10 K
Zu sommerlichen Höhen
Erhebt der Sonne leuchtend Wesen sich;
Es nimmt mein menschlich Fühlen
In seine Raumesweiten mit.
Erahnend regt im Innern sich
Empfindung, dumpf mir kündend,
Erkennen wirst du einst:
Dich fühlte jetzt ein Gotteswesen.
Die erste Woche nach der Osterzeit
Mit dieser Woche treten wir aus den Wochen der Osterzeit heraus. Wir verlassen die Zeit der nur in sich zusammenhängenden Feste, die aber nicht an wiederkehrende Daten gebunden sind. Zur Erinnerung: Mit dem Ostertermin verschieben sich unter anderem auch Himmelfahrt, Pfingsten und Fronleichnam. Auch die Wochen vor Ostern sind davon betroffen, denn auch Aschermittwoch und Palmsonntag sind durch den Abstand zu Ostern definiert, nicht durch ihr Datum. Diese im Sonnenjahr begrenzt frei fluktuierenden Wochen nenne ich gerne die Osterscholle. Sie umfassen ungefähr ein Drittel des Jahres (16 bzw. ich sage sogar 18 Wochen). Wie ein Mond liegen diese aus der Datumsbindung herausgehobenen Wochen im Jahreskreis. Mit der Woche 10 K treten wir nun von der Mondenzeit des Jahres in die Sonnenzeit ein. Ab jetzt sind die Feste an ein Datum und dadurch an einen ganz bestimmten Sonnenstand gebunden. Für diesen Schritt von der Beweglichkeit in das dauerhaft Gleichbleibende ist meist eine Anpassung notwendig, damit die für die Feste vorgesehenen Mantren (Johanni, Michaeli, Weihnachten) mit den tatsächlichen Festen übereinstimmen.
Anpassung
Das erste wieder an ein Datum gebundene Fest nach Ostern ist Johanni am 24. Juni. Da Ostern eine ganze Reihe von Wochen früher oder später liegen kann, das Johannifest aber laut Rudolf Steiner zur Woche 12 (! ohne Buchstaben) gehört, muss nach dieser Osterzeit — der Osterscholle — naturgemäß in vielen Jahren angepasst werden. (Gleiches gilt auch im Vorgriff, wenn die Osterzeit beginnt, denn sonst liegt das letzte Mantra 52 z nur selten und zufällig in der Karwoche.) Es gibt dadurch Jahre, die an diesen Übergängen eine Dehnung erfordern, andere eine Stauchung.
Die variable Osterzeit macht aus dem immer gleichen Sonnenjahr ein individuelles Jahr. Die zu Ostern gehörenden Wochen sind jeweils mit einer Mondphase verbunden, festgelegt duch den ersten Vollmond nach der Tag- und Nachtgleiche in der Karwoche. Der Oster-Mondimpuls prägt jedem neuen Jahr sein Siegel auf, verlebendigt das Starre und macht es einzigartig. Mal schwingt die Osterscholle weiter in das Sommer-Halbjahr hinein, mal mehr in das Winter-Halbjahr. Eine Mittellage nimmt die Osterzeit ein, wenn Karfreitag um den 3. April liegt. Dieses Datum ist nach Rudolf Steiner der Ur-Karfreitag.
Im Jahr 2022 lag Ostern spät (17. 4.), die Osterzeit wurde weit in das Sommer-Halbjahr hineingeschoben. Deshalb war mit dem Schritt aus der Osterzeit hinaus eine starke Stauchung notwendig. Auf die Fronleichnamswoche (9 und großes i) folgte direkt die Johanniwoche mit dem Mantra 12 !, überschrieben mit Johannes-Stimmung. Der Schritt von der Oster-Monden-Zeit in die Sonnen-Zeit des restlichen Jahres war 2022 ein großer Sprung. Ein Prozess, der sich eigentlich in drei Stufen vollzieht, musste in einem einzigen, großen Schritt vollzogen werden. Solch eine Situation kann als herausfordernd erlebt werden!
