Der Seelenkalender als Erkenntniswerkzeug

… um auch andere Man­i­fes­ta­tio­nen alter Weisheit zu ver­ste­hen. Kann der See­lenkalen­der und damit der Jahres­lauf als Quelle zeit­los­er Weisheit gele­sen wer­den? War dies möglicher­weise eine der Inten­tio­nen von Rudolf Stein­er, als er den See­lenkalen­der veröffentlichte?

Noch ein­mal zusam­menge­fasst: Die 52 Sprüche des See­lenkalen­ders von Rudolf Stein­er sind, das einzige Ergeb­nis der Stiftung für theosophis­che (anthro­posophis­che) Art und Kun­st, denn diese Stiftung scheit­erte (siehe Vir­ginia Sease, Rudolf Stein­ers Ver­such ein­er Stiftung für theosophis­che Art und Kun­st 15. Dezem­ber 1911, 2012). Wie oben dargestellt, war der See­lenkalen­der möglicher­weise als Grund­lage gedacht, um die Auf­gabe des einen Zweiges der Stiftung ver­fol­gen zu kön­nen. Rudolf Stein­er äußert sich in der Stiftungsansprache so: „Dieser winzig kleine Kreis [von Men­schen, A.F.] ist zunächst so beschaf­fen, dass mit ihm ein Anfang gemacht wer­den soll für diese Stiftung, um in einem gewis­sen Sinne das­jenige, was unsere geistige Strö­mung ist, von mir sel­ber abzulösen und ihr einen eige­nen, in sich selb­st begrün­de­ten Bestand (Sub­stanz) zu geben, einen in sich selb­st begrün­de­ten Bestand!“ (Vir­ginia Sease, Rudolf Stein­ers Ver­such ein­er Stiftung für Theosophis­che Art und Kun­st 15, Dezem­ber 1911, Eine Betra­ch­tung nach 100 Jahren, Dor­nach 2012, S. 114; aus GA 264, Her­vorhe­bung A.F.).

Die geistige Strö­mung der Theoso­phie (später Anthro­poso­phie) sollte durch die Arbeit dieses Zweiges auf eigene Beine gestellt wer­den. Das bedeutet, die Men­schen soll­ten befähigt wer­den, sel­ber zu forschen, denn nur so kann eine Unab­hängigkeit von Rudolf Stein­ers Aus­sagen erre­icht wer­den. Es kön­nte also sein, dass der See­lenkalen­der neben allem anderen auch ein Forschungswerkzeug ist, eine Art Bildge­bungsver­fahren für geistige Zusam­men­hänge. Die Struk­turen, die den 52 Sprüchen eingeschrieben sind, kön­nen gele­sen wer­den. Dies sind zum Beispiel geometrische For­men wie das Licht- und Krisenkreuz. Diese Sym­bole kön­nen medi­tiert werden.

 

Rosenkreuzer-Praxis

Das Medi­tieren von Sym­bol­en wurde bekan­nter­maßen ganz beson­ders von den Rosenkreuzern geübt. Der Rosenkreuzer Schu­lungsweg, der sich auf das reine, sinnlichkeits­freie Denken stützt, ist ein­er von drei möglichen Wegen in die Geistige Welt. Die anderen bei­den Wege sind der Yoga Schu­lungsweg, der ganz beson­ders die Wil­len­skraft übt und der Christliche Schu­lungsweg, der das Gefühl entwick­elt. Welche Bedeu­tung Rudolf Stein­er dieser anschauen­den Denk-Schu­lung beimaß und welch­es Ziel mit ihr auch heute noch ver­bun­den ist, geht aus fol­gen­der Aus­sage her­vor: „Wir sind Rosenkreuzer des 20. Jahrhun­derts! Es kommt uns gar nicht auf etwas anderes an, als an jene Prinzip­i­en, die das Rosenkreuzer­tum gehabt hat, anzuknüpfen, sie nutzbar zu machen im theosophis­chen (anthro­posophis­chen) Fortschritt … All unser Streben geht dahin, das zu ver­ste­hen, was so ein­fach klingt: das Herz zu öff­nen für die geistige Welt, die immer um uns ist; ein solch­es Wort zu ver­ste­hen, wie der Chris­tus Jesus es gesprochen hat: Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (GA 284, S. 1558f). — Zweifel­los begleit­et der Zeit­en­lauf als Jahres­lauf mit seinen Rhyth­men die Men­schheit seit Urzeit­en und wird sie begleit­en bis ans Ende dessen, was wir unsere Welt nen­nen -. „Und so wer­den wir find­en, dass in innigem Zusam­men­hang mit dem, was in dem Jahres­lauf so lebt wie in einem Men­schen die Atemzüge, etwas Geistiges lebt, das der Men­schenseele ange­hört, das die Men­schenseele sel­ber ist: dass dem Jahres­laufe in seinen Geheimnis­sen das Chris­tus-Wesen, das durch das Mys­teri­um von Gol­gatha gegan­gen ist, ange­hört“ (GA 175, 13.3.1917).

