Die Mantren 26 Z und 27 a

 

26 Z Michaeli-Stimmung

Natur, dein müt­ter­lich­es Sein,

Ich trage es in meinem Willenswesen;

Und meines Wil­lens Feuermacht,

Sie stäh­let meines Geistes Triebe,

Dass sie gebären Selbstgefühl,

Zu tra­gen mich in mir.

HERBST

27 a

In meines Wesens Tiefen dringen:

Erregt ein ahnungsvolles Sehnen,

Dass ich mich selb­st­be­tra­ch­t­end finde,

Als Som­mer­son­nengabe, die als Keim

In Herb­stesstim­mung wär­mend lebt

Als mein­er Seele Kräftetrieb.

Musik zum Mantra 26 Z Michaeli-Stimmung — parlando-e-pui-pomposo — komponiert von Herbert Lippmann

Musik zum Mantra 27 a — Herbst-Ricercar — komponiert von Herbert Lippmann

Erzen­gel Michael und die Gottes­mut­ter Maria

Das Mantra 26 Z ist das let­zte Mantra im Som­mer-Hal­b­jahr und durch seine Über­schrift mit dem Erzen­gel Michael ver­bun­den. Das fol­gende Mantra 27 a ist das erste des Win­ter-Hal­b­jahrs. Das Som­mer-Hal­b­jahr kann als männlich ange­se­hen wer­den, weil es laut Rudolf Stein­er die Wahrnehmungs­seite der Seele, das Außen beschreibt, das Win­ter-Hal­b­jahr als weib­lich, weil es die Denk­seite der Seele, ihr Innen the­ma­tisiert. Das christliche Urbild dieser weib­lichen Seite der Seele ist die Gottes­mut­ter Maria – so wie im Erzen­gel Michael die Vol­len­dung der männlichen Seite erblickt wer­den kann. Fol­gende Darstel­lung aus dem Hebräere­van­geli­um beschreibt genau diesen Schritt von Michael zu Maria, den der Gang der Zeit beim Über­gang vom Som­mer- zum Win­ter-Hal­b­jahr vol­lzieht: “Als Chris­tus auf die Erde zu den Men­schen kom­men wollte, erwählte der Vater­gott eine gewaltige Kraft im Him­mel, welche Michael hieß, und ver­traute Chris­tus ihrer Für­sorge an. Und die Kraft kam in die Welt, sie wurde Maria genan­nt, und Chris­tus blieb sieben Monate in ihrem Leibe.” (Zitiert aus: Vergessene Kul­turen im Monte Gargano, Adal­bert von Keyserlingk)

Zwei Per­spek­tiv­en auf den Schritt vom Som­mer- ins Win­ter-Hal­b­jahr — von 26 Z zu 27 a

Die Mantren 26 Z und 27 a weisen kein­er­lei gram­ma­tis­che Entsprechun­gen oder kor­re­spondierende Wörter auf. Sie spiegeln nicht. Jedes Mantra ste­ht für sich alleine da. Das verbindende Ele­ment, das sich durch alle Mantren-Paare des See­lenkalen­ders hin­durch zog, hat aufge­hört zu existieren. Diese bei­den Mantren 26 Z und 27 a sind sozusagen ein­sam. Schon zwis­chen den let­zten bei­den Spiegel­spruch-Paaren (24 X — 29 c und 25 Y — 28 b) wurde das Band jew­eils schwäch­er und nun beste­ht es nicht mehr. Die Mantren 26 Z und 27 a lassen sich gegen­seit­ig frei. Sie sind wie die Köpfe zweier Säulen, die über das Verbindende hin­aus­ra­gen und ihre eigene Per­sön­lichkeit ausdrücken.

Zwei “Bild-Gedanken” fügen sich an diesen Sachver­halt an. Der erste entspricht der schon im Blog-Artikel 25 Y — 28 b entwick­el­ten Idee, dass die zwis­chen den Mantren 26 Z und 27 a zu erken­nende “Lücke” eine Ein­trittsp­forte ist. Was ist es also, was hier in den Jahreskreis ein­tritt? Der andere Gedanke betont das Getren­nt-Sein der bei­den Mantren und stellt die damit ein­herge­hen­den The­men in den Mit­telpunkt: Unter­schei­dungsver­mö­gen, Tren­nung, Opfer, Schuld und Sühne.