Im Jahr 2023 ist es anders. Ostern lag etwas früher (9. 4.) und deshalb muss weniger gestaucht werden. In diesem Jahr kommen auf drei Mantren (10 K, 11 L, 12 !) zwei Wochen. Johanni am 24. Juni ist dieses Mal ein Samstag. Wenn so angepasst wird und nun zwei Mantren in einer Woche „verdaut“ werden, liegt auch Michaeli (29. 9.) in der Woche 26 Z, so wie es sein soll.
Ich passe trotzdem nicht so an. Ich schaue noch weiter in die Zukunft und richte die Anpassung nach dem kommenden Weihnachtsfest aus. Ich empfinde das Weihnachtsfest als Johanni und Michaeli übergeordnet. Über dem Mantra 38 m steht Weihe-Nacht ‑Stimmung. Und hier stimmt die Anzahl der Wochen und der Mantren ohne Anpassung überein. Ich nehme also in Kauf, dass Johanni in der Woche 11 L und Michaeli in der Woche 25 Y sein werden. Der Heilige Abend (24. 12.) wird dieses Jahr ein Sonntag, und damit auch der 4. Advent sein. Mit diesem Sonntag ist die Weihenachts-Woche 38 m verbunden. Ich versuche bei der Anpassung immer so wenig in den Zeitenfluss einzugreifen wie nötig, weshalb ich mich dagegen entschieden habe vor Johanni anzupassen und nach Michaeli nochmals. Das ist meine Entscheidung und kann natürlich auch anders gehandhabt werden.
Im Jahr 2024 wird Ostern am 31. 3. sein.
Die Zahl 10 als neue 1
Der Spruch 10 K ist der erste Spruch nach der Osterscholle. Schon in der Zahl steckt die neue Eins darin, jetzt gesteigert, potenziert durch die Null. Im Spruch 1 A war die Sonne als eine Sprechende, wirkende beschrieben. Auch dieser Spruch ist, wie sich noch zeigen wird, ganz der Sonne gewidmet. War sie in 1 A zu hören, sie sprach, ist sie nun in 10 K zu sehen, sie erhebt sich, sie leuchtet. Da der Spruch 11 L eine einzige Belehrung ist, kann er als Rede der Sonne gelesen werden. Auch die 11 ist eine Variation der 1 und zeigt sich in diesem Zusammenhang als „Sonne“.
Auch wenn wir den Menschen betrachten, finden wir die 10 an wichtiger Stelle. Mit unseren 10 Fingern erfassen wir die Dinge und begreifen dadurch die Welt. Was wir mit ihnen halten, behalten wir auch im Bewusstsein. Was wir verstanden haben, wird in uns zu einer Einheit, zu einem Be-griff. Es wird durch uns zu etwas Neuem. Die 1 eröffnet den Zahlenraum der einstelligen Zahlen, die 10 ist das Tor in den viel größeren Raum der Zweistelligkeit, einer neuen Dimension im Zahlenraum.
Was folgt auf den Tod?
Konnte der Spruch 9 I als die innere Sicht des Todes gelesen werden, so ist es folgerichtig, die nächsten Mantren darauf hin zu befragen, ob hier die Phasen nach dem Tod beschrieben werden. Vorbereitend soll für das Mantra 10 K deshalb die nun folgende Phase dargestellt werden, entsprechend der Angaben Rudolf Steiners. Nachdem mit dem Tod der physische Leib abgelegt wurde, löst sich nun während ungefähr drei Tagen auch der Lebenskräfte-Leib, der Ätherleib des vergangenen Lebens auf. Während dieser Zeit bekommt die Individualität ihr vollständiges Lebenspanorama gezeigt. Manchmal wird es als Tableau, also als gleichzeitige Wahrnehmung aller Stationen des Lebens beschrieben, manchmal ähnlich wie in einen Film, jedoch rückwärts laufend. So tritt zuerst in den Blick, was die Folge eines Ereignisses war. Dadurch lernt die Individualität die Ereignisse ihres Lebens mehr teleologisch und weniger kausal anzuschauen, das heißt, wo etwas hingeführt hat und nicht was die Ursache war.
