Die spiegelnden Krisenspruch-Mantren 20 T und 33 g
20 T So fühl´ ich erst mein Sein, Das fern vom Welten-Dasein In sich, sich selbst erlöschen Und bauend nur auf eignem Grunde … In sich, sich selbst ertöten müsste. |
33 g So fühl ich erst die Welt, Die außer meiner Seele Miterleben An sich nur frostig leeres Leben Und ohne Macht sich offenbarend, In Seelen sich von neuem schaffend, In sich den Tod nur finden könnte. |
Musik zum Mantra 20 T — Gloria — komponiert von Herbert Lippmann
Makrokosmos und Mikrokosmos
Mit Makrokosmos bezeichnet Rudolf Steiner die große kosmische Welt, deren Abbild der Mensch als Mikrokosmos ist. Der Makrokosmos umfasst als Geistwelt den Tierkreis, die Planetensphären, die Elementarische Welt – also die geistige Seite der Welt außerhalb der menschlichen Seelenwelt. Mit Mikrokosmos bezeichnet Rudolf Steiner nicht nur die bewusste und unbewusste Seelenwelt des Menschen, sondern auch die geistige, die intelligible Seite seines physisch-ätherischen Seins, die Gesetzmäßigkeiten, die sich im Aufbau seines Körpers und seiner Lebensvorgänge zeigen und auf den Makrokosmos verweisen.
Makrokosmos
„Der Mensch tritt jeden Abend beim Einschlafen aus seiner kleinen Welt, aus seinem Mikrokosmos in die große Welt, in den Makrokosmos hinaus und vereinigt sich, indem er seinen astralischen Leib und sein Ich ausgießt in den Makrokosmos, mit diesem Makrokosmos, mit der großen Welt. Aber weil er im heutigen Verlaufe seines Lebens nur fähig ist, in der Welt des Tageslebens zu wirken, so hört sein Bewußtsein auf in dem Momente, wo er den Makrokosmos betritt. Das drückte die Geheimwissenschaft immer dadurch aus, daß sie sagte: Zwischen dem Leben im Mikrokosmos und dem Leben im Makrokosmos liegt der Strom der Vergessenheit. Der Mensch dringt auf dem Strom der Vergessenheit in den Makrokosmos, in die große Welt, indem er mit dem Einschlafen aus dem Mikrokosmos in den Makrokosmos hinüberlebt.“ (Lit.: GA 119, S. 53)
„Wir haben verschiedene Betrachtungen angestellt, die uns darauf aufmerksam machen konnten, wie wir durch die geisteswissenschaftliche Weltanschauung in einer andern Weise alte Erkenntnisschätze für die menschliche Erkenntnis wiedergewinnen, die in vergangenen Tagen gewußt worden sind von den Menschen als dasjenige, was den geistigen Welten angehört. Immer wieder und wieder werden wir durch das eine oder andere auf dieses vorweltliche Wissen von den geistigen Welten stoßen, und immer wieder werden wir daran erinnert, daß dieses Wissen der Vorzeit darauf beruhte, daß der Mensch vermöge seiner früheren Organisation in einem solchen Zusammenhang stehen konnte mit dem ganzen Weltenall und seinem Geschehen, daß, wie wir uns in unserer Sprache ausdrücken, der menschliche Mikrokosmos eintauchte in die Gesetzmäßigkeit, in das Geschehen des Makrokosmos und daß er bei diesem Eintauchen in den Makrokosmos Erlebnisse haben konnte über Dinge, die sein Seelenleben innig angehen, die ihm aber verborgen bleiben müssen, solange er auf dem physischen Plane als Mikrokosmos wandelt und nur mit derjenigen Erkenntnis ausgestattet ist, die den Sinnen und dem an die Sinne gebundenen Verstande gegeben ist.“ (Lit.: GA 158, S. 171)
