5 E
Im Lichte, das aus Geistestiefen
Im Raume fruchtbar webend
Der Götter Schaffen offenbart:
In ihm erscheint der Seele Wesen
Geweitet zu dem Weltensein
Und auferstanden
Aus enger Selbstheit Innenmacht.
Persephone und das Weben in der Natur
Rudolf Steiner sagt: „… bis ins 7., 8. Jahrhundert, … war es so, daß Menschen, zunächst nicht unterrichtlich, aber durch eine auf das Geistige hin gerichtete Erziehung im Körperlichen und im Geistigen, vorbereitet wurden auf den Moment, wo sie das leise Hinschauen auf die Geistigkeit haben konnten, die in der Menschenumgebung auf Erden sich offenbaren kann. Dann richtete sich ihr Blick hinaus auf die Reiche des Mineralischen, des Pflanzlichen, und alles das, was im tierischen, im menschlichen Reiche lebt. Und dann sahen sie aurisch aufsprießen und wiederum befruchtet werden aus dem Kosmos die geistig-elementaren Wesenheiten, die in allem Natürlichen lebten.
Und dann vor allen Dingen erschien ihnen — wie ein Wesen, das sie ansprachen wie einen anderen Menschen, nur eben wie ein Wesen höherer Art — die «Göttin Natura». Es war das diejenige Göttin, die sie, ich kann nicht sagen leibhaftig, aber seelenhaftig in vollem Glanze vor sich sahen. Man sprach nicht von abstrakten Naturgesetzen, man sprach von der in der Natur überall schöpferischen Kraft der Göttin Natura.
Sie war die Metamorphose der alten Proserpina. Sie war jene schaffende Göttin, mit der sich in einer gewissen Weise derjenige verband, der nach Erkenntnis suchen sollte, die ihm erschien aus jedem Mineral, aus jeder Pflanze, aus jedem Getier, erschien aus den Wolken, erschien aus den Bergen, erschien aus den Quellen. Von dieser Göttin, die abwechselnd in Winter und Sommer oberirdisch und unterirdisch schafft, von dieser Göttin empfanden sie: sie ist die Helferin derjenigen Gottheit, von der die Evangelien sprechen, sie ist die ausführende göttliche Macht.
Und wenn dann ein solcher Mensch, der nach Erkenntnis strebte, in genügender Weise über das Mineralische, Pflanzliche, Tierische unterrichtet war von dieser Göttin, wenn er eingeführt war in die lebendigen Kräfte, dann lernte er durch sie kennen die Natur der vier Elemente: Erde, Wasser, Luft, Feuer. Und er lernte kennen, wie wogen und weben innerhalb des Mineralischen, Tierischen und Pflanzlichen diese konkret über die Welt sich ergießenden vier Elemente: Erde, Wasser, Luft, Feuer. Und er fühlte sich selbst hineinverwoben mit seinem ätherischen Leib in das Weben der Erde mit ihrer Schwere, des Wassers mit seiner belebenden Kraft, der Luft mit ihrer empfindungsweckenden Kraft, des Feuers mit seiner Ich-entzündenden Kraft. Da fühlte sich der Mensch hineinverwoben. Das empfand er als das Geschenk des Unterrichtes der Göttin Natura, der Nachfolgerin, der Metamorphose der Proserpina. Und daß die Schüler eine Ahnung bekamen von diesem lebendigen Verkehr mit der gotterfüllten, gottsubstantiierten Natur, hindurchdrangen bis zum Weben und Leben der Elemente, darauf sahen die Lehrer.“ (Lit.: GA 237, S. 90ff)
Der Blitz aus Licht im Seelenkalender
Das Mantra 5 E ist im Seelenkalender-Jahr das erste von vier Lichtsprüchen, die im Jahreskreis wie ein flaches Andreaskreuz angeordnet sind. Diese vier sind: 5 E und 22 V im Sommer-Halbjahr sowie 31 e und 48 w im Winter-Halbjahr. Diese Mantren werden allgemein Lichtsprüche genannt, weil sie vom Licht handeln. Alle vier Lichtsprüche stehen durchgängig in der beschreibenden dritten Person ohne bewussten Ich-Sprecher. Sie stellen deshalb Tatsachen dar, an deren Zustandekommen der Mensch keinen bewussten Anteil hat.
