3 C
Es spricht zum Weltenall,
Sich selbst vergessend
Und seines Urstands eingedenk,
Des Menschen wachsend Ich:
In dir, befreiend mich
Aus meiner Eigenheiten Fessel,
Ergründe ich mein echtes Wesen.
Das Weltenall ist im Mantra Gesprächspartner
Rudolf Steiner verdeutlicht den Zusammenhang des Menschen mit dem Weltenall durch einen Vergleich: “Ich habe gesagt: Ein menschlicher Finger ist ein menschlicher Finger aber nur, solange er in Verknüpfung ist mit dem menschlichen Leibe. In dem Augenblick, wo wir ihn abschneiden, verdorrt er. — Geradeso wie der Finger, … zu unserem Leibe steht, so steht der Mensch zu der ganzen Erde, ja zu unserem ganzen Planetensystem. Wenn Sie den Menschen wegheben würden von der Erde und von dem ganzen Planetensystem, er würde verdorren, er würde absterben wie der Finger, wenn man ihn weghebt von dem menschlichen Leib. Es handelt sich darum, daß man allmählich im menschlichen Leben dazu aufrückt, von der Wahrnehmung des Teiles zu der Wahrnehmung eines größeren Ganzen zu kommen. Der Mensch, so wie er sich selbst betrachten kann, ist wirklich eine Teilwesenheit, insofern er ein physischer Organismus ist und auch insofern er ein Ätherleib ist. Er wird nur als ein Organismus betrachtet, wenn er im Zusammenhang mit der Erde und sogar mit dem ganzen Planetensystem ist. Wenn man aber das ganz lebendig in sein Bewußtsein aufnimmt, so weiß man sich als zugehörig mehr zu der Welt als zu der bloßen Erde, denn die Erde hat ihre Kräfte vom Weltenall, und indem wir zuerst nur abhängig sind von der Erde, gehen wir allmählich über zu der Abhängigkeit von dem Weltenall.” (GA 191, S. 50, Hervorhebungen A.F.)
„Durch das Denken wird der Mensch über das Eigenleben hinausgeführt Er erwirbt sich etwas, das über seine Seele hinausreicht. Es ist für ihn eine selbstverständliche Überzeugung, daß die Denkgesetze in Übereinstimmung mit der Weltordnung sind. Er betrachtet sich deshalb als ein Einheimischer in der Welt, weil diese Übereinstimmung besteht. Diese Übereinstimmung ist eine der gewichtigen Tatsachen, durch die der Mensch seine eigene Wesenheit kennenlernt. In seiner Seele sucht der Mensch nach Wahrheit; und durch diese Wahrheit spricht sich nicht allein die Seele, sondern sprechen sich die Dinge der Welt aus. Was durch das Denken als Wahrheit erkannt wird, hat eine selbständige Bedeutung, die sich auf die Dinge der Welt bezieht, nicht bloß auf die eigene Seele.“ (Lit.: GA 9, S. 44)”
Wahrnehmung
Rudolf Steiner beschreibt den Vorgang der Wahrnehmung ganz anders, als es gewöhnlich gedacht wird: „Wie kommt eigentlich die äußere Wahrnehmung zustande? Nun, nicht wahr, da denken die Menschen gewöhnlich — besonders Menschen, die sich sehr gescheit dünken — , daß die äußere Wahrnehmung dadurch zustande kommt, daß die Dinge draußen sind, der Mensch in seiner Haut steckt, daß die äußeren Dinge einen Eindruck auf ihn machen, und daß dadurch sein Gehirn ein Bild der äußeren Objekte und Formen in seinem Innern erzeugt. Nun, es ist ganz und gar nicht so, sondern es verhält sich ganz anders. In Wahrheit ist der Mensch gar nicht drinnen innerhalb seiner Haut [mit seinem Geistig-Seelischen]; das ist er gar nicht. Wenn der Mensch zum Beispiel dieses Rosen-Bukettchen [diesen Rosenstrauß] sieht, so ist er mit seinem Ich und Astralleib in der Tat da drinnen in dem Bukettchen, und sein Organismus ist ein Spiegelungsapparat und spiegelt ihm die Dinge zurück. Sie sind in Wahrheit immer ausgebreitet über den Horizont, den Sie überschauen. Und im Wachbewußtsein stecken Sie eben mit einem wesentlichen Teil Ihres Ich und Astralleibes auch im physischen und ätherischen Leibe drinnen. Der Vorgang ist nun wirklich so …: Denken Sie sich, sie gingen in