Die Problematik, die mit der Welt, dem Makrokosmos verbunden ist, beschreibt Rudolf Steiner folgendermaßen: “Der Makrokosmos wird von dem schauenden Bewußtsein in immer größerer Lebendigkeit gefunden, je weiter der Blick in die Vergangenheit zurückdringt. Er lebt in ferner Vergangenheit so, daß jede Berechnung seiner Lebensoffenbarungen da aufhört. Aus dieser Lebendigkeit heraus wird der Mensch abgesondert. Der Makrokosmos tritt immer mehr in die Sphäre des Berechenbaren ein. Damit aber erstirbt er allmählich. In dem Maße, in dem der Mensch — der Mikrokosmos — als selbständige Wesenheit aus dem Makrokosmos ersteht, erstirbt dieser. In der kosmischen Gegenwart besteht ein erstorbener Makrokosmos. Aber im Werden desselben ist nicht nur der Mensch entstanden. Es ist aus dem Makrokosmos auch die Erde erstanden.” (Lit.: GA 026, S. 197)
Mikrokosmos
Mit dem Aufwachen kehrt der Mensch aus dem Makrokosmos in den Mikrokosmos zurück. Im Tagesleben hat der Mensch zwar Bewusstsein, doch wird er abgelenkt von seinem Seeleninneren durch die Sinneseindrücke, die sich im Aufwachen sofort vor diese Innenwelt schieben. Hier bildet der Sinnenschleier auf der Seite der Wahrnehmung das Pendant zum Strom des Vergessens. Das Überwinden dieses Schleiers wird als ein Verbrennen erlebt.
„Denn, sehen Sie, der Mensch ist tatsächlich wie ein Extrakt des ganzen Kosmos. Im Menschen findet man — irgendwie verändert, irgendwie extrahiert, kompensiert oder dergleichen — das, was im Kosmos als Gesetz vorhanden ist […]
Man entdeckt, indem man das Wollen, das Denken erlebt, wie ich es Ihnen geschildert habe, daß der Mensch wirklich eine Art Mikrokosmos ist. Ich sage das nicht als Phrase, wie es die nebulosen Mystiker sagen, sondern in dem Bewußtsein, daß es mir so klar geworden ist wie nur irgendeine Lösung einer Differentialgleichung, aus vollständig logischer Klarheit heraus. Man entdeckt, daß der Mensch innerlich eine Zusammenfassung, ein Kompendium der ganzen Welt ist. Und geradeso wie in unserem gewöhnlichen Leben wir ja auch nicht bloß dasjenige wissen, was uns eben in dem Augenblick sinnlich umgibt, wie wir, indem wir absehen von dem, was uns in diesem Augenblick sinnlich umgibt, hinblicken auf das Bild von etwas, was wir erlebt haben vor etwa zehn oder fünfzehn Jahren, wie das vor uns auftaucht als etwas, was nicht mehr vorhanden ist — es ist aber etwas von ihm in uns vorhanden, was uns ermöglicht, das, was dazumal vorhanden war, nachzukonstruieren -, so ist es auch mit dem erweiterten Bewußtsein, das durch Umwandlung des gewöhnlichen Denkens und Wollens entsteht. Indem der Mensch tatsächlich verbunden war mit alle dem, was Vergangenheit ist, nur in einem umfassenderen, in einem ganz anderen, in einem geistigeren Sinne verbunden war mit dem, was Vergangenheit ist, als er verbunden war mit Erlebnissen vor zehn, fünfzehn Jahren, die er wieder heraufholen kann aus seinem Inneren, so ist es möglich, wenn das Bewußtsein erweitert wird, daß wir einfach herausfinden, wie aus einer kosmischen Erinnerung, dasjenige, wo wir ja dabei waren, was einfach nicht in uns für das gewöhnliche Bewußtsein weiterlebt, was aber weiterlebt für dasjenige Bewußtsein, das durch die Metamorphose entstanden ist, die ich geschildert habe.