Rudolf Steiner beschreibt das Lebenspanorama und die Auflösung des Ätherleibes einmal so: “Alles dasjenige, dessen wir sonst in der Zeit uns erinnern, das wird gleichzeitig wie in einem gewaltigen Panorama um uns herum aufgestellt in einem mächtigen Lebenstableau. Dann aber wird unser ätherisches Wesen von uns losgelöst, es wird gleichsam aus uns herausgezogen. Das tun die Wesenheiten der dritten Hierarchie (Engel, Erzengel und Archai), und die weben es allmählich dem Weltenäther ein, so daß dieses Gewebe des Weltenäthers nach unserem Tode aus dem besteht, was wir während unseres Lebens zwischen Geburt und Tod hinzugefügt haben und was verarbeitet worden ist von den Wesen der drei nächsthöheren Hierarchien. Das, was Zeit unseres physischen Lebens in uns gelebt hat, ist nun ein Stück Außenwelt geworden, so daß es von uns angeschaut werden, von uns betrachtet werden kann.” (Lit.: GA 167, S. 35)
Auf mich selbst bezogen hieße das: Das Lebens-Tableau, wie es an anderer Stelle von Rudolf Steiner benannt wird, ist eine große Imagination, in deren Zentrum ich stehe. So wie im Erden-Leben mein Bewusstsein sonnengleich um mich herum ausstrahlt, meine Sinne mir ermöglichen in alle Richtungen (im Idealfall) gleichmäßig präsent zu sein, so stehen nun die Ereignisse, das Erlebte, meines vergangenen Lebens um mich herum.
Die äußere Quelle der Lebenskräfte ist die Sonne. Sie regt alles Wachstum an und befähigt die Pflanzen, sich über die Schwere der Erde zu erheben. In ihrem Licht erblicken wir die Welt. Die Sonne wurde immer als äußerlich sichtbare Quelle der eigentlich unsichtbaren und bis heute durch die Naturwissenschaft kaum zu erfassenden Lebenskraft (Ätherkraft) angesehen. Im Lebensrückblick schaut die Individualität auf ihr Leben und sieht es so, wie wir unseren Horizontkreis überblicken. Auch hier stehen wir immer im Zentrum. Immer wieder beschreiben Menschen mit Nah-Todeserlebnissen, dass sie eine unendlich liebende, sie fraglos annehmende, sonnengleiche Macht neben sich gespürt haben, die ein unendlich helles, aber erstaunlicher Weise nicht blendendes, goldenes Licht ausstrahlte.
Die Verklärung Christi auf dem Berg Tabor
Eine weitere Verständnishilfe für das Mantra 10 K ist für mich die Schilderung der Verklärung Christi. Deshalb will ich kurz zum einen auf das Ereignis, wie es die Evangelien beschreiben, zum zweiten auf das diesem Ereignis gewidmete Fest, und zum dritten auf die traditionelle Art der bildlichen Darstellung eingehen.
Drei Evangelisten, Lukas (Lk 9, 28–36), Markus (Mk 9, 2–9) und Matthäus (Mt 17, 1 — 8) berichten davon. Sie erzählen, dass Christus mit drei Jüngern, Petrus, Jakobus und Johannes auf einen Berg stieg, um zu beten. Dieser Berg wird in der Tradition als der Berg Tabor angesehen. Während Christus betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes, es leuchtete wie die Sonne und sein Gewand wurde leuchtend, strahlend weiß wie das Licht. Nun erschienen Mose und Elias und sprachen mit ihm. Die drei Apostel fallen vor Schreck zu Boden. Sie sind der Schau des göttlichen Lichtes nicht gewachsen, konnte doch vordem kein Mensch das Antlitz Jahves erblicken, ohne zu sterben. Petrus schlägt daraufhin vor, drei Hütten zu bauen. Das bedeutet, drei Zelte der Offenbarung zu errichten. Nun kommt eine Wolke, die Schechina, Einwohnung Gottes nach jüdischer Tradition. Aus ihr erklingt eine Stimme, die sagt: “Dies ist mein geliebter Sohn” (Mt. 17, 5; u.a.) und wiederholt damit, was auch bei der Taufe Jesu im Jordan aus der Wolke erklang (Mt 3, 17; u.a.). Nun fügt diese Stimme hinzu: “Auf ihn sollt ihr hören.”
