Die spiegelnden Mantren 19 S und 34 h

19 S

Geheimnisvoll das Neu-Empfang’ne

Mit der Erin­n’rung zu umschließen,

Sei meines Strebens weitr­er Sinn:

Es soll erstarkend Eigenkräfte

In meinem Innern weck­en

Und wer­dend mich mir sel­ber geben.

34 h

Geheimnisvoll das Alt-Bewahrte

Mit neuer­stand­nem Eigensein

Im Innern sich belebend fühlen:

Es soll erweckend Wel­tenkräfte

In meines Lebens Außenwerk ergießen

Und wer­dend mich ins Dasein prä­gen.

Mariä Himmelfahrt und der Ewigkeitssonntag bzw. Christkönigtag

In der Woche des Mantras 19 S liegt aller­meist der 15. August, an dem Mar­iä Him­melfahrt gefeiert wird. Der Ewigkeitsson­ntag, Toten­son­ntag bzw. Christkönig­tag ist der Son­ntag vor dem 1. Advent und deshalb stets der Son­ntag des Mantras 34 h. Mit diesem Son­ntag wird überkon­fes­sionell die Wiederkun­ft Christi ver­bun­den. Der Auf­stieg Marias in den Him­mel ste­ht der erneuten Her­abkun­ft Christi gegenüber. Indem diese Wochen im See­lenkalen­der als Spiegel­sprüche ver­bun­den sind, kann ver­mutet wer­den, dass bei­de Ereignisse aufeinan­der bezo­gen sind — genauer, dass sie zwei seel­is­che Sit­u­a­tio­nen beschreiben, die zusam­menge­hören wie Baum und Borke.

Das volk­stüm­lich Mar­iä Him­melfahrt genan­nte Fest hat eine sehr alte Tra­di­tion. Es geht auf ein Marien­fest zurück, das Cyrill von Alexan­drien im 5. Jahrhun­dert ein­führte und schon damals auf den 15. August fest­set­zte. Dieser Tag gilt tra­di­tionell als Todestag Marias.

Zum Ewigkeitsson­ntag und der Wiederkun­ft Christi siehe Blog 34 h.

Über die Spiegelsprüche 19 S und 34 h

Die Mantren 19 S und 34 h sind wahrlich geheimnisvoll, denn sie sprechen von etwas, das zwar als Neu-Emp­fan­gen bzw. als Alt-Bewahrt von dem jew­eils dif­feren­ziert beobach­t­en­den Ich-Sprech­er beschrieben wird, doch für den Leser bleibt unklar, um was es sich da wirk­lich han­delt. Dadurch ist jed­er Leser aufgerufen, durch Selb­stre­flex­ion zu ergrün­den, was in der Seele dem Neu-Emp­fan­genen und dem Alt-Bewahrten entsprechen könnte.

Das Neu-Emp­fan­gene soll mit der Erin­nerung umschlossen wer­den (19 S), das Alt-Bewahrte mit neuer­standen­em Eigen­sein sich beleben (34 h). Wenn das Alt-Bewahrte sich mit neuer­standen­em, aufer­standen­em Eigen­sein belebt, kön­nte das Umschließen mit Erin­nerung bedeuten, dass das Neu-Emp­fan­gene einen gewis­sen Tode­sprozess durchzu­machen hat. Was im gegen­wär­ti­gen Moment erlebt und gedacht wird, fällt schon im näch­sten Augen­blick der Ver­gan­gen­heit anheim und “stirbt”, wenn es nicht als Erin­nerung auf­be­wahrt, sozusagen mumi­fiziert wird. Erin­nern, so sagt Rudolf Stein­er, ist nicht das Her­aufhohlen eines ins Unter­be­wusst­sein abge­taucht­en Vorstel­lungs­bildes, son­dern ein Beleben ein­er Men­schen­form, die das Erin­nerungs­bild ver­mit­telt, wie die Buch­staben den Inhalt der Schrift trans­portieren (siehe Blog 19 S). Das Neu-Emp­fan­gene kann deshalb als die äußeren und inneren Erleb­nisse ange­se­hen wer­den, das Alt-Bewahrte als die gesam­melten Erfahrun­gen, die Erinnerungen.

Die Bele­bung des Alt-Bewahrten (34 h), der Erin­nerung, find­et in ein­er neuen Gegen­wart mit der zu Bewusst­sein gewor­de­nen Leben­skraft statt, die in dem Moment zur Ver­fü­gung ste­ht. Erin­nerung, wie sie hier gemeint ist, wird also mit dem belebt, was dem Men­schen in dem Moment eigen ist, mit seinem Eigen­sein. Das Eigen­sein bein­hal­tet son­st das Abge­gren­zt­sein als Eigen­we­sen und die neg­a­tive Kon­no­ta­tion des Egos, doch hier rückt Eigen­sein in die Nähe des Ich-Seins. Stets ist es ein in der Gegen­wär­tigkeit aufleuch­t­en­des Ich, das sich erin­nert und zurückschaut auf das ver­gan­gene Selb­st, das dieses Ich-Gefühl damals hat­te und die Welt erlebte.

Nun fol­gt in bei­den Mantren nach einem Dop­pelpunkt, welchen Sinn die geheimnisvollen Vorgänge haben. In bei­den Mantren heißt es “Es soll …” und ein erstes Ziel wird genan­nt, an das sich mit “und” das über­ge­ord­nete, große Ziel anschließt.