Die Lücke als Tor — wer oder was tritt ein?

Die nicht spiegel­nden Sprüche implizieren die Idee ein­er Öff­nung. Doch was gelangt dadurch in den Jahreskreis und verän­dert seine ewige Gle­ich­heit? Dieses Neue kann in der Oster­scholle erblickt wer­den, die durch das bewegliche Oster­fest immer etwas anders im Jahreskreis liegt. Betra­chte ich sie als einen Strö­mungspilz, so muss dieses “geistige Wass­er” irgend­wo herkom­men. Da die Oster­scholle im Früh­ling anbran­det, muss der Impuls von der anderen Seite im Jahreskreis stam­men, vom Herb­st. Betra­chte ich den Jahreskreis als ein Gefäß, so kann das Gefäß sel­ber seine Fül­lung nicht her­vor­brin­gen, sie muss von außen kom­men. Dadurch werde die Mantren 26 Z und 27 a zur Ein­trittsp­forte des Oster-Impuls­es. Er kommt in der obi­gen Jahres-Darstel­lung von oben und kann deshalb als eine über dem Jahreskreis ste­hende höhere Macht ange­se­hen wer­den, Diese aus dem Überzeitlichen kom­mende befruch­t­ende Macht erfüllt, belebt und indi­vid­u­al­isiert das Jahr.

Zwei frühchristliche Darstel­lun­gen aus Irland zeigen Chris­tus, bzw. sein Sym­bol das Kreuz im Kreis, als Spender des Lebenswassers.

Chris­tus: Bronze-Beschlag des Evan­geliars von Athlone

Frühchristlich­er, irisch­er Kreuzstein (Zeich­nung) aus Inishkea im Jahreskreis mit der Oster­scholle als Strömungimpuls

Die Lücke als Tren­nung — die Konsequenzen

Rückt die Eigen­ständigkeit und Unab­hängigkeit der bei­den Mantren in den Blick, wer­den sie Sym­bol für ganz andere Gedankengänge. Auf zwei ver­schiedene “Bilder” will ich einge­hen. Mein Fokus richtet sich zum einen auf das im Herb­st liegende jüdis­che Neu­jahrs- und Ver­söh­nungs­fest, zum anderen auf einen Bischof­sstab mit dop­pel­ter Krümme und der Darstel­lung eines soge­nan­nten Kopfträgers.

Jüdis­che Jahres­lauf-Weisheit — Jom Kip­pur — das Versöhnungsfest

In der jüdis­chen Reli­gion gibt es eigentlich zwei Jahre­san­fänge, denn das Neu­jahrs­fest Rosch ha-Schana find­et zum Beginn des siebten Monats, am 1./2. Tis­chri, d.h. zu Neu­mond statt. Hier wird die Erschaf­fung des Men­schen gefeiert. Als erster Monat gilt jedoch Nis­san im Früh­ling mit dem Pes­sach­fest, das, begin­nend mit dem Voll­mond in diesem Monat eine Woche lang, vom 15. bis 21. Nis­san, gefeiert wird. Dies ist das Erlö­sungs­fest und beruht auf dem Auszug aus Ägypten. Nimmt man die Mond­phase als Sig­natur des Hal­b­jahres, an dessen Beginn die bei­den Feste liegen, so ist das Win­ter-Hal­b­jahr, das mit Rosch ha-Schana, dem Neu­jahrs- und Schöp­fungs­fest des Men­schen begin­nt durch den zunehmenden, jun­gen Mond gekennze­ich­net — durch das sich inkarnierende Leben. Dem Som­mer-Hal­b­jahr prägt der abnehmende, alternde Mond sein Siegel auf, dessen Leben­skräfte sich wieder vergeisti­gen, also aus der Materie erlöst werden.