Betrachte ich die vier Lichtsprüche zusammen, so kann ein zusammenhängender Weg des Lichtes durch die vier Mantren nachvollzogen werden. Die Bewegung die sich zeigt, gleicht einem Blitz — einem von oben rechts begonnenen “N”: Im Mantra 22 V kommt das Licht aus Weltenweiten. Nach zwei Transformationsstufen leuchtet es in die Geistestiefen. Im Mantra 31 e (als Spiegelspruch senkrecht unter dem Mantra 22 V) kommt das Licht aus Geistestiefen und wird zur Lebenswillenskraft. Im Mantra 5 E kommt das Licht ebenso aus Geistestiefen und webt fruchtbar im Raume. Der Lichtstrahl aus Geistestiefen strahlt also vom Mantra 31 e schräg hinauf bis zum Mantra 5 E. Im Mantra 48 w kommt das Licht nun aus Weltenhöhen — also von oben. Senkrecht über dem Mantra 48 w ist das Mantra 5 E (beide sind Spiegelsprüche), das deshalb als Herkunftsort des Lichtes im Mantra 48 w angesehen werden kann. Dieser “Lichtblitz” scheint mir dem Erleben einer plötzlichen Erkenntnis zu entsprechen.
Der Weg des Lichtes in den Lichtprüchen ähnelt einem Blitz
Die vier Ätherarten
Das im Seelenkalender genannte Licht kann auch als ein vierfach differenziertes Licht betrachtet werden. Für mein Dafürhalten handelt es sich um die vier Ätherarten, die Rudolf Steiner unterscheidet. Es sind vier weisheitsvolle Lebenskräfte, die ihren bildhaften Ausdruck durch die vier Elemente finden: Formbildend, belebend bis in die Erde wirkt der Lebensäther. Der chemische Äther bindet und löst die Stoffe und sorgt für Harmonie und Ausgleich. Diese beiden Ätherarten sind dem willkürlichen Gebrauch des Menschen entzogen. Bis heute kann niemand aus totem Stoff Leben schaffen, weshalb sie die höheren Ätherarten genannt werden. Anders ist es bei den beiden niederen Ätherarten, dem Wärme- und Lichtäther. Jeder Mensch hat seine eigene Körperwärme und sein Gedankenlicht. Sie werden in den anderen beiden Lichtsprüchen thematisiert, der Wärmeäther im Spruch 22 V, der Lichtäther im Spruch 48 w.
Was wird im Mantra 5 E sichtbar?
Im Mantra 5 E wird im ersten Teil die Tätigkeit des Lichts, das aus Geistestiefen kommt, beschrieben, im zweiten wird gesagt, was durch dieses Licht zur Erscheinung kommt, was von diesem Licht beleuchtet wird. Der Frage, um was für ein Licht es bei dem Licht aus Geistestiefen geht, kommen wir ein Stück näher, wenn wir den gegenüberliegenden Lichtspruch 31 e betrachten. Er handelt von diesem Licht aus Geistestiefen. Dort erfahren wir, dass das Licht aus Geistestiefen sonnenhaft nach außen strebt, zur Lebenswillenskraft wird und in die Dumpfheit der Sinne leuchtet. Ziel dieser Wirkung ist, Kräfte zu entbinden, die letztlich Schaffensmächte im Menschenwerk reifen lassen. Das Licht aus Geistestiefen ist also ein Licht, das sonnenhaft von einem Zentrum ausstrahlt, zur Kraft des Lebenswillens wird und die Sinne des Menschen für die Umwelt erhellt, ich könnte sagen die Augen öffnet für die Sinnhaftigkeit der Welt. Dieses Licht aus Geistestiefen stellt sich für mich als die Lebenskraft selber dar, als der Lebensäther.
Im Mantra 5 E ist nun nicht das Licht selber Thema, sondern das, was in diesem Licht erscheint, was durch das Licht sichtbar wird, was das Licht erschafft. Das Licht aus Geistestiefen webt fruchtbar im Raum und offenbart dadurch das Schaffen der Götter. Das Weben ist ein immer wieder verwendetes, uraltes Bild für den Prozess der Entstehung alles Irdischen. Verschiedene Stoffe und Kräfte wirken zusammen wie die Kett- und Schussfäden, um einen neuen Leib, ein neues Sein zu bilden. Weben geschieht im Auf-und-Ab, in einer wellenden Bewegung, die an das Wasser denken lässt, die Grundlage allen Lebens. Es sind die Götter, die über dem Menschen stehenden Hierarchien, die hier erschaffend das webende Licht handhaben. In diesem Weben kann ich den chemischen oder Klangäther wiedererkennen, der die Sphärenharmonie, mit anderen Worten die Ausgewogenheit, das harmonische Zusammenspiel aller Natur-Prozesse bewirkt. Der chemische Äther ist die Kraft, die allem Seienden das rechte Maß, die rechte Zahl zuweist und so das jeweilige Muster in den Stoff webt.