In bei­den Mantren geht es um Kräfte: im Mantra 19 S um Eigenkräfte, im Mantra 34 h um Wel­tenkräfte. Eigenkräfte sind Bewusst­sein­skräfte, Wel­tenkräfte sind Kräfte, die die Wahrnehmungswelt erschaf­fen, damit das Licht der Bewusst­seinssonne etwas bescheinen, etwas in den Fokus nehmen kann. Die Eigenkräfte sind erstark­end (19 S), die Wel­tenkräfte sind erweck­end (34 h). Die Bewusst­sein­skraft wächst ständig durch die Rei­fung und das Ler­nen des Men­schen — sie erstarkt durch die Erleb­nisse, das Neu-Emp­fan­gene (19 S). Die Wel­tenkräfte sind erweck­end, weil die Wahrnehmungswelt — nun die erin­nerte, alt-Bewahrte und neu als Vorstel­lung belebte — diejenige ist, in der sich kraft men­schlich­er Kop­far­beit Zusam­men­hänge denk­end erschließen (34 h). Anders als im realen Erleben kön­nen in der Reflex­ion, in der inneren Ver­ar­beitung Bezüge zu größeren Zusam­men­hän­gen erkan­nt und neue Per­spek­tiv­en ein­genom­men werden.

Die erstark­enden Eigenkräfte sollen im Innern geweckt wer­den (19 S), die erweck­enden Wel­tenkräfte sollen sich ergießen (34 h). Sie sollen in das Außen­werk meines Lebens fließen, sich dort hineingießen. Das Neu-Emp­fan­gene, Erin­ner­bargemachte, soll erstark­ende Eigenkräfte im Innern weck­en (19 S). Ein im Innern gesam­melter Erin­nerungss­chatz stärkt die Eigenkräfte, denn sie sind inner­er Besitz. Das Alt-Bewahrte, mit Eigen­sein Belebte und aktuell Erin­nerte, soll erweck­ende Wel­tenkräfte in das Außen­werk meines Lebens, in meine Tat­en ergießen (34 h). Jede Hand­lung speist sich aus dem Erfahrungs- und Erken­nt­niss­chatz eines ganzen Lebens. In das Werk im Außen, das Lebenswerk, fließt ein, was ein Men­sch erfuhr und sich erar­beit­et hat.

Ganz schlicht mit “und” ange­fügt fol­gt nun in bei­den Mantren das über­ge­ord­nete, eigentliche Ziel des beschriebe­nen Vor­gangs. Dieses Ziel bet­rifft in bei­den Mantren den wer­den­den, sich entwick­el­nden Men­schen. Das Schaf­fen von Erin­nerun­gen durch das Neu-Emp­fan­gene und das Erstarken der im Innern dadurch geweck­ten Eigenkräfte soll “mich mir sel­ber geben” (19 S). Das tat­säch­liche Erin­nern des Alt-Bewahrten, das Beleben der Vorstel­lun­gen mit Eigen­sein, mit eigen­er, neuer Leben­skraft, lässt erweck­ende Wel­tenkräfte, den Erfahrungss­chatz, sich in die Tat­en ergießen, und das soll “mich ins Dasein prä­gen” (34 h). Schon bei Erin­nerun­gen spricht man davon, dass sie sich ein­prä­gen. Seinen Tat­en gibt der Men­sch sich sel­ber mit. Er bleibt karmisch mit seinem Werk ver­bun­den, denn die Welt bewahrt ihn durch seine Tat­en in ihrem Gedächt­nis. Er hat sich durch seine Hand­lun­gen ins Dasein geprägt.

Die aktuellen Erleb­nisse führen dazu, dass der Men­sch Erin­nerun­gen erschafft und sich selb­st gegeben wird (19 S). Die ver­ar­beit­eten Erleb­nisse, seine gesam­melten Erfahrun­gen führen dazu, dass der Men­sch sich in der Welt ver­wirk­licht, sich in ihr Gedächt­nis ein­prägt (34 h).

Maria als Nach­fol­gerin der Isis kann eben­so als die Zeit ange­se­hen wer­den, denn von der Isis heißt es am Tem­pel zu Sais, dass sie die Ver­gan­gen­heit, die Gegen­wart und die Zukun­ft ist. Die Zeit gebiert alles Leben, alles Sein. Und so, wie sie fortwährend neues Leben gebiert, stirbt sie mit jed­er verge­hen­den Sit­u­a­tion. Indem die Erleb­nisse erin­ner­bar wer­den, mit Erin­nerung umschlossen wer­den, erfährt die Zeit — Maria — ihre Him­melfahrt. Wie Maria durch ihre Him­melfahrt, erhält das Erleb­nis über den Tod des Moments fort­dauern­des Leben, indem die Erleb­nisse zu Erin­nerun­gen gemacht wer­den. Im Men­schen wirkt die Zeit so, dass in der Gegen­wär­tigkeit das Ich-Erleb­nis auf­blitzt. Hier gebiert Maria — die Zeit — fortwährend das Erleb­nis, ein Ich zu sein. Das Mantra sagt, ich werde als in Entwick­lung begrif­f­en­er Men­sch mir sel­ber gegeben.

Die neu belebten, aufer­stande­nen, inner­lich ver­ar­beit­eten Erin­nerun­gen tra­gen Chris­tuskraft in sich. In der Ver­ant­wor­tung für die eige­nen Tat­en wird das Ich stark. Die Tat­en prä­gen den Men­schen ins Dasein und bewahren ihn dort, bis er in einem neuen Leben weit­er­ar­beit­en kann an seinen Hin­ter­lassen­schaften. Das All­t­ags-Ich dieses Lebens wird als Wer­den­des aufgenom­men in das Weltgedächt­nis des Christus-Ichs.