Man nimmt heute an, dass sich dieses Ereignis im Herbst ereignete, an einem der folgenden Feiertage. Ich denke, es könnte der höchste jüdische Feiertag, das Versöhnungsfest “Jom Kippur” gewesen sein, das nach dem jüdischen Kalender am 10. Tag des Monats Tischri (Ende September, Anfang Oktober) begangen wird. Hier spricht der Hohepriester das einzige Mal im Jahr feierlich den Namen Jahwes im Allerheiligsten des Tempels aus. 10 Tage vorher, mit Beginn des Monats Tischri wird das Neujahrsfest gefeiert, fünf Tage später, zu Vollmond am 15. bis 21. Tischri das Laubhüttenfest. Der letzte Tag des Laubhüttenfestes gilt als der letzte Tag, an dem die göttlichen Urteilssprüche für das gerade begonnene Jahr noch geändert werden können. Unmittelbar daran anschließend findet “Schmini Azet”, “der Achte Tag der Versammlung” und “Simchat Tora”, das Torafreudenfest statt. Der Tag der Versammlung scheint mir mit Elias zusammenzuhängen, das Torafreudenfest hat natürlich mit Mose zu tun. Alle Feste haben offensichtlich mit dem Übergang vom Sommer- zum Winter-Halbjahr, bzw. mit dem Ankommen im Winter-Halbjahr zu tun.
Das Fest der Verklärung wird sowohl in der Ostkirche als auch in der katholischen Kirche traditionell am 6. August gefeiert. Ich las bei A. Lukassek, dass der Papst zu diesem Fest das erste Mal den neuen Wein im Gottesdienst verwendet und die Trauben segnet. Seit dem 5. Jahrhundert wurde das Fest am 6. August in der Ostkirche gefeiert. Erst 1457 nahm Papst Kallixtus III. das Fest in den Festkalender des Jahres auf — mit gleichem Datum.
In der Ostkirche heißt das Fest „Metamorphosis“, Verwandlung, in der katholischen Kirche „Transfiguratio Domini“, lateinisch Verwandlung des Herrn. Erst Martin Luther nannte es Verklärung, weil er an eine Verwandlung von Brot und Wein im Abendmahl nicht glauben konnte. Der Bezug des Festes zum Abendmahl, der durch den alten Namen „Verwandlung“ gegeben ist, ging dadurch verloren.
Der Bildaufbau der Verklärung bei Fra Angelico (siehe unten) entspricht einer auch auf Ikonen vorzufindende Tradition. Das Bild folgt der Schilderung in den Evangelien, zeigt durch die Komposition aber mehr: Christus erscheint verklärt zwischen Elias und Mose. Elias wird traditionell links vom Betrachter und alt, vom Himmel herabkommend dargestellt, Mose rechts vom Betrachter dagegen jung und manchmal sogar aus einem Grab aufsteigend, ausgestattet mit den Gesetzestafeln. Eine Gegenbewegung wird dadurch angedeutet, auf die ich unten nochmal eingehe. In der Darstellung von Fra Angelico ist unterhalb des weißbärtigen Gesichts von Elias die Jungfrau Maria zu sehen, unter dem jungen Gesicht von Mose der heilige Domenikus. Ganz unten auf dem Bild sind von links nach rechts die drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes zu sehen. Petrus dreht Christus den Rücken zu: er erträgt nur die Wiederspiegelung des Geschehens. Jakobus muss sich mit der Hand gegen das blendende Licht schützen, nur mühsam kann er sich aufrecht halten. Johannes allein kann sich der Schau anbetend hingeben. Die drei Jünger repräsentieren dadurch drei Entwicklungsstufen des Seelisch-geistigen.