Das Licht webt fruchtbar, es bedient sich der Befruchtung, die zur Fortpflanzung aller höher entwickelten Lebewesen, sowohl im Pflanzen- als auch im Tierreich gehört. Das Licht webt im Raum. Es ist die im Raum wirkende, das Leben von Zyklus zu Zyklus führende Kraft, deren äußere Erscheinung die Zeit ist. Auch sie wird dem Wasser gleich als von Quelle zur Mündung im Ozean fließend erlebt.
Seit alters her herrscht die Vorstellung, dass die Natur oder Mutter Erde eine Weberin ist. Goethe lässt im Faust den Erdgeist sagen:
In Lebensfluthen, im Thatensturm
Wall‘ ich auf und ab,
Webe hin und her!
Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben,
So schaff‘ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
(Faust – Tragödie erster Teil)
An dieser Stelle steht im Spruch ein Doppelpunkt, denn nun kommt das Wichtigste. Nun wird ausgeführt, was im Licht aus Geistestiefen erscheint, was dieses Licht zur Erscheinung bringt. Alles Vorherige diente der Vorbereitung für dieses Erscheinen. Das Wesen der Seele erscheint. Nur inkarniert in einem (durch Götterschaffen gewobenen) Leib kann die Seele erscheinen, leben, wirksam werden, sich ausdrücken. Bis zum Erscheinen der Seele hat das Licht einen weiten Weg zurückgelegt. Aufsteigend aus Geistestiefen, also nicht aus der Materie, sondern aus dem Geist entsprungen, hat das Licht zunächst im Raum fruchtbar die Elemente zum Leib verwoben und dadurch das Schaffen der Götter offenbart. Nun ist mit dem Erscheinen der Seele eine weitere Stufe im Lichtprozesses erreicht.
Das, was hier als Seele erscheint, ist nicht das begrenzte, der Welt gegenüberstehende Wesen, als das wir uns oft erleben. Diese Seele unterscheidet sich in zwei Aspekten von unserer Alltags-Seelenwahrnehmung. Sie ist geweitet zum Weltensein und auferstanden aus enger Selbstheit Innenmacht. Sie besitzt zum einen die Fähigkeit, groß wie die Welt zu sein, die ganze Welt in sich zu bergen. Diese Fähigkeit ermöglicht die Wahrnehmung. Im Wahrnehmungsvorgang dehnt sich die Seele bis zum Wahrnehmungsgegenstand aus und nimmt ihn in sich auf. Sie bildet ihn in sich ab als Vorstellung.
Zum anderen ist sie auferstanden aus der Enge der nach Innen gerichteten Macht der Selbstheit. Bevor Auferstehung möglich ist, muss ein Tod stattfinden. Dieser Tod findet latent durch die Bewusstseinsbildung und besonders durch das Denken statt. Denkend wächst die Seele über sich hinaus, lernt von der Gestimmtheit der Gefühle abzusehen und ihren Fokus der gedanklichen Fragestellung zuzuwenden.
Der Zustand der engen Selbstheit ist uns vertraut. Es ist das Erleben, ein abgegrenztes Selbst, ein Ego zu sein. In dieser Enge wird das Denken, Fühlen und Wollen als der eigenen, nach Innen gerichteten Macht unterworfen erlebt, abgetrennt und unbeeinflusst von anderen Mächten. Der Welt gegenüber fühlt sich die Seele dagegen machtlos, die Welt erleidet sie, hier ist sie Opfer. Aus dieser Enge, dieser vermeintlichen nur nach Innen gerichteten Macht der Selbstheit ist die Seele auferstanden. Sie ist befreit vom allzu menschlichen, begrenzten.
Vom Lichtspruch 31 e aus strahlt der Lebensäther im Licht aus Geistestiefen in das Mantra 5 E. Der Lebensäther wird auch als die Logoskraft bezeichnet. Die Logoskraft, das Weltenwort wirkt sowohl alles Seiende in der Welt erschaffend als auch in der Seele als die höchste schöpferische Kraft. Hier ermöglicht der Logos das Erleben der Sinnhaftigkeit der Welt und des eigenen Lebens — unseren Verstand und unseren Zugang zu tiefer Weisheit. Wird diese Sinnhaftigkeit und Weisheit erlebt, ist die Seele auferstanden aus der Enge der nur nach Innen gerichteten Macht der Selbstheit.
Was wir in der Regel nur graduell erleben, zum Weltensein geweitet und auch auferstanden zu sein aus der nach Innen konzentrierten Selbstheit, ist im Erscheinen des Wesens der Seele in diesem Licht vollzogen. Indem die Seele im Licht aus Geistestiefen erscheint, ist sie Weltensein und gleichzeitig auferstanden, lebendiger Geist geworden. So kann sie sich verbunden wissen mit der Welt, ihr fühlend, denkend und wollend begegnen, in ihr wirken und die Wesen der Welt in sich wirkend erleben. Das Ziel ihrer Entwicklung ist erreicht.