Am jüdis­chen Neu­jahrs­fest lässt sich also able­sen, welche inneren Vorgänge mit dem Über­gang vom Som­mer- zum Win­ter-Hal­b­jahr ver­bun­den sind. Diese Neuschöp­fung des Lebens zeigt sich in fol­gen­dem Glauben: Nach tal­mud­is­ch­er Über­liefer­ung öffnet Gott am ersten Tag des Jahres drei Büch­er: ein Buch für die ganz schlecht­en Men­schen, ein zweites für die ganz from­men Men­schen und das dritte für die Durch­schnitts­men­schen. Das Schick­sal der ganz schlecht­en und der ganz from­men Men­schen wird sogle­ich entsch­ieden; doch die Durch­schnitts­men­schen wird bis Jom Kip­pur, dem Ver­söh­nungs­fest, eine zehn­tägige Frist gewährt, um ihr Los zu verbessern. Im Gebet “Une­taneh tokef” heißt es: „Am Neu­jahrstag wer­den sie eingeschrieben und am Ver­söh­nungstag besiegelt, wie viele dahin­schei­den sollen und wie viele geboren wer­den, wer leben und wer ster­ben soll, wer zu sein­er Zeit und wer vor sein­er Zeit, wer durch Feuer und wer durch Wass­er, wer durch Schw­ert und wer durch Hunger, wer durch Sturm und wer durch Seuche, wer Ruhe haben wird und wer Unruhe, wer Rast find­et und wer umherir­rt, wer frei von Sor­gen und wer voll Schmerzen, wer hoch und wer niedrig, wer reich und wer arm sein soll. Doch Umkehr, Gebet und Wohltun wen­den das böse Ver­häng­nis ab.“ (Gebet­buch für das Neu­jahrs­fest. S. 108)

Dadurch betra­chte ich Jom Kip­pur als Aus­druck des inneren Gehalts dieses Über­gangs in das neue Hal­b­jahr. Jom Kip­pur, Tag der Sühne, ist der höchst jüdis­che Feiertag. Er wird zehn Tage nach Neu­jahr, am 10. Tag des Monats Tis­chri began­gen und ist ein strenger Ruhe- und Fas­tentag. Im Lev­i­tikus (3. Buch Mose) wird der dop­pelte Jahres­be­ginn im Zusam­men­hang mit Jom Kip­pur nochmals deut­lich: „Am zehn­ten Tage des sieben­ten Monats sollt ihr fas­ten und keine Arbeit tun, wed­er ein Ein­heimis­ch­er noch ein Fremdling unter euch. Denn an diesem Tage geschieht eure Entsüh­nung, dass ihr gere­inigt werdet; von allen euren Sün­den werdet ihr gere­inigt vor dem Her­rn.“ (Lev 16,29–30 LUT, eben­so Lev 23,26–32 LUT und Num 29,7–11 LUT.)

Im Tem­pel in Jerusalem wur­den an diesem Tag beson­dere Opfer darge­bracht und es war der einzige Tag, an dem der Hohe­p­riester – allein und streng abgeschirmt – das Aller­heilig­ste im Tem­pel betreten durfte. Er empf­ing dort stel­lvertre­tend für das Volk die Verge­bung der Sünden.

Es wur­den zwei Tiere geopfert und über zwei Böck­en das Los gewor­fen (Lev 16,5–22 LUT). Der eine Bock mit dem Los „für Gott“ wurde geopfert zur Reini­gung des Tem­pels. Dem anderen Bock mit dem Los „für Asasel“ wur­den alle Sün­den des Volkes Israel vom Hohe­p­riester öffentlich bekan­nt und damit aufge­laden. Was dann geschah, ist unsich­er. Entwed­er wurde das Tier „für Asasel“ getötet, indem es eine Klippe her­abgestürzt wurde oder es wurde in die Wild­nis ent­lassen. Dieser Ziegen­bock ist der Sün­den­bock, ein von Luther geprägter Begriff. “Asasel” mit der göt­tlichen Endung “el”  ist ein seltenes hebräis­ches Neben­wort, das „Ent­las­sung“ oder „gän­zliche Ent­fer­nung“ bedeutet. Laut dem apokryphen Buch Henoch ist Asasel oder Asalsel der Anführer unter den gefal­l­enen Engeln, der die Men­schen die Sünde lehrte. Asasel bedeutet allerd­ings auch Wüste und Wild­nis und deshalb wird alter­na­tiv angenom­men, dass dieser Bock in die Frei­heit ent­lassen wurde.