Bilder der Verklärung, insbesondere die Ikonen, aber auch das von Fra Angelico sind stets als Darstellung dreier Säulen konzipiert. Bei Fra Angelico stehen Elias und Maria für den inkarnierenden Strom, die zur Erde strömende Weisheit, die die Wahrnehmungswelt erschafft – die Säule des Sommer-Halbjahrs. Mose und Domenikus stehen für den aufsteigenden, vergeistigenden Strom. Sie verkörpern das im Menschen stattfindende Geist-werden, die Ätherisation des Blutes. Dieser Strom der Bewusstseinsbildung ermöglicht es, nicht nur auf den eigenen Vorteil ausgerichtet zu sein, sondern das Denken frei zu lenken – die Säule des Winter-Halbjahrs. Christus verklärt in der Mitte, im Gespräch mit den beiden Vertretern der Säulen, Elias und Mose, gibt kund, dass nun die Zeit anbricht, in der Wahrnehmung und Denken, Makrokosmos und Mikrokosmos, so zusammenwirken, dass göttlicher Glanz von dem Dritten, das daraus entsteht, ausstrahlen kann.
Das eiförmige Profil und die weißliche Farbe der Mandorla des Christus besagt bei Fra Angelico sehr viel: beides weist auf das dominierende Symbol des Osterfestes, das Ei. Ich kenne zwei verschiedene Ausrichtungen des Jahreskreises. Ist das Weihnachtsfest die Basis, gestaltet sich der Jahreslauf wie üblich als Jahreskreis. Ist das Osterfest ganz unten, dehnt sich die Kreisform zu einem zweidimensionalen Ei. Hier finden sich die beiden Halbjahre rechts und links und können als die beiden Säulen angesprochen werden, die in den Bildern der Verklärung stets als Elias und Mose gemalt werden.
Die Verklärung auf dem Berg Tabor, Frau Angelico (etwa 1437–1446)
Rudolf Steiner sagt über dieses Ereignis: „Die geistige Welt sollte den Jüngern offenbar werden ohne das Zeichen des Salomo [die an Vererbung gebundene alte Hellsichtigkeit, A.F.] und ohne das Zeichen des Jonas [die durch Schulung und dreitägigen Mysterienschlaf erlangte Hellsichtigkeit, A:F:]. In der Verklärungsszene werden die drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes, in die geistige Welt hinaufgeführt und ihnen tritt entgegen, was in der geistigen Welt als Moses und Elias vorhanden ist, und zugleich das Geistige selbst, was in dem Christus Jesus lebt. Sie schauten für einen Moment in die geistige Welt hinein, um ein Zeugnis dafür zu bekommen, daß man ohne das Zeichen des Salomo und ohne das Zeichen des Jonas in die geistige Welt Einblick erhält. Aber zugleich zeigt sich, daß sie noch Anfänger sind; sie schlafen gleich ein, nachdem sie durch die Gewalt dessen, was geschieht, aus ihren physischen und Ätherleibern herausgerissen sind. Daher findet der Christus sie schlafend. Daran sollte gezeigt werden, welches die dritte Art, in die geistige Welt hineinzukommen, ist, außer der unter dem Zeichen des Salomo und der unter dem Zeichen des Jonas. Das wußte eben derjenige, der für die damalige Zeit die Zeichen der Zeit zu deuten verstand, daß das Ich sich entwickeln mußte, daß es jetzt unmittelbar inspiriert werden mußte, daß die göttlichen Kräfte unmittelbar in das Ich hineinwirken mußten.“ (Lit.: GA 114, S. 214)
“Der Name Elias bedeutet so viel wie der Weg Gottes, das Ziel. Der Name Moses repräsentiert die Wahrheit. Moses ist die okkulte Bezeichnung für die Wahrheit. Jesus bedeutet das Leben. Da wurde sozusagen mit ehernen Worten in das Mentale geschrieben: «Der Weg, die Wahrheit und das Leben».“ (Lit.: GA 97, S. 20f)
