausgestaltung des Menschseins. Inwiefern weitere Übereinstimmungen mit der Embryonalentwicklung und den Mantren vorhanden sind, kann ich derzeit noch nicht sagen, wohl aber, dass mit dem Mantra 52 z das Geburtserlebnis beschrieben wird.
Was geschieht im Mantra 49 x?
Ich fühle. Dieser Anfang wirkt wie ein Aufwachen oder Auftauchen aus den wogenden Wellen des fließenden Lichtes, das im letzten Mantra 48 w strömte; denn dieses Mantra ist beschreibend und ohne bewussten Ich-Sprecher gestaltet. Doch nun ist dieser Ich-Sprecher präsent — das Mantra 49 x beginnt mit: “Ich fühle Kraft des Weltenseins.” Dann erst erfährt der Leser, dass die Gedankenklarheit dies sagt. Sie gibt sich Rechenschaft über sich selber. Haben wir nicht alle so ein sprechendes Wesen in unserem Kopf? Führen wir nicht alle in Gedanken Selbstgespräche mit uns selber? Die Gedankenklarheit, die hier als Ich-Sprecher auftritt, verstehe ich als die Fähigkeit, sich selber beobachtend und kommentierend gegenüberzutreten. Sich seiner selbst bewusst zu werden ist die Fähigkeit, die es ermöglicht, sich als ein Ich zu erfassen.
Diese im Menschen sich mitteilende, sprechende Gedankenklarheit sagt: “Ich fühle Kraft des Weltenseins.” Jede Kraft, die gefühlt werden kann, übt Wirkung aus, denn sonst würde nichts gefühlt werden. Die Kraft hat eine Wirk-Richtung, bzw. ein Bezweckendes, eine Teleologie. Sie ist wie ein Strom, der vom Noch-nicht-wirken über das Wirken zum Bewirkten geht. Die Kraft, die das klare Denken hier fühlend erlebt, ist die Kraft des Weltenseins. Denkend fühlt der Ich-Sprecher die Kraft, die der Welt das Sein gibt, sie ins Sein führt, zur Erscheinung bringt — und auch wieder aus der Erscheinung hinausführt. Das Weltensein ist der feste Grund, das ewig Gleichbleibende im Wandel des Werdens und Vergehens der Welt.
Die Gedankenklarheit steht an einer Grenze, einem Übergang zwischen Weltennacht und Weltentag. Es ist die Zeit des Sonnenaufgangs. Hier gedenkt sie des Vergangenen und wendet sich gleichzeitig dem Kommenden zu. Sie steht zwischen Vergangenheit und Zukunft — und damit in der Gegenwart. Gerade die Gleichzeitigkeit im Erleben der beiden Zeitqualitäten zeigt, dass die Gedankenklarheit in der Gegenwart präsent ist, ohne diese zu thematisieren.
Die Gedankenklarheit gedenkt des Wachsens des eigenen Geistes in finsteren Weltennächten. Das Winter-Halbjahr ist die Zeit des Jahres, in der die Dunkelheit überwiegt, die Nächte länger als die Tage sind. Das Leben in der eigenen Gedankenwelt vergleicht Rudolf Steiner mit dem Winterdasein. Denken ist ein Innenprozess, der Fokus und Konzentration erfordert. Um klar denken zu können, ist es nötig, sich nach außen abzuschließen. So in sich verschlossen leuchtet das Licht der Gedanken hell in der Finsternis. Die Finsternis der Weltennacht ist Voraussetzung für das Wachsen des eigenen Geistes. Was geistig gewachsen ist und sich werdend vorbereitet hat, tritt auch irgendwann in Erscheinung.
Das Weltensein ist Wandel. Auf jede Nacht, und wäre sie noch so finster, folgt ein neuer Tag. Dem Licht der Sonne leuchten die Hoffnungsstrahlen der Seele entgegen. Sie dürstet nach dem Licht und neigt ihre Hoffnungsstrahlen vor dem viel größeren Licht der aufgehenden Sonne. Im Sommer-Halbjahr wird das Licht überwiegen, die Tage sind länger als die Nächte. Die Wahrnehmungsseite ist die Sommernatur des Menschen. Hier wendet sich die Seele nach außen. Hoffnungsstrahlen sendet sie aus. Zunächst gelten diese sicherlich dem kommenden Tag. Wie wird er werden? Welche Ergebnisse des eigenen Geisteswachsens können sich dort tatsächlich verwirklichen? Doch das ist noch nicht alles. So wie das Winter-Halbjahr das Werden vorbereitet, ist im Sommer-Halbjahr der Keim des Vergehens enthalten. Alles, was in Erscheinung getreten ist, wird auch wieder vergehen. Diesen inbegriffenen Niedergang können nur die Hoffnungsstrahlen überbrücken, indem sie den ganzen Zyklus, Weltentag und Weltennacht umfassen. Neigen sich die Hoffnungsstrahlen deshalb, weil sie schon der absteigenden Kreisbahn folgen?