Wüste, das Wilde, unkul­tivierte ste­ht für mich für die Wahrnehmungs­seite der Seele, für das Som­mer-Hal­b­jahr. Die Wahrnehmungen füt­tern den Ver­stand, der selb­st­süchtige Ideen, also Sün­den her­vor­bringt. Während des Som­mer-Hal­b­jahres hat diese Daseins­form ihre Berech­ti­gung. Doch mit dem jüdis­chen Neu­jahrs­fest begin­nt das Neue mit dem Win­ter-Hal­b­jahr, der Denk-Seite der Seele, ihrem Innen-Sein. Das Denken muss, um nicht ego­is­tisch, son­dern gut zu sein, Gott geopfert wer­den. Das ist der andere Ziegen­bock, der zur Reini­gung des Innen­raumes, des Tem­pels, geopfert wird.

Der duale Charak­ter dieses Festes kommt in zwei weit­eren Noti­zen zum Aus­druck. Zum einen in der Klei­der­vorschrift des Hohe­p­riesters, die besagt, dass er „leinene Bein­klei­der“, also Hosen tra­gen muss (Lev 16,2–4 LUT), zum anderen, dass der Hochzeit­stag als per­sön­lich­er Ver­söh­nungstag ver­standen wird, an dem Braut und Bräutigam fas­ten, ein Sün­den­beken­nt­nis able­gen und dadurch ganz neu anfangen.

Für mich zeigt das Bild des Ziegen­bocks mit seinen oft nach außen gewen­de­ten Hörn­ern diese Geste der Teilung und des Gegen­satzes. Und die Bewe­gung in zwei ent­ge­genge­set­zte Rich­tun­gen ist nur durch ein Opfer, das Opfer ein­er Rich­tung zu über­winden. Um in der Gegen­wart präsent zu leben, muss die Ori­en­tierung an der Ver­gan­gen­heit geopfert wer­den für eine gute Zukunft.

Im Opfer­ritu­al, Kap­parot, das ultra­ortho­doxe Juden prak­tizieren, kommt dieser Opfer-Aspekt beson­ders ursprünglich zum Aus­druck. Am Vortag des Ver­söh­nungstages wird für jede weib­liche Per­son im Haus ein schneeweißes Huhn bzw. für jede männliche ein solch­er Hahn als Süh­neopfer geschlachtet, nach­dem im Gebet dem Tier die per­sön­lichen Sün­den über­tra­gen wur­den. Dreimal wird das Tier lebend über dem Kopf geschwun­gen und dabei dreimal wieder­holt: „Das ist mein Stel­lvertreter. Das ist mein Aus­lös­er. Das ist meine Sühne. Dieses Huhn geht in den Tod, ich aber gehe einem guten Leben und Frieden ent­ge­gen.“ Dann wird das Tier getötet. Es wird nicht sel­ber gegessen, son­dern den Armen zum Verzehr überlassen.

Rudolf Stein­er sagt über Asasel: “Fern­er müssen wir unsere Aufmerk­samkeit richt­en auf alles, was mit der Unwahrhaftigkeit zusam­men­hängt. Wir bege­hen zwar durch unsere Erziehung keine groben Unwahrheit­en, den­noch haben wir stets den Hang, bess­er zu scheinen, als wir im Grunde wirk­lich sind. Oder aber, wenn es uns um Hals und Kra­gen geht, die Wahrheit zu geste­hen, sie lieber zu ver­schweigen und zu ver­schleiern. Dies alles wirkt eben­falls schädi­gend auf das Welt­geschehen und somit auf den Men­schen sel­ber ver­nich­t­end zurück. Die Wirkun­gen solch­er Unwahrhaftigkeit­en wirken auf unseren Astralleib, dann auf unseren Äther­leib, und zwar auf den­jeni­gen Teil, den wir Lichtäther nen­nen. Von hier aus wirken solche schädi­gende Ein­flüsse auf den physis­chen Leib, beson­ders auf das Ner­ven­sys­tem. Diese luz­iferischen Wesen­heit­en, die hier­mit zusam­men­hän­gen, deren Anführer Azazel ist, offen­baren sich dem Hellse­her auch men­schenähn­lich, meis­tens als Kopf mit Raben­flügeln.” (Lit.: GA 266b, S. 130f)

Der Bischof­sstab als Lebensrute

Seit alten Zeit­en ist das Bild der Lebenssäule bekan­nt. Sie wurde häu­fig als Stamm mit zu den Seit­en gebo­ge­nen Ästen dargestellt. Ein spätes Beispiel eines solchen Lebens­baumes ist die Irmin­sul, wie sie auf dem Relief an den Extern­steinen dargestellt ist. Die bei­den “Äste” beto­nen die Polar­ität, von männlich und weib­lich, Wahrnehmung und Denken, aus der alles Leben hervorgeht.

