4 D

Ich füh­le Wesen meines Wesens:

So spricht Empfindung,

Die in der son­ner­hell­ten Welt

Mit Licht­es­fluten sich vereint;

Sie will dem Denken

Zur Klarheit Wärme schenken

Und Men­sch und Welt

In Ein­heit fest verbinden.

Empfindung — das Wesen der Empfindungsseele

Im Mantra 4 D spricht die Empfind­ung und sagt, dass sie das Wesen ihres Wesens fühlt. Was für ein Wesen ist die Empfind­ung? Rudolf Stein­er unter­schei­det drei See­len, die in jedem Men­schen zusam­men­wirken: die Empfind­ungsseele, die Ver­standes- oder Gemütsseele und die Bewusst­seinsseele. Sie unter­schei­den sich im Grad der Wach­heit des Bewusst­seins. In der Empfind­ungsseele schläft unser Bewusst­sein, in der Ver­standes- oder Gemütsseele träumt es und erst in der Bewusst­seinsseele ist es wirk­lich wach und glasklar. Es ist nahe­liegend, im Mantra 4 D allein die Empfind­ungsseele sprechen zu hören.

Rudolf Stein­er beschreibt diese Seele so: „Was wir Empfind­ungsseele nen­nen, das kann da sein im Leben, ohne daß es viel vom Denken durch­drun­gen wird. Die Empfind­ungsseele ist zunächst das­jenige, was die äußeren Ein­drücke auf­fängt. Sie ist das­jenige Glied der men­schlichen Seele, welch­es die Wahrnehmungen der Sinne ins Innere hinein weit­er­schickt. Diese Empfind­ungsseele ist es auch, was dann auf­steigen läßt im Innern das, was sich als Lust und Unlust­ge­fühl, als innere Freude, als inneres Schmerzge­fühl anschließt an das von außen Gebrachte und Beobachtete. Diese Empfind­ungsseele ist zunächst das­jenige, aus dem auf­steigen die Triebe und Instink­te und Lei­den­schaften und Affek­te der men­schlichen Natur.“ (Lit.: GA 58, S. 119)

Im Mantra 4 D heißt es, dass die Empfind­ung dem Denken Wärme schenken will. In der Empfind­ungsseele glühen die Begier­den, Triebe und Lei­den­schaften ver­gle­ich­bar einem inneren Feuer. Entsprechend kann auch vom Wil­lens­feuer gesprochen wer­den. Diese Wärme kann die Empfind­ungsseele also an das Denken verschenken.

„Wenn wir zunächst von der Empfind­ungsseele sprechen, so meinen wir nicht nur das­jenige in unser­er Seele, was sich durch Wahrnehmung, durch Sin­ne­sein­drücke in Verbindung zu set­zen ver­mag mit der äußeren Welt, son­dern wir meinen auch den Sitz von allem, was wir nen­nen kön­nen Triebe, Begier­den, Lei­den­schaften, auch den Sitz von allem, was Wil­len­sim­pulse in der men­schlichen Seele sind. Am zweck­mäßig­sten ist es sog­ar, will man sich eine Vorstel­lung ver­schaf­fen von dem, was eigentlich inner­halb unseres seel­is­chen Lebens die Empfind­ungsseele ist, daß man sich vorstellt, wie alles Wil­len­sar­tige, alles was uns von innen her­aus Anstöße gibt, ein Ver­hält­nis zur Außen­welt zu suchen, das Wesentliche in der Empfind­ungsseele ist, und wie es an der Empfind­ungsseele hängt, daß sie die wichtig­ste Ver­mit­t­lerin ist auch des Emp­fan­gens von äußeren Ein­drück­en des Wahrnehmens. Deshalb wird sie Empfind­ungsseele genan­nt. Wenn der Men­sch einen Ton- oder einen Far­benein­druck empfängt, wal­tet die Empfind­ungsseele. Auch wenn die Lei­den­schaften auf­steigen, bei Affek­ten, Zorn, Furcht, Angst, wal­tet im wesentlichen die Empfind­ungsseele.“ (Lit.: GA 127, S. 42f)