Die Gedankenklarheit steht an der Grenze von Nacht und Tag, von Vergangenheit und Zukunft, Denken und Wahrnehmung, von Innen und Außen. Mit dem erinnernden Gedenken ist das Wachsen verbunden, eine nach oben gerichtete Bewegung — mit dem der Zukunft zugewandten Strahlen der Hoffnung dagegen ein Neigen. Die aufstrebende Bewegung im Denken lässt sich leicht nachvollziehen. Ich fühle eine stolze Aufrichtung, wenn sich mir nach langem Nachdenken endlich ein Sachverhalt schlüssig darstellt.
Doch warum ist mit der wahrnehmenden Seele ein Neigen verbunden? Das Wachsen des eigenen Geistes in den finsteren Weltennächten zeigt sich in wachsendem innerem Licht, das nach Außen strahlen will. Doch dieses innere Licht ist verschwindend klein gegenüber der schöpferischen Macht der Sonne. Das menschliche Gedankenlicht muss sich vor ihrem Licht neigen. Sie ist es, die diese Wunder der Natur, diese Mannigfaltigkeit des Lebens zur Erscheinung bringt. Ihre Schöpfermacht übersteigt diejenige des menschlichen Denkens bei weitem. Immer wenn ich genau beobachte, wahrnehme ohne vorher zu wissen – wenn ich sehe ohne Vor-Urteil, dann neige ich mich nicht nur äußerlich, sondern auch seelisch. Und nur wenn ich mich vor der Natur demütig neige, offenbart sie mir ihre Wunder.
Das eigene Geisteswachsen fand in vielen Weltennächten statt, doch die Hoffnungsstrahlen neigen sich dem einen kommenden Weltentag. In der Erinnerung sind offensichtlich schon viele Zyklen von Weltentagen und ‑nächten durchlebt worden. Erinnert wird aber nur das geistige Wachsen während der Weltennächte. Am kommenden Weltentag darf sich der Geist erproben, um in der nächsten Weltennacht daraus zu lernen und weiter zu wachsen.
Die Gedankenklarheit vereint Vergangenheit und Zukunft in fühlend-gegenwärtigem Erleben. Indem die Gedankenklarheit sich nicht nachdenkend in der Vergangenheit verliert und auch nicht wollend der Zukunft zustrebt, bleibt sie in diesem labilen Gleichgewicht der Gegenwärtigkeit.
Ohne gedanklichen Inhalt erlebt die Seele im Bewusstsein die Leere des unendlichen Raumes, aus dem alles hervorgeht und in den alles zurückkehrt — die Ursache für alles Werden und Vergehen. Gleichzeitig handelt sie. Sie neigt die aus dem Innern kommenden Hoffnungsstrahlen dem nahen Weltentag zu. Sie neigt ihr Strahlen demütig. Im Buddhismus wird geübt, das Denken so zu klären, dass die Leere erlebt werden kann, aus der das Sein quillt. Im Christentum wurde die Demut geübt. Nicht-Denken und Nicht-Wollen sind zwei Wege zur inneren Entwicklung.
Obwohl das Ich als eigene Instanz im Mantra nirgends vorkommt, erscheint es umso deutlicher als Kraft in den beschriebenen Situationen. Es wird sichtbar im Halten des Gleichgewichtes auf der Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft, Innen und Außen. Es zeigt sich, indem es sich in der Gegenwart hält auf dem schmalen Grat, der Denken und Wahrnehmung, Sommer- und Winter-Halbjahr sowohl trennt als auch verbindet. Nur das Ich ist in der Lage, durchzugehen durch Werden und Vergehen, Inkarnation und Exkarnation. Das Ich kann die Kraft des Weltenseins fühlen, weil es seine Bestimmung ist, diese Kraft selber zu erwerben.