Rudolf Steiners Gedanken fasst der Eintrag bei Anthrowiki.at, Verklärung folgendermaßen zusammen: “Nur wenn wir uns mit dieser lichten Auferstehungskraft durchdringen, werden wir fähig, das strahlende Licht der geistigen Welt zu ertragen, ohne dass unser Ichbewusstsein durch ihren Glanz so überstrahlt wird, dass wir uns selbst vergessen und verlieren. Die Verklärung des Ätherleibs reicht nicht hin, um das Ichbewusstsein bis hinauf zum Nirvanaplan zu erhalten. Daher geht der Buddhismus davon aus, dass mit dem Eintritt ins Nirvana auch das Ich vollständig verweht. Richtig ist, dass das Ichbewusstsein spätestens im Nirvana völlig erlischt, solange der Mensch nicht der Auferstehungskräfte teilhaftig ist, was in vorchristlicher Zeit noch nicht möglich war. Erst durch das Mysterium von Golgatha hat sich die Situation grundlegend geändert. Grundsätzlich ist es von nun an möglich, dass der Mensch — freilich erst nach einem entsprechenden geistigen Entwicklungsweg durch alle noch folgenden irdischen Inkarnationen — vollbewusst seinen geistigen Wesenskern, sein wirkliches Ich, ergreift, das seinen Ursprung auf dem Nirvanaplan hat.”
Was erlebe ich hier im Mantra 10 K?
Das Mantra 10 K beginnt auf den ersten Blick recht banal. Natürlich beschreibt die Sonne um Johanni ihre größten Bögen, erhebt sich die Sonne am höchsten über den Horizont und selbstverständlich ist jetzt Sommer. Doch ist das alles, was gemeint ist? Es heißt nicht, dass sich die Sonne erhebt, sondern der Sonne Wesen! Rudolf Steiner beschreibt (u.a. in GA 342 s.u.), dass in vorchristlicher Zeit in der Sonne die am höchsten verehrte Geist-Macht erlebt wurde. Und weiters: die Wissenden nahmen wahr, wie dieses Sonnenwesen sich immer mehr der Erde näherte, um schließlich als Mensch geboren zu werden. Aus diesem Wissen heraus machten sich die Magier, die heiligen drei Könige, auf den Weg, um das Kind anzubeten. In der Taufe vollendete sich dieser Abstieg, um schließlich im Tod auf Golgatha zu münden. Mit der Auferstehung und der Himmelfahrt wird uns der Aufstieg dieses Sonnenwesens geschildert, nachdem es im Leibe bei der Verklärung auf dem Berge Tabor zum ersten Mal für die Jünger anschaubar wurde. Der Auferstandene, der lebendige Gott, der Christus nach Golgatha, ist das Gottes-Wesen, das in diesem Spruch im Bild der sich wieder erhebenden Sonne gesehen werden kann.
Im Spruch 10 K heißt es weiter, dass das Sonnen-Wesen mein menschliches, das heißt noch irdisches, Fühlen in seine Raumesweiten mitnimmt. Mein Fühlen und damit mein fühlendes Gewahrsein weitet sich dadurch ins Unendliche. Dadurch erhält mein fühlendes Bewusstsein Hilfe aus dem irdischen Begrenzt-sein, dem Leben in der Dualität, in den Raum des Sonnen-Wesens hinauszuwachsen. Unendliche Weiten des Raumes durchstrahlt schon die physische Sonne. Für das Sonnen-Wesen kann man sicher auch die Weite des Zeit-Raumes mitdenken, vom Anbeginn der Erd- und Menschheits-Entwicklung bis zu ihrem fernen Ziel. Dadurch gewinnt mein Fühlen als meine geistige Präsenz eine Beziehung zur ewigen Existenz meines Seins.