Obwohl das Bewusst­sein der Empfind­ungsseele ein schlafend­es ist und ohne Ich­be­wusst­sein, ist das Ich als viertes Wesens­glied des Men­schen doch auch in dieser Seele anwe­send. Rudolf Stein­er sagt über das Ich in der Empfind­ungsseele: „In der Empfind­ungsseele ist dieses Ich so tätig, daß der Men­sch dieses sein Ich kaum erst ahnt. Er ist insofern in der Empfind­ungsseele allen Trieben und Lei­den­schaften hingegeben. Das Ich brütet dumpf in dem, was wir Empfind­ungsseele nen­nen. Das Ich arbeit­et sich dann erst her­aus, kommt erst zum Vorschein in der Ver­standes- oder Gemütsseele und wird ganz klar erst in der Bewußt­seinsseele.“ (Lit.: GA 121, S. 52)

Im Mantra 4 D heißt es: “Ich füh­le Wesen meines Wesens …” — warum diese Dop­pelung? Aus­re­ichend wäre: Ich Füh­le mein Wesen. Wird damit möglich­er Weise auf das Ich als Mit­telpunkt der Seele — also auch der Empfind­ungsseele ver­wiesen? Nur das Ich ist ein eigen­ständi­ges Wesen, die Seele dage­gen das Wirkens­feld des Ichs. Dann kön­nte die Empfind­ungsseele auch sagen: Ich füh­le, dass mein Wesen im Zen­trum das Ich-Wesen birgt.

Was sagt das Mantra 4 D mir?

Inzwis­chen sind wir beim vierten Mantra des See­lenkalen­ders ange­langt. Vier gilt über­all auf der Welt als Son­nen­zahl. Auch dieses Mantra hat eine aus­geprägt helle, durch­son­nte Stimmung.

In diesem Mantra wer­den wir Zeuge eines Selb­st­ge­sprächs. Die Empfind­ung spricht über sich selb­st. Danach wer­den wir in die Außen­sicht geführt. Es fol­gt eine Beschrei­bung der Aktiv­ität der Empfind­ung und ihre damit angestrebten zwei Ziele.

Die Empfind­ung fühlt in der oben beschriebe­nen Weise das Wesen ihres Wesens. Sie fühlt den Kern ihres Seins, ihre Essenz. Was ist also die Empfind­ung als solche? Sie ist noch kein Gefühl und keine Emo­tion, denn diese haben ein The­ma, einen Inhalt. Sie ist die Berührbarkeit, die Fähigkeit jedes Lebe­we­sens in Aus­tausch zu gehen mit sein­er Umwelt. Diese Fähigkeit ist schon jedem Einzeller gegeben. Leben bedeutet in Wech­sel­wirkung treten zu kön­nen. Dafür ist ein Ansatz von Bewusst­sein und eine Wahrnehmungs­fähigkeit für die Umwelt nötig. Empfind­ung ist das aufkeimende Bewusst­sein, das füh­lende Gewahr­sein dieses Prozess­es. Anders gesagt: indem die Empfind­ung nur das Wesen ihres Wesens fühlt, ist sie noch keine Erken­nt­nis, keine bewusste Selb­stre­flex­ion. Dieses füh­lende Gewahr­sein ist die Grund­lage unseres Ich-Bewusst­seins jen­seits von allen per­sön­lichen Konzepten und Erfahrun­gen, jen­seits jed­er ego­is­tis­chen Regung.