einem Zimmer herum, in dem eine Anzahl von Spiegeln an den Wänden angebracht wären. Sie können durch den Raum gehen. Wo Sie keinen Spiegel haben, sehen Sie sich selber nicht. Sobald Sie aber an einen Spiegel kommen, sehen Sie sich. Kommt eine Stelle ohne Spiegel, sehen Sie sich nicht, und wenn wieder ein Spiegel da ist, sehen Sie sich wieder. So ist es auch mit dem menschlichen Organismus. Er ist nicht der Erzeuger der Dinge, die wir in der Seele erleben, er ist nur der Spiegelungsapparat. Die Seele ist beisammen mit den Dingen da draußen, zum Beispiel hier mit diesem Rosen-Bukettchen. Daß die Seele das Bukettchen bewußt sieht, hängt davon ab, daß das Auge in Verbindung mit dem Gehirnapparat der Seele das zurückspiegelt, womit die Seele zusammenlebt. Und in der Nacht nimmt der Mensch nicht wahr, weil er, wenn er schläft, Ich und Astralleib aus seinem physischen und ätherischen Leib herauszieht, und diese dadurch aufhören, ein Spiegelungsapparat zu sein. Das Einschlafen ist so, als ob Sie einen Spiegel, den Sie vor sich hatten, wegnehmen. Solange Sie in den Spiegel hineinsehen können, haben Sie Ihr eigenes Antlitz vor sich; nehmen Sie den Spiegel weg, flugs ist nichts mehr da von Ihrem Antlitz.
So ist der Mensch in der Tat mit dem seelisch-geistigen Wesen in dem Teil der Welt, den er überschaut, und er sieht ihn dadurch bewußt, daß ihn sein Organismus spiegelt. Und in der Nacht wird dieser Spiegelungsapparat weggezogen, da sieht er nichts mehr. Der Teil der Welt, den wir sehen, der sind wir selbst.
Das ist eines der schlimmsten Stücke der Maja, daß der Mensch glaubt, er stecke mit seinem Geistig-Seelischen in seiner Haut. Das tut er nicht. In Wirklichkeit steckt er in den Dingen, die er sieht. Wenn ich einem Menschen gegenüberstehe, so stecke ich in ihm drinnen mit meinem Ich und Astralleib. Würde ich nicht meinen Organismus ihm entgegenhalten, so würde ich ihn nicht sehen. Daß ich ihn sehe, daran ist mein Organismus schuld, aber mit meinem Ich und Astralleib stecke ich in ihm drinnen. Daß man das nicht so ansieht, das gehört eben zu den, ich möchte sagen, verhängnisvollsten Dingen der Maja. So verschaffen wir uns eine Art Begriff, wie das Wahrnehmen und das Erleben auf dem physischen Plan ist.“ (Lit.: GA 156, S. 22f)
Das Ich
Über das Ich, das im Mantra 3 C spricht, sagt Rudolf Steiner: „Nun glaubt eine vorurteilsvolle Psychologie, Seelenlehre, daß dieses Ich eigentlich im Menschen drinnensitzt; da, wo seine Muskeln sind, sein Fleisch ist, seine Knochen sind und so weiter, da sei auch das Ich drinnen. Wenn man das Leben nur ein wenig überschauen würde, so würde man sehr bald wahrnehmen, daß es nicht so ist. … Dieses Ich liegt eigentlich in jeder Wahrnehmung, das liegt eigentlich in alldem, was Eindruck auf uns macht. Nicht dadrinnen in meinem Fleische und in meinen Knochen liegt das Ich, sondern in demjenigen, was ich durch meine Augen wahrnehmen kann. Wenn Sie irgendwo eine rote Blume sehen: in Ihrem Ich, in Ihrem ganzen Erleben, das Sie ja haben, indem Sie an das Rot hingegeben sind, können Sie ja das Rot von der Blume nicht trennen. Mit alldem haben Sie ja zugleich das Ich gegeben, das Ich ist ja verbunden mit Ihrem Seeleninhalt. Aber Ihr Seeleninhalt, der ist doch nicht in Ihren Knochen! Ihren Seeleninhalt, den breiten Sie doch aus im ganzen Raume. Also dieses Ich, das ist noch weniger als die Luft in Ihnen, die Sie eben einatmen, noch weniger als die Luft, die vorher in Ihnen war. Dieses Ich ist ja verbunden mit jeder Wahrnehmung und mit alldem, was eigentlich im Grunde genommen außer Ihnen ist. Es betätigt sich nur im Inneren, weil es aus dem Wahrnehmen die Kräfte hineinschickt.“ (Lit.: GA 205, S. 219f)
Was sagt mir das?