Im Leben fühlen wir uns und unsere Seele als ein Zentrums-Sein. Nun wird mein Fühlen in die Raumesweiten mitgenommen, meine Seele wird Umkreis-Sein, indem sie aufgenommen wird vom Wesen der Sonne. Mein kleines sonnenähnliches Bewusstsein wird hinaufgetragen durch die wesenhafte Sonne, durch den Christus, in seine Weiten des Raumes, in seine Größe. Als Reaktion auf diese Hilfe regt sich in meinem Innern etwas. In mir wird etwas lebendig, beginnt sich zu bewegen, zu regen, in einen Prozess einzutreten. Eine Empfindung regt sich, dumpf, noch vorbewusst. Ich ahne sie mehr als dass ich sie wahrnehme. Wie das Morgenrot die Sonne ankündigt, so kündet die Empfindung mir ein zukünftiges Erkennen.
Diese Empfindung aus meinem Innern, meinem Zentrum, spricht mich als ein Du an. Sie tritt mir dadurch gegenüber mit einem größeren, tieferen Erleben, als ich bisher hatte. In dieser Situation, die ganz an ihr Ende gekommen war, in der ich ganz Umkreis geworden war, regt sich in meinem Innern eine Empfindung, die auf die Zukunft gerichtet ist, die Hoffnung ausstrahlt. Die Empfindung verheißt mir ein neues Erkennen. Die Empfindung macht mich darauf aufmerksam, dass mich genau jetzt, in diesem Moment, ein Gotteswesen fühlt.
Empfindungsseele nennt Rudolf Steiner die gerade aufkeimende Bewusstseinskraft, die sich noch eins fühlt mit allem, die noch nicht vom Intellekt ergriffen wurde. Deshalb ist die Empfindung dumpf. Doch das bewusste Erkennen ist ihr Ziel. Sie kündigt es mir schon an. Noch ist die Bewusstseinskraft der Empfindung wie ein Echo, das ganz unverfälscht ins Bewusstsein nimmt, was gerade passiert. Und das, was gerade jetzt in diesem Mantra 10 K geschieht, ist etwas außerordentlich Großes. Ein Gotteswesen fühlt mich.
Um die Größe dieses Geschehens ins Bewusstsein nehmen zu können, soll das menschliche Fühlen kurz betrachtet werden: Fühlen ist Gegenwarts-Ereignis. Mein Gefühl ist immer wahr, als mein gegenwärtiges Erlebnis. Es ist immer individuell, denn jeder reagiert anders, auch wenn die Situation dieselbe ist. Durch meine Gefühlsreaktion erschaffe ich eine Wirklichkeit, meine innere, seelische Wirklichkeit.
Jemanden fühlen heißt ihn im Herzen zu tragen. Wenn das Gotteswesen mich fühlt, so bin ich von Ihm getragen — ich bin in Gott. Und so kann ich sagen: Indem das Gotteswesen mich fühlt, erschafft es mich in seinem Sonnenbewusstsein. Es erschafft mich neu, nachdem mein altes Fühlen ganz Umkreis geworden ist, ganz in die Raumesweiten getragen worden ist, sich verströmt hat. Diese Neuschöpfung geschieht im Allerheiligsten Gottes, im Verborgenen. Die Empfindung kündet davon in der Vergangenheitsform: “Dich fühlte jetzt ein Gotteswesen”. Diese Neuschöpfung ist der Same, aus dem die Empfindung als erste Bewusstseinsstufe hervorwächst. Das Erkennen folgt erst in den weiteren Stufen — einst, — nach weiteren langen Entwicklungen.