Die Empfind­ung als aufkeimendes Bewusst­sein kann ihren Fokus nach zwei Seit­en richt­en: zum einen nach innen das eigene Wesen wahrnehmend, zum anderen nach außen Inter­ak­tion mit der Welt anstrebend. Die Innen­wen­dung ermöglicht Bewusst­sein von sich selb­st; die Empfind­ung spricht über sich. Die Außen­wen­dung ermöglicht Wel­terken­nt­nis und ziel­gerichtetes Han­deln. In diesem Fall schläft das Bewusst­sein für sich sel­ber ein, weshalb das Mantra beschreibend fort­fährt. Was nur nacheinan­der aus­ge­sprochen wer­den kann, find­et in Wahrheit gle­ichzeit­ig statt, denn Innen und Außen bedin­gen sich. Das ger­ade aufge­hende Licht des Bewusst­seins beleuchtet nach innen gerichtet sich selb­st, nach außen gerichtet die Welt. Während die Empfind­ung innen das Wesen ihres Wesens fühlt, vere­int sie sich außen mit den Licht­es­fluten der son­ner­hell­ten Welt.

Was sind diese Licht­es­fluten und was ist die son­ner­hellte Welt? Der stetig fließende Strom der Wahrnehmung, der durch meine Sinne, die Fen­ster mein­er Seele, in mich ein­strömt und als ein Licht­strom erlebt wer­den kann, sind die Licht­ess­fluten. Da Wahrnehmung nie aufhört, auch im Schlaf nicht, reißt dieser Strom nie ab, flutet das Licht stetig. Mit diesen Wahrnehmungen vere­int sich die Empfind­ung. Sie macht sie sich zu eigen. Die son­ner­hellte Welt ist die Tag-Welt. Sie ist die von der Sonne des Bewusst­seins beschienene Welt, die wahrgenommene, gese­hene, erkan­nte Welt.

An dieser Stelle kann ich noch tiefer fra­gen: Was ist es, das durch die Wahrnehmung als Licht in mich ein­strömt? Was in der Wahrnehmung ermöglicht mir Erken­nt­nis und dadurch das Erleb­nis von Licht, Licht­es­fluten? Es ist die Weisheit, aus der her­aus diese Welt gebildet, am Leben gehal­ten und stetig weit­er­en­twick­elt wird. Weil Weisheit in der Welt wal­tet, alle Rhyth­men Natur­prozesse und ‑geset­ze sin­nvoll aufeinan­der bezo­gen sind, kann diese Weisheit von mir erkan­nt wer­den. Die Licht­es­fluten sind also auch der Weisheitsstrom, den ich durch die Wahrnehmung emp­fange. Dieser Weisheitsstrom hin­ter der äußeren Wahrnehmung wird der Wel­tenäther genan­nt. Erahn­bar wird er uns im Zeit­en­strom, der alles Leben trägt. Mit dem sich durch den Zeit­strom auf der Erde ver­wirk­lichen­den Wel­tenäther, den Licht­es­fluten, vere­int sich die Empfind­ung. Durch diese Vere­ini­gung mit der von Weisheit­slicht durch­strömten Zeit zeigt sich die Empfind­ung als ein auf Entwick­lung angelegtes Wesen.

Es gibt in diesem Mantra zwei Licht-Aus­sagen, die nur schein­bar das gle­iche meinen: die son­ner­hellte Welt und die Licht­es­fluten. Die Empfind­ung ist so wie auch die Licht­es­fluten in der son­ner­hell­ten Welt. Ver­ste­he ich die Licht­es­fluten als den Wel­tenäther, Weisheits­macht, die Welt und Leib schafft, die sich inkarniert, so zeigt sich in der son­ner­hell­ten Welt die Wirkung des ent­ge­genge­set­zten Prozess­es. Die Entste­hung von Bewusst­sein beruht auf feinen Absterbe- Exkar­na­tion­sprozessen. Durch die Ätheri­sa­tion des Blutes, seine Vergeis­ti­gung, sind wir in der Lage, unser Bewusst­sein über das reine Inter­esse an der Lebenser­hal­tung hin­aus auszudehnen. Die Sonne unseres Bewusst­seins bildet unseren Bewusst­sein­sraum, die son­ner­hellte Welt. In diese Raumwelt flutet der Weisheitsstrom des Wel­tenäthers. Anders aus­ge­drückt: die Wahrnehmung flutet in den Raum unseres Bewusstseins.