Es ist also nichts anderes als eine Erweiterung, als eine Erhöhung derjenigen Kraft, die sonst unsere Erinnerungskraft ist, wodurch der Mensch innerlich, einfach aus der eigenen Natur, die eine Zusammenfassung des Makrokosmos ist, konstruktiv auferstehen läßt dasjenige, was tatsächlich in einem bestimmten Zeitraum unserer Erde war. Der Mensch sieht dann hin auf einen Zustand der Erde, wo sie noch nicht materiell war. Und während er sonst aus den gegenwärtigen Erlebnissen der Geologie sich irgend etwas konstruieren muß, was in der Zeit gelegen haben soll, sieht er nun hin auf einen Zeitpunkt, wo die Erde noch nicht da war, wo sie in einer viel geistigeren Gestalt war. Er sieht, indem er das, was in ihm lebt, konstruktiv nachschafft, dasjenige, was tatsächlich der Bildung unserer Erde zugrundeliegt.
Und ebenso ist es mit dem, was in einer gewissen Weise als etwas Konstruktives in uns von einem Zukunftszustand der Erde auftauchen kann.“ (Lit.: GA 73a, S. 374ff Hervorhebung A.F.)
Der Schulungsweg, wie ihn Rudolf Steiner beschreibt, beginnt als Weg in den Mikrokosmos, indem der Astralleib gereinigt und dann der Ätherleib umgearbeitet wird. Der Weg, um die Menschheitsentwicklung vorwegzunehmen, beginnt also beim Ich und steigt ab bis zum physischen Leib, bis in die tiefste Vergangenheit des Menschen.
„Wir wissen, daß vom Ich aus nicht nur der Astralleib, sondern auch der Ätherleib und der physische Leib umgewandelt werden. … bewußt werden umgewandelt Astralleib, Ätherleib und physischer Leib … wenn der Mensch in einer esoterischen Schulung steht.
Alles das, was nur auf den Astralleib wirkt, ist nur Vorbereitung zur eigentlichen esoterischen Schulung, zur eigentlichen okkulten Schulung. Die okkulte Schulung beginnt da, wo wir das Hineinarbeiten in den Äther- oder Lebensleib lernen, wo der Mensch in den Stand gesetzt wird, durch die Anleitung, die ihm der okkulte Lehrer gibt, die Temperamente, Neigungen und Gewohnheiten umzuwandeln, wo der Mensch ein anderer wird. Damit kommt erst die Einsicht in die wirkliche höhere Welt, daß der Mensch ein anderer Mensch wird. … Man kann alles mögliche lernen, das wirkt nur auf den Astralleib. Erst dann, wenn die Lehren eine solche Stoßkraft haben, daß sie verwandelnd auf den Menschen wirken, bilden sich von innen heraus die Organe, um in die höhere Welt hineinzuschauen. So geschieht die Umwandlung des Ätherleibes und so geschieht auch die Umwandlung des physischen Leibes. Und weil der physische Leib sich umwandelt vom Atmungsprozeß aus, durch die Rhythmisierung des Atmungsprozesses, so nennt man den vom Bewußtsein durchleuchteten physischen Leib Atman, das Atman.“ (Lit.: GA 096, S. 258f)
Dieser Weg entspricht also dem mit Michaeli beginnenden Weg durch das Jahr der vier Erzengel Regentschaften. Jeder dieser Erzengel regierte eine Erdinkarnation und leitete die Ausbildung eines Wesensgliedes. Von Michael, der die Entwicklung der Erde und des menschlichen Ichs leitet, schreiten wir im Gang des Jahres nach vorne, doch vom Aspekt der durch Rudolf Steiner angegebenen Erzengeln schreiten wir in die Vergangenheit. Mit der Weihnachtszeit kommen wir in den Einflussbereich von Gabriel, der den alten Mond und die Ausbildung des Astralleibs leitete. In der folgenden Osterzeit kommen wir zu Raphael, der die alte Sonne und die Ausbildung des Ätherleibs leitete. Und schließlich zur Hochsommerzeit kommen wir zu Uriel, der den alten Saturn, die erste Inkarnation unserer Erde leitete, wo der physische Leib veranlagt wurde. (Siehe GA 265) Diesen Weg empfinde ich als eine Involution.