Zeich­nung der aufgerichteten Irmin­sul, Mar­i­anne Klement

Im T‑Stab des heili­gen Anto­nius lebt dieses Sym­bol fort und meint die Selb­stüber­win­dung, damit über dem Quer­balken das Höhere, die Sonne erscheinen kann.

Das obere Ende der meis­ten west­lichen Bischof­sstäbe ist dem ägyp­tis­chen Krumm­stab nachge­bildet. Diese Bischof­sstäbe zeigen einen fast kre­is­för­mi­gen Bogen, die Krümme, und weisen damit auf den Jahreskreis als Ein­heit. Anders ist es bei ortho­dox­en Bischof­sstäben. Der Bischof­sstab des syrisch-ortho­dox­en Patri­archen soll dem Mosesstab ähneln. Er weist zwei, z.T. auch drei Schlangen auf, ein Hin­weis auf das Meis­tern der Zeit. Die Form­sprache der Schlangen nähert sich oft der T‑Form und ähnelt der Irminsul.

Zum Abschluss möchte ich einge­hen auf das Oberteil eines Stabes, ver­mut­lich eines Bischof­sstabes unbekan­nter Herkun­ft. Dieses Kunst­werk stellt das The­ma der bei­den unver­bun­de­nen Mantren 26 Z und 27 a, Tren­nung, Unter­schei­dung und Opfer beson­ders kraftvoll dar. Statt ein­er Run­dung zeigt dieses Staboberteil zwei Krüm­men. Wie bei Bischof­sstäben häu­fig, find­en sich außen Andeu­tun­gen von Blät­tern als Hin­weis auf das neue Leben. Die bei­den Krüm­men beschreiben leicht ein­wick­el­nde Spi­ralen, die die Assozi­a­tion von Hal­b­jahren weck­en — aber als eigene Ganzheit­en. Oben über den sich tren­nen­den Krüm­men ste­ht der heilige Georg den Drachen besiegend. Er wacht über die Teilung. In den bei­den Krüm­men find­et sich eine Opfer­szene. In der linken Krümme ist ein Heiliger zu sehen, der seinen eige­nen Kopf zum Altar trägt, der in der recht­en Krümme ste­ht mit dem wartenden Priester davor. Die Darstel­lung eines soge­nan­nten Kopfträgers ist unter den heili­gen Mär­tyr­ern nicht sel­ten. Sie brin­gen das größte Opfer für Chris­tus, ihren eige­nen Kopf — ihr irdis­ches auf äußer­er Wahrnehmung beruhen­des Denken. Die bei­den bekan­ntesten Beispiele sind der heilige Diony­sius von Paris und Vale­ria von Limoges.

Bischof­sstab des syrisch-ortho­dox­en Patri­archen von Anti­ochia im östlichen Stil mit Schlangen, die den Stab von Moses darstellen

Bischof­sstab unbekan­nter Herkun­ft im Seelenkalender

Über die nicht spiegelnden Sprüche 26 Z und 27 a

Die Mantren 26 Z und 27 a weisen bei­de einen Ich-Sprech­er auf, was bedeutet, dass ihr Inhalt grund­sät­zlich der Selb­st­beobach­tung zugänglich ist. Der Ich-Sprech­er des Michaeli-Mantras 26 Z wen­det sich nach außen, der Ich-Sprech­er des Mantras 27 a nach innen.  Das ganze Michaeli-Mantra ist eine Rede des Ich-Sprech­ers an die Natur. Der Ich-Sprech­er des Mantras 27 a spricht dage­gen mit sich selb­st, er übt Selb­st­be­tra­ch­tung, wie es im Mantra sel­ber heißt.

Der Ich-Sprech­er spricht im Mantra 26 Z die Natur als seine Mut­ter an – und gibt dadurch zu erken­nen, dass er ihr Sohn ist. Jed­er Men­sch gewin­nt den Inhalt für sein Denken aus der Wahrnehmung – aus der Natur. Für sein Bewusst­sein ist sie seine Mut­ter. Rudolf Stein­er beze­ich­net den chaldäis­chen Gott Mar­duk, den wir heute als Erzen­gel Michael ken­nen, als Sohn der Ea, der Weisheit, die in allen Din­gen wal­tet – also als Sohn der Weisheit der Erde. (GA 243, S. 22 ff). So lässt sich ver­ste­hen, warum das Michaeli-Mantra vom müt­ter­lichen Sein der Natur spricht.