Das Ich des Menschen spricht in diesem Mantra zum Weltenall. Das Ich wird hier als ein wachsendes beschrieben, später erfahren wir, dass es durch seine Eigenheiten gefesselt ist. Dieses Ich hat seine eigentliche Größe, seine erwachsene Form und seine Freiheit noch nicht erreicht. Sicher kann es als das noch im Egoismus gefangene Ich angesprochen werden.
Der Gesprächspartner, den das Ich direkt anspricht, ist das Weltenall. Das Weltenall, das Alles der Welt, ist die Gesamtheit der sinnlichen Welt, die sich uns durch die Wahrnehmung mitteilt sowohl in ihren räumlichen als auch zeitlichen Aspekten. Das Weltenall beinhaltet all die Weisheit, die zu seiner Entstehung und Fortexistenz nötig ist. Gleichzeitig ist dieses Weltenall wesenhaftes Gegenüber und trägt das wachsende Ich in sich. Deutlich wird dies durch die Rede des Ichs: “In dir … ergründe ich mein echtes Wesen.” Das Weltenall geht schwanger mit dem in ihm heranwachsenden Kind, dem Ich des Menschen. Das Weltenall ist seine Mutter. Zu ihr spricht das Ich.
Das noch im Wachstum begriffene Ich steht dieser Außenwelt gegenüber, unterscheidet sich von ihr und tritt in Interaktion. Es spricht zum Weltenall. Nun geschieht ein doppeltes: Während das Ich zum Weltenall spricht, vergisst es sich selber. Das ist das erste. Der Vorgang der Wahrnehmung wirkt hier. Während wir wahrnehmen, schlafen wir für uns selber ein. Wir sind ganz im Außen, ganz erfüllt mit dem Wahrnehmungsinhalt und vergessen uns. Rudolf Steiner beschreibt an anderer Stelle, dass unser Bewusstsein für uns selber einschläft, wenn wir wahrnehmen. In dem Moment wissen wir nichts mehr von uns. Erst wenn wir beginnen das Wahrgenommene zu verarbeiten, Begriffe zu bilden, Urteile zu fällen, uns innerlich gegenüberstellen, dann erleben wir uns selbst wieder.
Gleichzeitig geschieht noch etwas. Das Ich ist seines Urstands, seines Urzustands eingedenk. Es macht sich bewusst, dass es im Urzustand Eins war mit allem Sein. Wird uns dies bewusst im Wahrnehmen? Machen wir uns bewusst, dass der Urzustand unseres Ichs die Einheit ist? Können wir so wahrnehmen, uns so bedingungslos hingeben, dass uns die Wahrnehmung unseren Urzustand wieder zum Bewusstsein bringt?