Mit diesem Schritt im Mantra verändert sich auch meine Möglichkeit, das Sonnen-Wesen wahrzunehmen. Es wird nun als ein Gotteswesen benannt. Dies ist ein viel innerlicheres, intimeres Erlebnis, als zu Beginn des Spruches. Dort erlebte ich nur die Sonne wesenhaft, als leuchtendes Wesen — das Gotteswesen im Bild der Sonne. Was hat diesen neuen Schritt ermöglicht? Indem das Gotteswesen mich fühlt, mit mir in Kontakt geht, bekomme auch ich ein Gefühl für dieses Wesen. Der Gott in meinem Innern, meine sich regende Empfindung, mein aufkeimendes Bewusstsein, lässt mich auch das Gotteswesen im Außen, im leuchtenden Wesen der Sonne, wahrnehmen. Das ganze Mantra ist geprägt von diesem Erlebnis. Das Gotteswesen fühlt mich: “Ich bin in Gott.” Mein Bewusstsein ist göttlichen Ursprungs: “Gott ist in mir.” Rudolf Steiner empfiehlt die Punk-Umkreis genannte Meditation im Heilpädagogischen Kurs: „In mir ist Gott. Ich bin in Gott.“ Sie bringt das allgemein übliche Sonnensymbol in Bewegung und bereitet auf die Wesensbegegnung mit dem Christus als dem Wesen der Sonne vor, wie sie in diesem Mantra geschildert ist.
Warum heißt es hier “ein“ Gotteswesen und nicht “das” Gotteswesen? Hier wird mit einem sehr schlichten Mittel auf die Dreifaltigkeit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes hingewiesen. Im Bild der Sonne wird einerseits der Christus verehrt, der auch Gottes Sohn, also Sohnes-Gott ist, andererseits die Dreifaltigkeit. Über die Schlussworte des Vaterunser-Gebets, die Doxologie, sagt Rudolf Steiner: “Gemeint ist, wenn man die Trinität — das Reich, die Macht und die Herrlichkeit — äußerlich zusammenfasst: <… denn Dein ist die Sonne>, wenn man das Innere, Geistig-Seelische anschauen will, und — den Vater ansprechend, den der Welt Subsistierenden -: <denn Dein ist der Sohn, Christus-Jesus, er ist bei Dir>.” (GA 342, S.1936).
Die Trinität im Sonnensymbols stellt sich mir so dar: Ich sehe das Reich als den Umkreis, der den Vater symbolisiert, die vom Mittelpunkt ausstrahlende Macht als den Sohn, und den über das Reich hinausstrahlenden Ruhm, die Herrlichkeit, als den Heiligen Geist. Indem es „ein Gotteswesen“ heißt, ist unausgesprochen der Fokus auf den Sohnes-Gott gerichtet, der aber ohne Vater und Heiligen Geist in der Dreieinigkeit nicht gedacht werden kann.
Zum Abschluss will ich noch versuchen, die Stufe des Mantras 10 K im Wahrnehmungsprozess des Menschen zu betrachten. Im Mantra 9 I wurde ich aufgefordert, mich im Licht zu verlieren. Ich ging aus mir heraus, wurde Eins mit der Wahrnehmung. Nun im Mantra 10 K werde ich mitgenommen in eine Weite, die ich aus eigener Kraft nicht erreichen könnte. Das Wesen der Sonne nimmt mein menschliches Fühlen in diese Raumesweiten mit. Hier, jenseits alles Irdischen, findet Wesensbegegnung mit einem Gotteswesen statt. Im Wahrnehmungsprozess gibt es diesen Moment, der hinter dem Sinnesschleier liegt, der jedoch meist unbewusst verstreicht. In allem Wahrgenommenen begegne ich unbewusst der Schöpfermacht, ihrer bedingungslosen Liebe, die all diese Wesen ins Sein gebracht hat. Hinter jeder Wahrnehmung steht das Urbild als Imagination und hinter dieser die Ur-Imagination, die Sonne.