Zwei Ziele wer­den im Mantra 4 D genan­nt, die von der Empfind­ung angestrebt, gewollt wer­den: zum einen will sie dem Denken zur Klarheit Wärme schenken, zum anderen Men­sch und Welt in Ein­heit fest verbinden. Um klar Denken zu kön­nen, brauchen wir einen kühlen Kopf. Erken­nt­nis ist von sich aus keine warme Kraft. Die Weisheit des Wel­tenäthers ist zunächst neu­tral, kalt. Als beobachtete Fak­ten zieht die Weisheit durch die Wahrnehmung in uns ein. Anders ist es mit dem aufkeimenden Bewusst­sein, das zunächst Empfind­ung ist. Bewusst­seinslicht-Entste­hung wird im Bild des Feuers, in dem das Leben zu Bewusst­seinslicht ver­bren­nt, ver­standen. Dieses Licht ist also im Keim ein füh­len­des, in Beziehung gehen­des, warmes Licht. Deut­lich wird dies auch in der ele­mentaren Lust- oder Unlust-Reak­tion der Empfind­ungsseele auf jede Wahrnehmung. Diese lei­den­schaftlichen Gefühlsreak­tio­nen kön­nen als feurig, bren­nend, heiß emp­fun­de­nen wer­den. Diese Gefühlswärme kann die Empfind­ung dem Denken schenken.

Die Empfind­ung will Men­sch und Welt in Ein­heit fest verbinden. Men­sch und Welt kann auch als Aus­druck der bei­den Jahres-Hälften, als Denken und Wahrnehmung betra­chtet werde. Die Fähigkeit zu denken unter­schei­det den Men­schen von allen anderen Lebe­we­sen auf der Erde. Denken charak­ter­isiert den Men­schen. Welt ist natür­lich die Wahrnehmungswelt. Dann bedeutet das zweite Ziel der Empfind­ung, dass sie Denken und Wahrnehmung fest verbinden und zu ein­er Ein­heit, zu einem inter­agieren­den Sys­tem machen will. Diese Verbindung geschieht, indem sich die Empfind­ung mit den Licht­es­fluten vere­int. An dieser Stelle wird das aufkeimende Bewusst­seinslicht der Empfind­ung eins mit dem Licht des Wel­tenäthers, mit den Licht­es­fluten. Die Aktiv­ität geht von der Empfind­ung aus, sie will es.

Bedeut­sam ist die For­mulierung ihres Ziels. Es heißt “In Ein­heit…” und nicht wie vielle­icht zu erwarten wäre “Als Ein­heit”. Let­zteres verbindet zwei getren­nte Hälften zu ein­er Ein­heit. “In Ein­heit” lässt dage­gen ahnen, dass Men­sch und Welt in Wahrheit immer eine Ein­heit sind. So wie Som­mer und Win­ter nur zwei Zustände des einen Jahres­laufs sind, so sind auch die inkarnierende, zur Erde her­ab­strö­mende Bewe­gung des Wel­tenäthers (die Licht­es­fluten der Wahrnehmung, die äußere Welt) und das durch Exkar­na­tion entste­hende, auf­flam­mende Bewusst­seinslicht (die innere Sonne, die die Innen­welt erhellt) nur gegen­läu­fige Bewe­gun­gen ein­er über­ge­ord­neten Ein­heit, des göt­tlichen Bewusst­seins in der Welt und im Men­schen. “In Ein­heit” lässt “In Frieden” und “In Har­monie” mitk­lin­gen. Es ist das Bestreben der Empfind­ung, dass das Zusam­men­wirken dieser bei­den Wel­tenkräfte in Ein­heit und damit in Frieden und Har­monie sich vol­lziehen möge.