Der Ich-Sprech­er im Michaeli-Mantra 26 Z erken­nt das müt­ter­liche Sein der Natur in Bezug zum Men­schen. Er erken­nt, dass der Men­sch von der Natur abhängig ist, denn geistig und kör­per­lich braucht er die Natur. Geistig braucht er sie, weil sie seinem Bewusst­sein Inhalt gibt durch all die Wahrnehmungen. Und kör­per­lich kön­nte er ohne ihre Nahrung, ihre Wärme, ihre Luft, ihr Wass­er und ihren Schutz nicht beste­hen. Ja, sein eigen­er Kör­p­er beste­ht aus den Sub­stanzen der Natur. Der Men­sch ist sel­ber Natur, er lebt in den Rhyth­men der Zeit mit der Erde mit, von ihr und dem Kos­mos getra­gen. Der Men­sch ist Kind der Natur. Sie ist seine Mut­ter, sie hat ihn her­vorge­bracht und hält ihn am Leben. Alles, was mit Stof­fwech­sel zusam­men­hängt, mit Abbau und Auf­bau, ist Natur­prozess. Und dieser Stof­fwech­selpol des Men­schen ist die Grund­lage des Wil­lens. Der Ich-Sprech­er erken­nt, dass er das müt­ter­liche Sein der Natur in seinem Wil­lenswe­sen trägt. So wie die Natur das Leben will, das Leben fördert, so will der Men­sch sein eigenes Leben. Und dieses Leben vol­lzieht sich zwis­chen zwei Polen, zwis­chen “feuri­gen” Ver­bren­nungs- / Abbauprozessen und “wäss­ri­gen” Wach­s­tums- / Auf­bauprozessen. Im Wil­lenswe­sen vere­int sich Zer­störung und Neuschöp­fung. Damit ist der Stof­fwech­sel­prozess mit dem Jahres­lauf, dem Wer­den und Verge­hen in der Zeit, verwandt.

Etwas ganz anderes erlebt der Ich-Sprech­er des Mantras 27 a. Obwohl auch das Wil­lenswe­sen des Mantras 26 Z in der Tiefe, im Unter­be­wussten zu find­en ist, gelangt der Ich-Spreche des Mantras 27 a beim Ein­drin­gen in die Tiefe seines Wesens nicht dor­thin. Er find­et in der Tiefe seines Wesens nichts oder bess­er gesagt nichts Konkretes. Lediglich ein ahnungsvolles Sehnen wird ihm beim Ein­drin­gen in diese Tiefe erregt. Warum? Die Innen­welt ist keine Gegen­standswelt. In der Innen­welt treten die Wesen und Gegen­stände nicht von sel­ber, das heißt ohne innere Aktiv­ität in den Bewusst­sein­sraum, so wie es geschieht, wenn das Bewusst­sein sich nach außen richtet. Der Men­schen ist es gewohnt, den Baum, den Hund, den Stern zu sehen, ihm zu begeg­nen, wenn der Blick, das heißt das Bewusst­sein darauf fällt. Doch in der Innen­welt kommt dem Bewusst­sein zunächst nichts ent­ge­gen. Es bleibt beim Sehnen voller Ahnungen.

Im Mantra 26 Z schließt an den ersten Sachver­halt des müt­ter­lichen Seins im Wil­lenswe­sen ein zweit­er mit “Und” an. Die Feuer­ma­cht des Wil­lens, die das müt­ter­liche Sein der Natur dem Men­schen zu Eigen gegeben hat, die der Men­sch in seinem Wil­lenswe­sen trägt, diese Feuer­ma­cht stählt die Triebe des eige­nen Geistes. Diese Triebe sind das, was den Men­schen aus dem Geist antreibt. Triebe aus dem Geist gehören zum oberen Pol des Men­schen, dem Ner­ven-Sin­nessys­tem. Der Geist tritt hier ins Bewusst­sein des Men­schen ein und äußert sich in Form von Ideen und Ide­alen. Und diese Ideen, Ide­ale und Ziele treiben den Men­schen zu Hand­lun­gen, sie sind seine Geis­testriebe. Sie sind Zukun­ftsvorstel­lun­gen und existieren zunächst nur im Geist, im Zusam­men­wirken von Ich und Astralleib. Wirkt der Wille im Äther­leib, so wird er Trieb. Rudolf Stein­er gibt die vom physis­chen Leib auf­steigende Rei­he fol­gen­der­maßen an: physich­er Leib – Instinkt, Äther­leib – Trieb, Astralleib – Begierde (GA 293, S. 66f). Bei den Geistes Trieben muss es sich jedoch um eine absteigende, von oben kom­mende Meta­mor­phose-Rei­he handeln.