Involution und Evolution bedingen einander, sagt Rudolf Steiner: „Das ist der große Gedanke, der den Geheimgesellschaften zugrunde liegt, daß alles Fortschreiten auf Involution und Evolution beruht. Involution ist das Einsaugen, Evolution ist das Ausgeben. Zwischen diesen beiden wechseln alle Weltenzustände.“ (Lit.: GA 93, S. 122)
„Die Involution ist dasjenige, was in uns eingezogen ist ohne unser Bewußtsein und ohne unseren Willen, unter dem Einfluß der göttlichen Weisheit. Die Evolution ist alles, was wir daraus hervorgehen lassen sollen für die äußere Welt durch unser Bewußtsein und unseren Willen.“ (Lit.: GA 94, S. 35)
Den Weg in den Makrokosmos, wie Rudolf Steiner ihn für die nördlichen Völker als Weg durch den Jahreskreis beschreibt, empfinde ich als Evolutionsweg, denn er steigt vom Frühling mit dem Gewinnen des Verständnisses des physischen Leibes auf zum Hochsommer mit dem Verständnis des Ätherleibes, gelangt dann im Herbst zum Verständnis des Astralleibs und im Tiefwinter durch das Schauen der Mitternachtssonne zum Verständnis des Ichs (siehe GA 119).
(Angemerkt sei, dass Rudolf Steiner in GA 219 eben diesen Weg durch die Jahreszeiten als südlichen Weg in die Seele beschreibt.)
Im Gang des Jahres liegen zwei Wege der Selbst- und Welterkenntnis
Der rot gezeichnete Weg: basiert auf GA 119, der blaue Weg auf GA 265 von mir so zusammengefügt und benannt
Über die Spiegelsprüche 20 T und 33 g
Die Mantren 20 T und 33 g beschreiben krisenhafte Situationen, die nur überwunden werden können, wenn der Ich-Sprecher sich selber neu ausrichtet. Rettende Kräfte, wie sie in den Krisensprüchen der Osterzeit (7 G und 46 u) aufgerufen werden, gibt es hier nicht.
In beiden Mantren geht die Erkenntnis vom Fühlen aus. Der Ich-Sprecher fühlt die eine oder andere Konstante des menschlichen Daseins: das eigene Sein (20 T) bzw. die Welt (33 g). Er erlebt das eigene Sein bzw. die Welt das erste Mal wirklich. So hat er noch nie auf sich selbst bzw. auf die Welt geblickt. Und mit diesem Fühlen der nun — nach einem langen Weg der Bewusstwerdung — in den Fokus genommenen Tatsache erlangt er vollkommen neue Einsicht. Der Ich-Sprecher nimmt sozusagen erstmalig die andere Seite der Medaille wahr und erkennt, dass er hier nicht am Ziel, sondern in einer Sackgasse gelandet ist, wenn er seine Ausrichtung nicht verändert.
Das wahrhaftige Fühlen des eigenen Seins bzw. der Welt sind zwei Ziele einer Entwicklungsbewegung. Rudolf Steiner beschreibt zwei Wege der Erkenntnis, den Weg in den Mikrokosmos der eigenen Seele – also die Erkenntnis des eigenen Seins — und den Weg in den Makrokosmos – die Erkenntnis der Welt. Und auf beiden Wegen muss dann durchgedrungen werden zu dem jeweils anderen. Auf dem Weg in die eigenen Untergründe der Seele muss hindurchgedrungen werden zur großen Geistwelt, zum Makrokosmos — und auf dem Erkenntnisweg in die objektive geistige Welt außerhalb des Menschen muss schließlich die Bedeutung des Menschen, des Mikrokosmos, für die große Geistwelt, den Makrokosmos aufscheinen.
Das eigene Sein fern vom Welten-Dasein (20 T) zu erkennen bedeutet, sich selber als Geist zu erfassen. Der Ich-Sprecher fühlt sein geistiges Sein als ein brennendes Feuer, das zu erlöschen droht, wenn es sich fern hält von dem, was außerhalb des eigenen Seins liegt, vom Welten-Dasein. Das Feuer des eigenen Seins erlischt also, wenn es nicht genährt wird mit Brennmaterial, mit Welten-Dasein. Im Mantra 33 g fühlt der Ich-Sprecher dagegen die Welt. Er fühlt sie in ihrer frostigen Kälte und Sterblichkeit, die nur durch seelisches Miterleben sich neu erschaffen kann, also verjüngt auferstehen, einen neuen Frühling erleben kann.