Nachdem im ersten Teil des Mantras der Sachverhalt beschrieben wurde, erfahren wir nun durch die an das Weltenall gerichteten Worte des Ichs sein Erleben. Hier schildert das Ich, wie es die Wahrnehmung als Befreiung erlebt. Vom Weltenall umgeben kann sich das Ich von der Fessel seiner Eigenheiten befreien. Ohne das Weltenall, ohne die Wahrnehmungswelt wäre das Ich Eingeschlossen in sich selber. Das ist kaum vorstellbar, sosehr sind wir es gewohnt, eine wahrnehmbare Umwelt zu haben. Doch auch mit dieser fühlen wir uns getrennt von der Welt, in der Dualität gefangen. Das ist unsere Eigenheit, die uns fesselt, uns klein und begrenzt hält. Sehe ich den Berg in der Ferne, bin ich mit meinen Augen dort. Indem ich den Berg erinnere, habe ich ihn in mich hineingenommen. Rudolf Steiner sagt oben sogar, dass der Mensch mit seinem seelisch geistigen Wesen, mit seinem Ich und Astralleib in dem Teil der Welt ist, den er überschaut. So betrachtet ist das Ich viel größer und nicht auf den Körper begrenzt. Für die Befreiung von der Fessel der Eigenheiten ist im Mantra die Verlaufsform gewählt. Die vollständige Befreiung des Ichs liegt noch in der Zukunft. Das vollständig befreite Ich kann ich als das wahre Ich ansehen.
Nun folgt auch hier im Spruch ein zweiter Schritt. Im Erlebnis des Eins-Werdens mit der Wahrnehmung kann das Ich sein echtes Wesen ergründen. Es gehört zum Ich, dass es die Welt in sich aufnimmt. Der Umkreis wird nach innen genommen, wird Zentrum. Das Wahrgenommene lebt im Innern des Menschen weiter in seinen Erinnerungen, die sich als gedankliche Bilder in seinem Bewusstsein zeigen. Das echte Wesen des Ichs ist es, in Einheit zu sein mit allem Sein und gleichzeitig ein individuelles Fühlen zu haben. Jeder hat andere Erinnerungen, auch wenn dasselbe erlebt wurde. Das echte Wesen des Ichs ist ein Schwingen zwischen den Zuständen des Außer-sich-Seins wie in der Wahrnehmung und des In-sich-Seins, der Exkarnation und der Inkarnation. Mit dem als Umkreis des Ichs gedachten Weltenall ergibt sich das Bild von Umkreis und Mittelpunkt. Im ausstrahlenden Fühlen, das auf die Wahrnehmungswelt trifft, weitet sich das Ich, wird zu seinem Horizontkreis, zum Weltenall der Wahrnehmung. Im nach Innen nehmen der Wahrnehmungen und ihrer Konzentration zu Erinnerungen, Begriffen, Ideen zieht sich das Ich wieder zum Punkt zusammen und wird gewissermaßen das Gegenteil vom Raum. Im Wechsel dieser zwei Zustande wird sich das Ich seines echten Wesens bewusst, das im Bild des Sonnensymbols erscheint.
Erlebe ich eigentlich, dass ich wahrnehmend mit dem Weltenall spreche? Erlebe ich mich dabei tatsächlich als sprechend? Eher weniger, ist Wahrnehmung doch ein Aufnehmen, ein Empfangen — im besten Fall ein lauschendes Zuhören. Doch liegt die Zukunft nicht im Lauschen, sondern im Sprechen -, auch wenn es gegenwärtig noch sehr unbeholfen sein mag. Im Mantra, das Rudolf Steiner seiner Frau zugedacht hat, wird dieser Umschwung deutlich. Die Sterne stehen hier für das Weltenall.
FÜR MARIE STEINER
Sterne sprachen einst zu Menschen,
Ihr Verstummen ist Weltenschicksal;
Des Verstummens Wahrnehmung
Kann Leid sein des Erdenmenschen;
In der stummen Stille aber reift,
Was Menschen sprechen zu Sternen;
Ihres Sprechens Wahrnehmung
Kann Kraft werden des Geistesmenschen.
(GA 40 S. 143)