Auf der Stufe des Äther­leibs, also als Trieb des Geistes, begeg­nen die von Ideen, Ide­alen, Zie­len stam­menden Wil­len­sim­pulse den zahllosen Hin­dernissen aus der physis­chen Welt, wozu auch der physis­che Leib mit seinen Befind­lichkeit­en und Beschränkun­gen gehört. Hier ent­bren­nt ein Kampf zwis­chen den Trieben des Geistes und den niederen Trieben. Der Men­sch muss nun entschei­den, welchen Impulsen er fol­gt. Er muss sich selb­st über­winden, seinen Willen ein­set­zen. Diese Feuer­ma­cht des Wil­lens stählt die Geis­testriebe. Sie härtet sie, damit sie stärkere Triebkräfte entwick­eln als die niederen Triebe.

Im Mantra 27 a wird nun gesagt, was das Ziel des ahnungsvollen Sehnens ist, wonach sich der Ich-Sprech­er sehnt. Er dringt in die Tiefe seines Wesens, um sich durch Selb­st­be­tra­ch­tung zu find­en – und zwar nicht irgend­wie, son­dern als Som­mer­son­nengabe. Der Ich-Sprech­er sehnt sich also danach, sich sel­ber zu erken­nen, nicht wie er jet­zt ist, son­dern wie er gedacht ist — als Gabe der Som­mer­son­ne, als ihr Geschenk. Der Ich-Sprech­er ahnt voller Sehn­sucht, dass in der Tiefe seines Wesens sein eigenes Sonne-Sein ver­bor­gen ist und diese Son­nen­natur hat er von der Som­mer­son­ne erhal­ten. Die Sonne in ihrer größten Kraft, als Som­mer­son­ne, hat dem Men­schen von ihrem eige­nen Wesen geschenkt. Der Men­sch kann in der Tiefe seines Wesens sich sel­ber als Sonne erken­nen. Selb­st­be­tra­ch­tung, Selb­sterken­nt­nis zeigt, dass das Bewusst­seinslicht vom Men­schen ausstrahlt wie das äußere Licht von der Sonne. Doch die Sonne im Men­schen ist noch Keim. Sie ist noch keine Som­mer­son­ne, die hoch am Him­mel ste­ht. Sie ist noch unter dem Hor­i­zont oder ger­ade im Begriff aufzuge­hen. Diesen winzi­gen Son­nenkeim erken­nt der Ich-Sprech­er als die in sein­er Seele lebende, sie wär­mende und in Bewe­gung brin­gende, sie antreibende Kraft – als den Kräftetrieb sein­er Seele. Erstaunlicher­weise lebt dieser Son­nen-Keim in Herb­stesstim­mung in der Seele. Er lebt in ein­er ernüchtern­den, sich auf das Wesentliche konzen­tri­eren­den Stim­mung – nicht in ein­er über­schwänglichen, schwärmerischen.

Nun fol­gt auch im Mantra 26 Z das Ziel, warum die Feuer­ma­cht des Wil­lens die Triebe des Geistes stählt. Sie sollen Selb­st­ge­fühl gebären. Durch die Erfahrung der Selb­stüber­win­dung entste­ht das Erleben der Selb­st­wirk­samkeit. Das Fühlen der eige­nen Macht über sich selb­st bringt das Selb­st­ge­fühl her­vor. Schon in der Selb­stüber­win­dung ste­ht der Men­sch sich selb­st gegenüber. Schon hier ist er als Zwei­heit vorhan­den. Auch beim Selb­st­ge­fühl ist dies der Fall. Gewöhn­lich fühlt man das Andere, das man nicht ist – einen Gegen­stand oder eine Emo­tion. Doch beim Selb­st­ge­fühl fühlt der Men­sch sich selb­st. So ist es auch ver­ständlich, dass das let­z­tendliche Ziel der Geburt des Selb­st­ge­fühls ist, sich in sich sel­ber zu tra­gen. Der Geist im Ich-Sprech­er, der ihn treibt, diesen Geist fühlt er im Selb­st­ge­fühl und diesen Geist trägt er nun bewusst in sich selbst.