Hitze und Kälte stehen sich in den Mantren gegenüber. Zwar droht das Feuer des eigenen Seins (20 T) zu erlöschen, doch noch brennt es und erzeugt Hitze. Es ist ein Innenvorgang, denn es droht, in sich, sich selbst zu erlöschen. Dieses eigene Sein ist ein aktiv handelndes, das Erlöschen wird durch ein Verb in seiner aktiven Form ausgedrückt. Das Erlöschen fügt dieses handelnde Subjekt sich selbst zu. Die Welt hat dagegen an sich nur frostig leeres Leben (33 g). Das Leben der Welt zeigt sich als ein Äußeres, das die Welt wie ein Kleid an sich trägt. Und diese Lebensäußerung ist frostig leer, kalt und wesenlos. Alle Lebensprozesse, die stets Wärme erzeugen, sind an ein Ende gekommen. Und hier ist kein Selbst, dass eine Lösung des Problems der eigenen Sterblichkeit herbeiführen könnte.
In beiden Mantren folgt nun ein „Und“. Die Verben dieser Zeilen stehen in der Verlaufsform: bauend (20 T), offenbarend und schaffend (33 g). Hier kommt es offensichtlich auf das Geschehen in der Zeit an. Im Mantra 20 T schließt sich mit diesem „Und“ ein zweiter Sterbensprozess an, der neben dem Erlöschen existiert. Wenn das eigene Sein nur auf eigenem Grund baut, ertötet es sich selbst — in sich. Das Bauen steht in der Verlaufsform. Es findet also verbunden mit der Zeit statt, in der jeweiligen Gegenwart. Ich verstehe hier, dass das Selbst sich ertötet, wenn es nur im Innenprozess – im Denken – bleibt und nicht einbezieht, was das Außen – der fremde Grund – die Wahrnehmung der Welt als Grundlage des Denkens beiträgt.
Im Mantra 33 g schließt mit dem „Und“ kein vollkommen neuer Aspekt an, wie im Mantra 20 T, sondern eine Ergänzung. Außer an einem Ort fühlt der Ich-Sprecher das Leben der Welt frostig leer. Dieser von der frostigen Leere sich unterscheidende Ort ist der Seeleninnenraum. Im seelischen Miterleben der Welt gibt es Seelenwärme, Interesse, bewundernde Hingabe, Liebe. An dieses seelische Miterleben schließt nun das „Und“ an. Hier in der Seele offenbart sich die Welt ohne Macht und schafft sich dadurch gleichzeitig neu. Sie schafft sich in der Seele als Vorstellung, die zwar hier keine Realitätsmacht hat, denn sie ist nur Bild, doch offensichtlich ist dieses Bild der Keim einer neuen Welt. Ohne dieses innerseelische Neuschaffen würde die Welt in sich — innerhalb ihrer eigenen Gesetze — nur den Tod finden. Sowohl offenbarend als auch schaffend sind Verben in der Verlaufsform. Mit dem „Und“ wechselt die Aktivität vom einzelnen Menschen zur Welt. Vor dem „Und“ ist es der Ich-Sprecher, der seelisch miterlebt, nach dem „Und“ ist es die Welt, die sich offenbart und neu erschafft. Die Welt tut dies nicht nur in einer Seele. Es geschieht in Seelen, in vielen Seelen — in der ganzen Menschheit. Hier ist die Welt die aktiv handelnde, die in dem Moment der Gegenwart ständig sich einerseits ohne Macht offenbart, andererseits neu erschafft. Würde das nicht so sein, könnte die Welt in sich nur den Tod finden.
Die beiden letzten Zeilen der Mantren stehen im Konjunktiv. Sie zeigen eine Zukunft, die einträte, wenn Mensch und Welt nicht als höhere Einheit zusammenwirken. Der Mensch braucht für das Fortbestehen des eigenen Seins die Welt und die Welt braucht für ihr Fortleben den Ort der Neuschöpfung im menschlichen Seeleninnenraum.