Der Gedanke, die Struk­turen des See­lenkalen­ders zu suchen, um durch sie in Beziehung zu treten zur geisti­gen Welt, klingt zunächst fremd. Doch in Bezug auf architek­tonis­che For­men äußerte Rudolf Stein­er fol­gen­des: „Es gibt Wesen­heit­en, die diese For­men wirk­lich haben in der ätherischen Welt; und indem wir eine dieser Fig­uren anschauen, richtet sich unser Äther­leib so ein, dass er in seinen eige­nen Bewe­gun­gen For­men nach den Lin­ien selb­st bildet, das heißt eine Gedanken­form erzeugt, die nun von ihm aus­ge­ht; und je nach der Gedanken­form wird unser ätherisch­er Leib imstande sein, mit der einen oder anderen Art von Wesen­heit­en sich in eine reale Verbindung zu set­zen. Diese Fig­uren sind die Mit­tler, durch die wir ver­an­lasst wer­den, in uns selb­st die Gedanken­for­men, das heißt die Bewe­gungs­for­men in unserem Äther­leib, zu bilden“ (GA 284, S. 151). Daraus wird deut­lich, was für Schätze eine Vielfalt an Struk­turen birgt und welche Möglichkeit­en mit diesen ver­bun­den sind.

Nun ist es vielle­icht ein etwas zu hoher Anspruch, den geisti­gen Wesen gle­ich direkt begeg­nen zu wollen. Ein­fach­er ist es nachzu­vol­lziehen, durch welche Sym­bole und Bilder frühere Zeit­en geistig Wirk­sames aus­drück­ten. Kön­nen alte Kunst­werke durch die Struk­turen im See­lenkalen­der neu ver­standen werden?

 

Jahreslauf-Weisheit früher und heute

Was Rudolf Stein­er im Fol­gen­den über die Möglichkeit­en der Druiden sagt, wird auch für andere entsprechend eingewei­hte Men­schen ander­er Zeiträume und Welt­ge­gen­den auf ihre Art wahrnehm­bar gewe­sen sein. “Diese Druiden­weisheit war tat­säch­lich ein unbe­wusster Nachk­lang, etwas wie eine unbe­wusste Erin­nerung an alles das, was die Erde von Sonne und Mond her hat­te, bevor sich Sonne und Mond von der Erde getren­nt hat­ten. Die Ini­ti­a­tion in den Druiden­mys­te­rien war im Wesentlichen eine Son­nenini­ti­a­tion, ver­bun­den mit dem, was dann Mon­den­weisheit durch die Son­nenini­ti­a­tion wer­den kon­nte. …. [Die Krom­lechs waren] im Wesentlichen darauf berech­net …, in ein­er geisti­gen Art das Ver­hält­nis von Erde und Sonne zu betra­cht­en. Wenn wir auf die einzel­nen Dol­men hin­schauen, dann find­en wir ja, dass in ihnen eigentlich etwas wie Instru­mente vorhan­den sind, durch welche die äußeren physis­chen Son­nen­wirkun­gen aus­geschlossen sind, so dass der mit der Sehergabe begabte Ini­ti­at das­jenige, was dann von Son­nen­wirkun­gen im dun­klen Raume bleibt, eben beobacht­en kann. Die inneren Qual­itäten des Son­nen­haften, wie sie die Erde durch­drin­gen, und wie sie wiederum von der Erde rück­strahlen in den Wel­tenraum, das hat der Druiden­priester beobachtet durch die einzel­nen Krom­lechs. Also, ich möchte sagen: Das physis­che Wesen des Son­nen­licht­es war abge­hal­ten. Ein dun­kler Raum, … war geschaf­fen durch die in die Erde gefügten Steine, die oben von einem Deck­stein gedeckt waren, und in diesem dun­klen Raum, durch die Kraft des Durch­schauens der Steine, war es eben möglich, das Geistig-Wesen­hafte des Son­nen­licht­es zu beobachten.

So dass sich also eigentlich der Druiden­priester, vor seinem Kul­taltare ste­hend, mit den inneren Qual­itäten des Son­nen­haften beschäftigte, sofern er das brauchte, was da in ihn weisheitsvoll ein­strömte — aber so ein­strömte, dass die Weisheit noch wie eine Naturkraft war — , sofern er das brauchte, um seine Gemeinde zu regieren.” (Rudolf Stein­er, GA 228, S. 106, Anthrowiki.at, Druide) Weit­er führt Rudolf Stein­er aus, dass das ganze prak­tis­che, soziale und kul­turelle Leben der Gemein­schaft nach diesen Erken­nt­nis­sen geregelt wurde.

Um die Weisheit aus dem Geisti­gen des Son­nen­licht­es zu lesen, ist ein Urbild des Jahres­laufes nötig, so wie auch der Men­sch nur erkan­nt wer­den kann, wenn das dahin­ter­ste­hende Urbild mitgedacht wird. Eine solche urbildliche Zeit­en­strom-Weisheit des Jahres­laufes, mag es ursprünglich für die ganze Erde gegeben haben. Struk­turen, die im See­lenkalen­der auftreten, sind möglicher­weise der heute zeit­gemäße Aus­druck dieser ehe­mals geheimen Weisheit aus grauer Vorzeit.

Alle Kunst­werke des Alter­tums sind Aus­druck heili­gen Wis­sens. Möglicher­weise war dieses Wis­sen eben diese Zeit­en­strom-Weisheit des Jahres­laufes. Möglicher­weise entstam­men die ural­ten Sym­bole der Men­schheit einem solchen Jahres­lauf-Bild. Wenn man das für möglich hal­ten kann, erschließen die Struk­turen des See­lenkalen­ders immer neue Aspek­te dieser Weisheit und ermöglichen gle­ichzeit­ig ein neues, tief­eres Ver­ständ­nis alter Kunst­werke. Einige Beispiele sollen diesen ungewöhn­lichen und vielle­icht befremdlich erscheinen­den Gedanken ver­an­schaulichen. Hier­für ver­wende ich den See­lenkalen­der der Erstaus­gabe von 1912/13. Die Gründe hier­für sind aus­führlich oben besprochen.