Inhaltliche Verbindun­gen der bei­den Mantren

Ich habe den Ein­druck, dass die Mantren trotz aller Eigen­ständigkeit in ein­er Beziehung ste­hen. Diese Beziehung ist keine par­al­lele, wie die Spiegelung, son­dern scheint mir zu kreuzen, wie die Verbindungsstriche der Abbil­dung zeigen.

Das müt­ter­liche Sein der Natur (26 Z), das sich in das Wil­lenswe­sen des Ich-Sprech­ers hineingeschenkt hat, erscheint in der Seele als ihr Kräftetrieb (27 a) der wär­mend leben­der Keim ist – und eine Gabe der Som­mer­son­ne, also der Natur.

Das ahnungsvoll erregte Sehnen (27 a) beim Ein­drin­gen in die Tiefen des eige­nen Wesens hängt zusam­men mit dem gebore­nen Selb­st­ge­fühl (26 Z). Das Sehnen fühlt, dass es im Innern etwas zu find­en gibt, denn dort trage ich mich in mir.

Sowohl die bei­den ersten, als auch die bei­den let­zten Zeilen bei­der Mantren sprechen von dualen Zusammenhängen:

26 Z:  Natur – Ich

Ich trage mich — in mir

27 a:   Ich — dringe in die Tiefe meines Wesens

Seele — Kräftetrieb

Die jew­eils mit­tleren bei­den Zeilen tun dies for­mal auch, ich empfinde sie trotz­dem eher als Aus­sage ein­er Ganzheit. Die Feuer­ma­cht des eige­nen Wil­lens (26 Z) find­et ihre Entsprechung in der Som­mer­son­ne (27 a), die sich ver­schenkt. Das sich find­en in der Selb­st­be­tra­ch­tung (27 a) als Gabe der Som­mer­son­ne — als Son­nengeist, set­zt voraus, dass die Triebe des eige­nen Geistes gestählt (26 Z) wur­den, sodass sie der Real­ität standhalten.

Ergänzung: Mar­duk und Istar als Wächter der bei­den Einweihungswege

So wie Michael und Maria aus dem Hebräere­van­geli­um den Anfang bilde­ten, soll am Schluss ste­hen, was Rudolf Stein­er über Mar­duk und Istar sagt: „Der­jenige, der im alten Chaldäer­tume eingewei­ht wurde, der machte zwei Erleb­nisse durch, und man sorgte dafür, daß er diese zwei Erleb­nisse möglichst so machte, daß sie zusam­men­fie­len, daß er also den Weg betrat nach außen in die geistige Welt hinein und nach innen in die geistige Welt hinein, so daß er wenig­stens ein Gefühl erhielt von einem gemein­schaftlichen Weben und Leben des Geisti­gen draußen und drin­nen. Und dann erlebte er auf dem Wege nach innen die Begeg­nung mit

jen­em geisti­gen Wesen, das man inner­halb des Chaldäer­tums Istar nan­nte und von dem man wußte, daß es zu den wohltäti­gen Mond­got­theit­en gehörte. Istar stand da an der Schwelle, die son­st den Men­schen ver­schließt, was hin­ter dem See­len­leben an Geistigkeit ste­ht. Und auf der anderen Seite, wo man das Tor find­et in die geistige Welt durch den Tep­pich der äußeren Sinneswelt, da stand der andere Hüter: Mero­dach oder Mar­duk. Mero­dach, er stand mit Istar da. Mero­dach, den wir mit dem Hüter der Schwelle, mit dem Michael ver­gle­ichen kön­nen, Mero­dach und Istar waren es, welche das Innere der Seele hellse­hend macht­en und den Men­schen nach den bei­den Seit­en hin in die geistige Welt ein­führten.“ (GA 113, S. 170f)