In der folgenden Schilderung Rudolf Steiners wird deutlich, wie der Mystiker, der das eigene Sein in den Blick nimmt, hindurchdringt zum Makrokosmos, indem die Bedeutung der Welt mit ihren Naturreichen für ihn deutlich wird. Es sei als Ergänzung zum Mantra 20 T angeführt: „Dem Mystiker, der in sein Inneres hineinsteigen will, wird begreiflich gemacht von dem geistigen Lehrer, daß er zunächst fühlen muß ein Gefühl der Demut, das sozusagen bis ins Unendliche geht. Dieses Gefühl läßt sich etwa so schildern. Man kann demjenigen, der angehender Mystiker ist, sagen: Sieh dir einmal die Pflanze an. Die Pflanze wurzelt in dem Boden. Der Boden bietet ihr ein Reich dar, das niedriger ist als das Pflanzenreich. Die Pflanze kann aber nicht leben ohne dieses Reich, das zunächst für ein niedrigeres genommen werden muß. Wenn die Pflanze sich hinunterneigt zu dem mineralischen Reich, dann kann sie sagen: Diesem niedrigeren Reich, aus dem ich hervorgewachsen bin, dem verdanke ich mein Dasein. Sie müßte sich in Demut zu dem niedrigeren Reich neigen und sagen: Dir verdanke ich, daß ich bin. Ebenso verdankt das Tier dem Pflanzenreich das Dasein. Es müßte, wenn es seiner Stellung im Weltenbau sich bewußt werden würde, in Demut sich zum niedrigeren Reiche neigen. Und der Mensch, der sich umschaut in der Welt, er müßte sagen: Eigentlich könnte ich diese Stufe nicht erreicht haben, wenn nicht alles dasjenige, was unter mir ist, sich in der entsprechenden Weise entwickelt hätte. — Wenn der Mensch solche Gefühle in seiner Seele entwickelt, dann kommt in sie die Stimmung, daß er eigentlich nicht nur Grund hat, in Dankbarkeit aufzublicken zu dem, was über ihm ist, sondern auch mit Dank zu schauen auf dasjenige, was unter ihm ist. Wenn das so recht in der Seele sich verbreitet, was man die Erziehung zur Demut nennen kann, dann wird die Seele durchflossen und durchdrungen von diesem Demutsgefühl, von dieser Demutsempfindung, daß man noch einen unendlich weiten Weg vor sich hat, um vollkommen zu werden.“ (GA 119, S. 91)
In dem Herabneigen zu den niederen Naturreichen findet eine Bewegung statt, die der Mensch mit Michaeli beginnend im Jahr durchmacht, wenn die Erzengel-Regentschaften im Jahreslauf betrachtet werden. Dies ist ein Weg zur Selbsterkenntnis, zur Erkenntnis des eigenen Seins (20 T), ein Weg nach Innen. Dieser Weg führt zum Uranfang, zu Uriel als dem Herrscher des alten Saturn. So wie der Mensch ein Selbst ist, stellt Rudolf Steiner vier Selbste, vier Erzengel als Herrscher über die vier Erd-Inkarnationen, repräsentiert in den vier Naturreichen in den Jahreskreis. Immer schon wurde der Herbst als Tor in die Unterwelt erlebt, als Beginn des Weges in das Seeleninnere, denn hier muss der eigene Tod überwunden werden.
Im Frühling lässt Rudolf Steiner den anderen Weg beginnen. Durch das seelische Miterleben der vier Jahreszeiten konnten die Menschen in die Weisheit der vier Naturreiche — der Welt (33 g) — gewinnen. Heute, so sagt er, ist dies durch das Nacherleben der Erdenevolution möglich. Immer geht es darum, dass durch Miterleben die Welt sich im Innern offenbaren und neu erschaffen kann.
Im Winter im Angesicht des Todes der irdischen Welt konnte die Materie durchsichtig werden für den Menschen. Er konnte sein Ich aufgehen sehen wie die Sonne und damit die Zukunft der ganzen Erdenentwicklung, ihr Sonne-Werden voraussehen. Mit dem Frühling ist also analog zum Herbst das Tor in den Makrokosmos verbunden.